Innenminister Herbert Kickl ist der einzige Grund, warum es in der Mitte-Rechts-Regierung kracht. Der FPÖ-Hardliner reizt die Grenzen des Rechtsstaates aus. Gerade deshalb ist er für seine Partei so wichtig.

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Am 28. Februar 2018 stürmte eine polizeiliche Sondereinheit unter der Regie des FPÖ-Politikers Wolfgang Preiszler die Büros des österreichischen Verfassungsschutzes. Höchstrichter nannten die Razzia später rechtswidrig.

Offiziell ging es darum, Beweise für Misswirtschaft zu finden. Doch nebenbei konfiszierten die Uniformierten im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) auch Ermittlungsakten über die Verbindungen einzelner FPÖ-Politiker zur rechtsextremen Szene.

Unter anderem hatte die Behörde vor zwei Jahren ein rechtes Treffen observiert, bei dem der damalige FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl Gastredner gewesen war.

Inzwischen ist Kickl Innenminister. Und trägt damit die Verantwortung für die umstrittene Aktion: Der Verfassungsschutz ist seinem Ministerium unterstellt.

Innenminister Herbert Kickl ist der "Bad Guy" der Regierung

Als ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz im Dezember 2017 mit seiner Mitte-Rechts-Regierung zur Angelobung schritt, fürchteten manche im In- und Ausland, dass die österreichische Demokratie kippen könnte. Das lag vor allem am kleineren Koalitionspartner: Die FPÖ versteht sich als Schwesterpartei der AfD und des französischen Rassemblement National, ehemals Front National.

Bisher hat sich die Regierung in Wien an die demokratischen Spielregeln gehalten. Von Zuständen wie im benachbarten Ungarn, wo Premier Viktor Orbán den Rechtsstaat schrittweise demontiert, ist Österreich weit entfernt.

"Ich sehe bei dieser Regierung derzeit keine Gefahr, dass sie die Demokratie umbauen möchte", sagt der Wiener Politikwissenschafter Peter Hajek, Chef des Umfrageinstituts Unique Research.

Doch ein Regierungsmitglied sorgt immer wieder mit fragwürdigen Aktionen für internationale Schlagzeilen und reizt die Grenzen des Rechtsstaats aus: Innenminister Kickl. Er ist der "Bad Guy" der Koalition in Wien. Jan Krainer von der oppositionellen SPÖ nennt ihn "den gefährlichsten Innenminister der Zweiten Republik".

Haider über Kickl: "Ein Zerstörer, kein Gestalter"

Der 50 Jahre alte Studienabbrecher mit dem Dreitagebart gilt als Strippenzieher der FPÖ. Als Chefideologe ist er gemeinsam mit Parteichef Heinz-Christian Strache verantwortlich für den rasanten Aufstieg der rechtspopulistischen Partei, die bei den Wahlen im Vorjahr 26 Prozent der Stimmen bekommen hatte.

Trotz seiner tragenden Rolle hielt sich Kickl als FPÖ-Generalsekretär aber in der Öffentlichkeit eher zurück. Mit gutem Grund: Der besonders ruppig auftretende General, dessen Wutanfälle auch unter Parteifreunden gefürchtet waren, kam im Gegensatz zu Strache nur bei eingefleischen FPÖ-Anhängern an. Alle anderen verschreckte er.

Selbst der vor zehn Jahren verstorbene FPÖ-Übervater Jörg Haider hatte einst vor Kickl gewarnt: Er sei "ein Zerstörer, kein Gestalter", soll Haider über seinen früheren Redenschreiber Kickl gesagt haben.

Nach Kickls Angelobung als Innenminister dachten viele, dass er fortan gemäßigter auftreten würde. Doch weit gefehlt.

"Kickl hat sich nicht geändert. Er ist von sich überzeugt und gibt nur dann nach, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt", analysiert Hajek. "Es ist augenscheinlich, dass er jenes Fingerspitzengefühl vermissen lässt, das man in einem so sensiblen Ministerium benötigt."

Das zeige sich auch in Umfragewerten. Von allen Regierungsmitgliedern hat die Kickl die mit Abstand schlechtesten Werte. Bei anderen FPÖ-Regierungsmitgliedern würde sich die Anzahl der Befürworter und Gegner die Waage halten.

Nicht so bei Kickl. Hajek: "Hier ist das Verhältnis 1:2,5." Auf zwei Kickl-Fans kommen also fünf Gegner. "Die Wähler, die ihm ein schlechtes Zeugnis ausstellen, sehen in ihm eine Gefahr", sagt Hajek.

Asylbewerber "konzentrieren"

Kickl hat in seinem ersten Amtsjahr nichts getan, um Bedenken zu zerstreuen. Im Gegenteil.

Am schwersten wiegt die Razzia beim Verfassungsschutz, die nun von der Staatsanwaltschaft überprüft wird und Gegenstand eines Untersuchungsausschusses ist. Die Aktion ging selbst dem Koalitionspartner ÖVP zu weit. "Es sollte Chaos erzeugt werden", kritisierte etwa der ÖVP-Abgeordnete Werner Amon.

Bei anderen Aktionen schwiegen die Konservativen. So etwa als Kickl im Frühjahr international für Schlagzeilen sorgte, als er anregte, Asylwerber zu "konzentrieren".

