Migranten in Österreich: gesellschaftlicher Störfaktor oder tragende Säule der Wirtschaft? Eine Studie hat sich mit der Frage "Wie sähe Österreich ohne Migration aus?" befasst. Auch die ORF Dokumentation "Wir haben Arbeitskräfte gerufen" untersucht Geschichte und aktuelle Situation türkischstämmiger Familien in Vorarlberg.
Die wichtigsten Ergebnisse der Ende April veröffentlichten Studie der Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen überraschen nicht: Ohne Migration würde die österreichische Bevölkerung schrumpfen und der Anteil älterer Menschen wäre wesentlich höher. Es gäbe in Branchen wie Tourismus, Bau und Pflege einen eklatanten Arbeitskräftemangel und in Bereichen wie Sport, Kultur und Kulinarik wäre die Vielfalt bei weitem nicht so groß.
1,6 Millionen Menschen in Österreich haben Migrationshintergrund: Das sind rund 19 Prozent der Bevölkerung. Etwa 13 Prozent aller Beschäftigten haben keine österreichische Staatsbürgerschaft. Was überrascht: Migranten sind hierzulande in allen Bereichen häufig als qualifizierte Fachkräfte tätig.
Einwanderer als Fachkräfte in allen Branchen tätig
15 Prozent der Erwerbstätigen mit ausländischen Wurzeln arbeiten im Handel. Einen besonders hohen Anteil stellen dabei Migranten der zweiten Generation, die zudem über einen deutlich höheren Bildungsgrad verfügen als ihre Kollegen ohne Migrationshintergrund und oft verantwortungsvolle Tätigkeiten ausüben. Im Gesundheitsbereich haben insgesamt 18 Prozent aller Beschäftigten und fast 16 Prozent der Ärzte Migrationshintergrund.
Als großer Nutzen für die heimische Wirtschaft erweisen sich immer öfter die vielfältigen Sprachkenntnisse der Einwanderer der zweiten und dritten Generation. Kulinarische Genüsse wie Pizza, Kebab, asiatisches Essen oder italienisches Eis sind uns längst selbstverständlich. Manches Orchester könnte ohne Zuwanderer nicht fortbestehen, und der österreichische Spitzensport verdankt viele Erfolge Athleten mit Migrationshintergrund.
Doku beleuchtet Geschichte der Einwanderer
Seinen Anfang nahm der Zustrom in den 1960er-Jahren: Akuter Arbeitskräftemangel brachte Österreich dazu, Anwerbe-Abkommen mit der Türkei und Jugoslawien abzuschließen. Über 100.000 Menschen kamen damals als temporäre Arbeitskräfte nach Österreich. Aus vielen sind Zuwanderer geworden, deren Kinder und Enkelkinder sich heute verstärkt für die eigene Geschichte interessieren, wie die ORF Dokumentation "Wir haben Arbeitskräfte gerufen" vom 11. Mai aufzeigt. Am Beispiel Vorarlberg wird der Weg einiger türkischer Zuwanderer aus Anatolien nachgezeichnet: manche haben bis zur Pensionierung in den Unternehmen gearbeitet, in denen sie seinerzeit als "Gastarbeiter" begonnen haben, manche haben sich selbständig gemacht und führen selbst erfolgreiche Unternehmen; andere sind in ihre Heimat zurückgekehrt und führen dort Geschäfte mit starkem Österreichbezug.
Die gezeigten türkischen Zuwanderer sind auf unterschiedliche Weise fester Bestandteil der Gesellschaft und der Wirtschaft geworden. Ihr Leben ist eine Mischung aus Anpassung an österreichische Gegebenheiten und Wahrung der eigenen Kultur, Religion und Tradition. Ihre Nachkommen sind Österreicher. Oft sind sie fremd in der alten Heimat, aber sie haben eine starke Affinität zum Herkunftsland ihrer Eltern und sehen ihren multikulturellen Hintergrund zunehmend als Vorteil an.
Studie und Film sind unabhängig voneinander entstanden. Dennoch werden die Ergebnisse der Studie in der Doku in positiven persönlichen Geschichten verifiziert und verdeutlichen so eindrucksvoll, dass Migration längst schon Teil unserer Geschichte ist. Ein Österreich ohne Migranten gibt es nicht.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.