In der Ukraine wächst die Angst: Ohne Unterstützung der USA drohen Engpässe bei Waffen, medizinischer Versorgung und Infrastruktur. Betroffene berichten von wachsender Verzweiflung – und warum sie trotzdem weiterkämpfen.
Nachdem sich die USA von der Ukraine abgewandt haben, reagiert die Bevölkerung des vom Krieg gebeutelten Landes mit Fassungslosigkeit. Der abrupte Abbruch des Treffens zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus hat tiefe Besorgnis ausgelöst. Während des Treffens warf Trump Selenskyj vor, das Leben von Millionen Menschen zu riskieren und einen dritten Weltkrieg zu provozieren. Das geplante Rohstoffabkommen wurde nicht unterzeichnet, und Selenskyj verließ das Weiße Haus vorzeitig.
Kurz darauf setzte die US-Regierung ihre Militärhilfen für die Ukraine vorerst aus. Diese Entscheidung könnte erhebliche Konsequenzen für die Ukraine haben, die seit der russischen Invasion stark auf US-Militärhilfe angewiesen ist.
Zuvor hatte die US-Entwicklungsbehörde USAID bereits ihre Zahlungen eingefroren, was die Ukraine besonders hart trifft. Im Jahr 2023 erhielt die Ukraine 16,6 Milliarden Dollar von USAID, mehr als jedes andere Land. Ein dauerhafter Stopp dieser Hilfe würde massive Auswirkungen auf die Strom- und Wärmeversorgung, die Unterstützung von Schulen und Krankenhäusern sowie die Versorgung von Geflüchteten im Land haben.
Für viele Ukrainer ist das ein Schock. Die internationale Unterstützung war lange Zeit eine der wenigen Konstanten inmitten von Unsicherheit und Krieg. Nun stehen sie vor der harten Realität, dass ihnen der wichtigste Verbündete die Hilfe entzieht. Doch was bedeutet das für die Menschen vor Ort? Wie gehen sie mit dieser Zäsur um, und wie verändert sie ihr Vertrauen in die politische Führung? Drei Frauen erzählen, wie sie die Entwicklungen erleben, welche Sorgen sie umtreiben – und warum sie sich trotzdem nicht geschlagen geben.
Inna Gurgura, 48 Jahre alt
Inna Gurgura hat sich ihre Meinung über die USA-Hilfen nicht leicht gemacht. Sie hat recherchiert, Berichte gelesen, versucht zu verstehen, welche Projekte unterstützt wurden. Doch am Ende bleibt eine Enttäuschung. Vor dem Krieg betrieb sie ein Café, heute arbeitet sie als Besatzungsmitglied auf einer Fähre in England. Sie nennt Beispiele: PLAST, die größte und älteste ukrainische Pfadfinderorganisation, oder die Bürgerorganisation Sila Hromady, die sich gegen Korruption starkmachte. Deren Arbeit, sagt sie, war effektiv. Auch die Rehabilitationszentren für verwundete Soldaten und Kulturprojekte zählten zu den geförderten Initiativen. Doch vieles, meint Gurgura, sei fragwürdig geblieben.
Besonders, wenn es um die Unterstützung kommunaler Stadtverwaltungen ging: Niemand habe erklärt, wohin das Geld geflossen sei. Die Kommunikation zwischen den Abgeordneten und der Bevölkerung sei katastrophal. Informationen würden versteckt, Entscheidungen im Geheimen getroffen. Die Menschen, das glaubt sie, fordern keine Transparenz, weil sie es nicht gewohnt sind. Ein Überbleibsel der Sowjetzeit, wo angeblich alles für die Menschen geregelt wurde.
Sie erinnert sich an eine Szene, die sie nicht vergessen kann: Eine Freundin hatte Reporter in einen Kindergarten gebracht, weil es Anzeichen dafür gegeben habe, dass die Kinder zu wenig zu essen bekamen. Doch statt Unterstützung zu bekommen, sei der Freundin Ablehnung entgegengeschlagen. Die Eltern hätten gefürchtet, dass es für ihre Kinder nur noch schlimmer werden würde. Eine Gesellschaft, die Angst hat.
Als
Letztlich, so Gurgura, bleibt eine bittere Erkenntnis: Die Ukraine ist auf sich allein gestellt. Europa spricht viel, aber Taurus-Raketen gibt es noch immer nicht. Tiefe Schläge gegen Russland mit westlichen Waffen sind weiterhin verboten. Und Amerika? Amerika mache diplomatische Gesten, die letztlich Russland zugutekommen. "Wenn wir schon eine Kolonie sein sollen, dann lieber eine amerikanische – denn die Russen werden uns einfach umbringen."
Marina Dobrovolska, 64 Jahre alt
Marina Dobrovolska sieht es noch drastischer. Sie ist Englischlehrerin und Mutter. Niemand an ihrer Hochschule glaubt, dass Trump tatsächlich Frieden will. "Er will uns an Putin verfüttern", sagt sie. Trump wolle sich als Friedensstifter feiern lassen, aber in Wahrheit gehe es ihm nur um Geschäfte mit Russland. Die Ukraine sei für ihn ein Störfaktor, ein Problem, das aus der Welt geschafft werden müsse.
Wie sich das anfühlt? Sie malt ein eindrückliches Bild: "Wie Geiseln, deren Haus von Banditen gestürmt wird. Und die Polizei, die kommt, verbietet uns, uns zu wehren, während wir getötet, ausgeraubt, vergewaltigt werden. Gleichzeitig versucht sie, uns noch so viel Geld wie möglich abzunehmen." Die Ukraine – machtlos, überfallen, dem Geschehen ausgeliefert. Russland – mit roher Gewalt eingedrungen, unzählige Kriegsverbrechen begangen. Die USA – eine selbsternannte Polizei, die zwar auf der Bildfläche erscheint, aber nicht handelt, um die Opfer zu schützen. Stattdessen beschreibt Dobrovolska ihr Verhalten als ausbeuterisch: Nicht nur, dass die USA den Ukrainern verböten, sich zu wehren, sie nutzten ihre Notlage auch noch finanziell aus.
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Lieda Marchenko, 25 Jahre alt
Lieda Marchenko ist derzeit in der Donbass-Region und spürt dort die Auswirkungen des Krieges in Form von Strom- und Internetausfällen. Sie arbeitet als Teamleiterin in einer Katastrophen-Notfallstation in der Kiew-Region und führt zudem ein Trainingscenter für Militärsanitäter. Und sie sieht, wie sich mit den US-Hilfen vieles verbessert hatte. Sie selbst war mit ihrem Trainingscenter vom USAID-Kahlschlag betroffen. Mit einem Programm beim International Medical Corps habe man die medizinische Ausbildung extrem modernisieren können. Sie arbeitete in dem Programm in der Sumy-Region, der Charkiw-Region und der Kiew-Region.
Und sie sah schnell einen Fortschritt: Die Ärzte hätten sich den internationalen Standards schnell angepasst, arbeiteten evidenzbasierter, moderner. Doch jetzt wird auch diese Hilfe eingestellt. Für sie ist das ein schwerer Schlag.
"Ohne diese Unterstützung wird es für uns viel schwieriger, den Krieg zu gewinnen", sagt sie. Doch das eigentliche Problem sind nicht Zahlen auf einem Papier. Es sind Menschen. Ihre Freunde, ihre Kollegen, deren Leben auf dem Spiel steht. Weniger Hilfen bedeuten mehr Tote. Das, meint Marchenko, ist die bittere Wahrheit.
Verwendete Quellen:
- Gespräche mit drei Ukrainerinnen