Die Opposition schäumte und warf Kickl vor, auf Konzentrationslager anzuspielen. Doch der Koalitionspartner hielt sich zurück: "Kein Kommentar", hieß es von ÖVP-Politikern.

Das galt auch für Kickls kostspieliges Lieblingsprojekt: eine berittene Polizei für die Wiener Innenstadt: Sieben Millionen Euro soll das Experiment kosten, dessen Sinnhaftigkeit Experten bezweifeln. Darauf angesprochen, zuckten ÖVP-Politiker mit den Schultern.

Die Koalition in Wien hat blendende Umfragewerte: Der Hauptgrund dafür ist, dass sie - anders als die Vorgängerregierung - nicht streitet, zumindest nicht öffentlich.

Im Sommer platzte Kanzler Kurz allerdings der Kragen wegen seines Innenministers. Grund war ein Medienerlass, den Kickls Ministerium im Sommer an die Pressestellen der Polizei verschickt hatte: Demnach sollten Journalisten von regierungskritischen Zeitungen wie dem liberalen "Standard" oder der linken Wochenzeitung "Falter" von Informationen so weit als möglich abgeschnitten werden. Kurz nannte das eine "inakzeptable Einschränkung der Pressefreiheit". Kickl musste den Erlass zurücknehmen.

Auch als der Innenminister vor wenigen Tagen eine nächtliche Ausgehsperre für Asylbewerber forderte, pfiff Kurz ihn zurück. Eine solche Sperre sei rechtswidrig.

Kickls Spielraum ist begrenzt

Unter der Hand machen ÖVP-Politiker kein Geheimnis daraus, dass sie von Kickls Vorstößen ziemlich genervt sind. Der Innenminister ist der größte personelle Unruheherd in der harmoniesüchtigen Regierungsmannschaft. Darüber, ob aus dem FPÖ-Rabauken noch ein Staatsmann werden könnte, macht sich bei den Bürgerlichen längst keiner mehr Illusionen.

Der Ärger der Konservativen über Kickl stieg im vergangenen halben Jahr. Seit Juli hat Österreich die EU-Ratspräsidentschaft inne. Und da wollte Kanzler Kurz glänzen. Umso lästiger waren die negativen Schlagzeilen in der internationalen Presse über Kickl.

Der Schaden, den Kickl dem Image der österreichischen Ratspräsidentschaft zufügt, dürfte allerdings überschaubar sein. Das glaubt zumindest Polititologe Hajek: "Ich würde die mediale Beurteilung nicht überbewerten", sagt er. "Auf der politischen Arbeitsebene mit anderen Regierungen spielt das keine große Rolle. Da herrscht 'business as usual'." Die Koalition in Wien werde von anderen Staatskanzleien als berechenbarer Partner geschätzt – im Gegensatz zu den Regierungen in Ungarn, Polen oder Italien, wo offen EU-feindliche Parteien am Hebel sind.

Mit anderen Worten: Der rechte Hitzkopf Kickl ist eingebunden in eine Regierung, die keinen wirklichen Ärger mit den EU-Partnern haben möchte. Sein Spielraum begrenzt, da die ÖVP als stärkere Koalitionspartei am Ende den Ton angibt.

Als Regierungsmitglied für die FPÖ unverzichtbar

Mit den für sie lästigen Zwischenrufen aus dem Innenministerium müssen die Konservativen wohl oder übel leben. Denn aus Sicht der FPÖ ist Kickl als Regierungsmitglied unverzichtbar.

Auch wenn ihm der eine oder andere handwerkliche Fehler unterläuft, steckt hinter seinen Provokationen ein ausgeklügeltes System: Damit hält er hart rechte FPÖ-Wähler bei der Stange, die vom vergleichsweise moderaten Auftreten der restlichen FPÖ-Regierungsriege enttäuscht sind.

Kickls Aufreger lenken auch davon ab, dass die Freiheitlichen gemeinsam mit der ÖVP soziale Einschnitte beschließen, die ihre eigene Klientel empfindlich treffen: Kürzungen bei der Arbeitslosenversicherung, weniger Sozialhilfe und eine Ausweitung der höchstzulässigen täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden. Kickls Provokationen kommen wohl nicht zufällig immer dann, wenn über die "unsozialen" Maßnahmen der Regierung gesprochen wird.

Für FPÖ-Wähler bleibt Kickl der einzige echte Freiheitliche, der sich auch von einem Ministeramt nicht zähmen lässt. Er erfüllt damit eine wichtige Rolle in der blauen Regierungsmannschaft. Politologe Hajekt bringt es auf den Punkt: "Bevor Kickl gehen muss, gehen viele andere."

Verwendete Quellen

  • Gespräch mit Politikwissenschaftler Peter Hajek
  • APA/OGM-Vertrauensindex BundespolitikerInnen 2018
  • Kurier.at: BVT-Razzia: Wie Minister Kickls Generalsekretär Regie geführt hat
  • APA: BVT-Razzia war rechtswidrig: Kickl im Kreuzfeuer der Kritik
  • Profil.at: Der Fall BVT: Bei Hausdurchsuchung wurden auch Daten des Extremismus-Referats kopiert
  • Falter.at: "Pension oder Sportabteilung"
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