In Deutschland diskutiert die Öffentlichkeit gerne mit, wenn die Ukraine nach bestimmten Waffen fragt. Doch sind diese Waffen wirklich die Gamechanger im Krieg gegen Russland? Um welche Waffen geht es überhaupt und wofür werden sie eingesetzt? Militärexperte Gustav Gressel klärt auf.
Deutschland diskutiert. Hitzig, laut und vor allem lang. Insbesondere dann, wenn es um Waffensendungen in die Ukraine geht. Öffentlich und mit aller verbalen Härte gehen sich Befürworter und Gegner in Talkshows, Interviews und Essays an die Gurgel. Je nachdem, welche Waffensystem-Diskussion momentan aktuell ist. Das jüngste – und durch einen veröffentlichten Audiomitschnitt auch skandalöseste – Beispiel: der Taurus-Marschflugkörper.
Aber was bringen diese Waffensysteme wirklich? Wie funktionieren sie und warum werden sie so oft von der Bevölkerung als Gamechanger gesehen? Ein Überblick.
Jedes neue Waffensystem ein Gamechanger?
Sobald in Deutschland über ein Waffensystem gestritten wird, kommt die Frage auf: Ist das denn jetzt der Gamechanger? Militärexperte Gustav Gressel ist hier vorsichtig. Zum einen würde der technische Vorsprung westlicher Waffen oft überschätzt, zum anderen sei eine Umrüstung für die Ukraine dennoch wichtig. "Krieg ist ein Mannschaftssport", erklärt Gressel auf Anfrage unserer Redaktion. "Es geht immer um das Zusammenspiel mehrerer Fähigkeiten, Systeme und Soldaten, die sie bedienen." Ein einzelnes System allein könne den Krieg nicht wenden. Doch jede Fähigkeit, jedes System stütze sich auf andere ab. "Und wenn eines herausbricht oder fehlt, kann das für das gesamte System katastrophale Folgen haben."
Dennoch brauche die Ukraine westliches Gerät, "denn in einem langen Krieg geht es in erster Linie um die Durchhaltefähigkeit". Bei den Waffen östlicher Herkunft könne mittlerweile großer Munitionsmangel herrschen. Ein Beispiel ist die Flugabwehr: Westliche Iris-T Raketen werden in Deutschland gefertigt, die russische S-300 nicht. "Zu Iris-T kann ich der Ukraine also zumindest einen planbaren Nachschub an Munition gewährleisten." S-300 werden heute nur noch in Russland gefertigt, wo die Ukraine bekanntermaßen nicht einkaufen kann.
Taurus
Der Taurus KEPD-350 gilt als einer der fortschrittlichsten Luft-Boden-Flugkörper der deutschen Luftwaffe. Seine Reichweite beträgt bis zu 500 Kilometer, weshalb der Taurus Ziele weit hinter der Frontlinie treffen kann – Piloten müssen demnach nicht in den feindlichen Luftraum fliegen. Mithilfe von vier eigenständigen Navigationssystemen trifft er sein Ziel äußerst präzise, selbst unter dem Einfluss gegnerischer Störmaßnahmen.
Die Ukraine setzt laut Gressel Marschflugkörper wie etwa das britische System Storm Shadow oder das französische SCALP gegen die russische Schwarzmeerflotte ein, um diese aus dem westlichen Schwarzen Meer zu verdrängen. "Dadurch hält sie den Getreidekorridor über Odessa offen", erklärt der Experte. Nicht bloß ein entspannterer Lebensmittelmarkt sei dadurch möglich, dieser Korridor bedeutet für die Ukraine auch Devisen- und Steuereinnahmen sowie den Erhalt von Arbeitsplätzen.
Taurus wäre den britischen und französischen Waffen sehr ähnlich und demnach auch kein Wundermittel, sagt Gressel. "Allerdings verfügen Frankreich und Großbritannien ihrerseits nicht über unendliche Vorräte an Marschflugkörpern." Die Ukraine braucht also Alternativen.
Kampfjets
Wenn der ukrainische Präsident Kampfjets verlangt, spricht er mit größter Wahrscheinlichkeit von Jets des Modells F-16. Neben der U.S. Air Force und der israelischen Luftwaffe fliegen auch etwa die Niederlande, Norwegen und Dänemark diesen Typ. Anfänglich wurde die F-16 hauptsächlich als Jagdflugzeug eingesetzt, entwickelte sich jedoch später zu einem vielseitigen Mehrzweckkampfflugzeug.
"Aufgrund ihrer weiten Verbreitung hofft die Ukraine, möglichst viele Flugzeuge zu bekommen und so eine Flotte von etwa 80 Kampfflugzeugen betreiben zu können", sagt Gressel. Dies sei aus deren Sicht das Minimum, um die russische Luftwaffe fernzuhalten.
Doch da gibt es ein Problem: Die USA sträubten sich lange Zeit. Jetzt kommen laut dem Experten alle Zusagen von anderen F16-Betreibern: den Niederlanden, Norwegen, Belgien und Dänemark. Aber: "Die Unterstützung der Systemeinführung gestaltet sich schwierig und verzögert sich laufend. Daher kann es sein, dass die Ukraine auf die Angebote anderer Staaten zurückkommt, eventuell auch 60 britische Eurofighter." Ein Modell, dessen Herstellerland auch Deutschland ist, weshalb die Bundesrepublik einer Lieferung zustimmen müsste.
Kanzler
Der Gepard
Deutschland hat der Ukraine bisher 52 Flugabwehrkanonenpanzer Gepard aus nicht mehr genutzten Industriebeständen überlassen. Obwohl das System vor etwa zehn Jahren aus der Bundeswehr ausgemustert wurde, erweist es sich für die ukrainischen Verteidigungskräfte als äußerst nützlich.
Der Gepard habe sich vor allem im Herbst 2022 bewährt, sagt Gressel. "Der Ukraine mangelt es generell an mobilen Fliegerabwehrwaffen, insbesondere Kanonensystemen, deren Munition nicht so teuer ist wie die eines Raketensystems." In der Charkiw-Gegenoffensive (September 2022) setzte Russland noch hochwertige Drohnen zur Aufklärung ein – der Gepard konnte diese sicher abfangen. "Und so blieb die Vorbereitung der Offensive wie auch das Gros der ukrainischen Kräfte vor den Russen verborgen – der Überraschungserfolg war groß."
Der Vorteil des Gepards sei die hohe Genauigkeit seiner Sensoren und die Treffgenauigkeit seiner Kanone. "Er kann Drohnen mit nur wenigen Schuss – meist sechs bis zehn – abfangen. Daher wurde er anfangs auch oft um Großstädte zum Schutz vor iranischen Shahed-Drohnen eingesetzt." Mittlerweile hat die Ukraine laut Gressel für den Schutz der Städte viele alte Flugabwehrkanonen modernisiert.
Leopard 2
Lange hat sich Kanzler Scholz bitten lassen, bis er dann doch die Zusage für den Kampfpanzer Leopard 2 gab. Er wird von der Bundeswehr als einer der modernsten Kampfpanzer der Welt beschrieben und führt als Hauptbewaffnung eine 120-Millimeter-Glattrohrkanone. Die ermöglicht es ihm, Ziele in mehreren Tausend Metern Entfernung zu bekämpfen.
Aufgrund der hohen Geschwindigkeit eigneten sich alle Leopard-Modelle – Deutschland liefert auch ältere Varianten – für blitzartige Feuerüberfälle. "Der Panzer bezieht rasch eine Stellung, feuert auf den bereits durch Drohnen aufgeklärten Feind und zieht sich schnell wieder zurück, bevor die Russen Drohnen auf die Panzer losschicken." Im Vergleich zu russischen Kampfpanzern verfügt der Leopard über eine bessere Optik, eine genauere Hauptwaffe und höhere Mobilität.
Hauptvorteil gegenüber den östlichen Panzermodellen hätte eigentlich die Logistik sein sollen, sagt der Militärexperte. Die Ukraine hatte etwa Ende 2022 viele Ostmodelle, bekam dafür aber kaum noch Ersatzteile und Munition. Der Leopard hätte demnach tatsächlich eine große Hilfe sein können – wäre er schnell genug geliefert worden.
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Marder
Der Marder ist ein Schützenpanzer und kann eine Schützengruppe von sechs bis sieben Mann unter Panzerschutz auf das Gefechtsfeld transportieren. Mit seiner 20-Millimeter-Kanone bietet er zudem Feuerunterstützung. Schützenpanzer sind Gustav Gressel zufolge sehr vielseitig einsetzbar: "Von der Evakuierung von Verwundeten bis zum Transport von Nachschub zu Vorpostenstellungen – es gibt fast keine Aufgabe, zu der man sie nicht einsetzen kann."
Im Vergleich zu den vorher eingesetzten BMP-1 und BMP-2 (beides sowjetische Schützenpanzer) ist der Unterschied zum Marder oder Bradley (das US-Modell) am größten. Optik und Präzision der Waffenanlage des Marders seien um ein Vielfaches höher als bei den russischen Kontrahenten. Zudem sei der Marder recht robust, brenne nach einem Treffer nicht aus und lasse sich einfacher reparieren.
Patriot
Deutschland hat der Ukraine bisher zwei der US-amerikanischen Flugabwehrraketensysteme Patriot geschickt – plus Munition. Dieses System ist für die Abwehr von Flugzeugen, ballistischen Raketen und Marschflugkörpern konzipiert. Das Radar erkennt Flugobjekte und leitet die Informationen an die Feuereinheit weiter, wo die Soldaten die Daten computergestützt verifizieren und eine Freund-Feind-Bewertung durchführen. Das Raketensystem hat eine große Reichweite und kann durch seine Querschubanlage auch in großen Höhen wirken. Allerdings, erklärt Gressel, ist es weniger mobil als vergleichbare Systeme.
Der Vorteil – wie bei allen westlichen Fliegerabwehrsystemen – gegenüber den alten sowjetischen Systemen ist Gressel zufolge, dass Russland diese weniger gut kennt, daher weniger gut aufklären und stören kann. "Somit gelingt es den Ukrainern öfter, die russischen Angreifer zu täuschen."
Iris-T
Iris-T ist ein Fliegerabwehrlenkwaffensystem mittlerer Reichweite. In Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Patriot-System gelten diese beiden Waffensysteme tatsächlich als Gamechanger im Krieg. Denn sie werden vor allem zum Schutz von Städten gegen Marschflugkörper und andere Luftangriffe eingesetzt. Iris-T ist laut Gressel darauf ausgelegt, mit dem Patriot-System zusammenzuarbeiten, was einen besonderen Vorteil darstellt. "Beide Systeme ergänzen sich gut und erzielen zusammen eine weit höhere Trefferquote als jedes System jeweils für sich allein."
Seit die beiden Systeme eingeführt wurden – Deutschland hat bisher vier Iris-T unterschiedlicher Varianten geschickt – wurden Angriffe auf Großstädte wie Kyiv oder Charkiw um Längen besser verteidigt als zuvor. Im Herbst 2023 berichtete Harald Buschek, ein Geschäftsführer des Herstellers Diehl Defence, laut "ntv" von einer nahezu hundertprozentigen Abschussquote. Demnach haben diese Systeme viele Menschenleben gerettet.
Verwendete Quellen
- bundesregierung.de: "Diese Waffen und militärische Ausrüstung liefert Deutschland an die Ukraine"
- bmvg.de: "Verträge unterzeichnet: Deutschland, Estland und Lettland beschaffen"
- n-tv.de: "IRIS-T kommt auf Abschussquote von nahezu 100 Prozent"
- bundeswehr.de: "Der Flugabwehrkanonenpanzer Gepard"
- bundeswehr.de: "Kampfjet Eurofighter"
- bundeswehr.de: "Lenkflugkörper Taurus KEPD-350"
- bundeswehr.de: "Kampfpanzer Leopard 2"
- bundeswehr.de: "Flugabwehrraketensystem Patriot"
Über den Gesprächspartner
- Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.
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