Nach massiven russischen Angriffen seit Mitte März ist der Großteil der ukrainischen Wärmekraftwerke zerstört oder unter russischer Kontrolle. Das lässt sich aus einer ukrainischen Medienrecherche und den Angaben von Unternehmen ableiten.
"Nach dem letzten Beschuss und der Zerstörung des Tripyllja-Wärmekraftwerks hat das Staatsunternehmen Zentrenerho einhundert Prozent seiner Stromerzeugungskapazitäten verloren", schrieb das Online-Nachrichtenportal Ukrajinska Prawda am Freitag. Zuvor war bereits das Wärmekraftwerk bei Smijiw im ostukrainischen Gebiet Charkiw zerstört worden. Seit Sommer 2022 ist das ebenso zu Zentrenerho gehörende Kraftwerk Wuhlehirsk im Gebiet Donezk unter russischer Kontrolle.
Nach Angaben des größten privaten Energieunternehmens DTEK sind fünf seiner sechs Kraftwerke zumindest stark beschädigt. Nur 20 Prozent der Kapazitäten zur Stromproduktion seien intakt. Die Ukrajinska Prawda geht nach den neuerlichen Angriffen davon aus, dass es eher weniger sind.
Beim dritten Betreiber von Wärmekraftwerken, Donbassenerho, ist die Situation nicht besser. Das Kraftwerk bei Starobeschewe im Gebiet Donezk ist der Recherche zufolge bereits seit 2015 unter Kontrolle der prorussischen Separatisten. Das zweite Kraftwerk des Unternehmens bei Slowjansk werde regelmäßig beschossen, hieß es.
Wärmekraftwerke verbrennen Kohle, Heizöl oder Gas, um Strom zu erzeugen. Der Großteil der ukrainischen Wärmekraftwerksblöcke wird mit Kohle betrieben.
Russland greift auch Wasserkraftwerke an. Im März setzte Raketenbeschuss das große Dnipro-Wasserkraftwerk in Saporischschja durch Raketenangriffe außer Betrieb. Die Angriffe zielten vor allem auf die Wärme- und Wasserkraftwerke, da diese wichtig für die Netzstabilität seien, erläuterte Ukrajinska Prawda. Sie könnten die Stromproduktion am Morgen und Abend schnell hochfahren, wenn der Verbrauch stark ansteige. Die drei unter ukrainischer Kontrolle verbliebenen ukrainischen Atomkraftwerke, die die Grundlast gewährleisten, seien von den Angriffen ausgenommen. Energieminister Herman Haluschtschenko gab am vergangenen Sonntag den Atomanteil an der Stromerzeugung mit mehr als 50 Prozent an.
Trotz der massiven Zerstörungen der Energieinfrastruktur gibt es nach Angaben des Stromnetzbetreibers Ukrenerho regelmäßige Stromabschaltungen bislang nur im ostukrainischen Gebiet Charkiw. Im Gebiet Dnipropetrowsk seien Industrieabnehmer von Stromabschaltungen betroffen. Um die Versorgung zu gewährleisten, werde zu den Spitzenverbrauchszeiten morgens und abends Strom aus den Nachbarstaaten Rumänien, Slowakei, Ungarn und Moldau importiert.
In der Nacht zum Freitag griff das russische Militär erneut Ziele in der Ukraine mit nach ukrainischen Angaben 17 Kampfdrohnen iranischer Bauart und einer Rakete an. 16 der Drohnen seien dabei abgefangen worden. Dem Energieministerium zufolge wurde dennoch ein Umspannwerk im Gebiet Dnipropetrowsk beschädigt.
Die Ukraine wehrt seit über zwei Jahren eine russische Invasion ab. Zwar ist die ukrainische Flugabwehr seit Kriegsbeginn mit westlicher Hilfe modernisiert und verstärkt worden. Doch drängte Kiew nach den jüngsten Angriffen auf neue Lieferungen von Flugabwehrsystemen. Präsident Wolodymyr Selenskyj zufolge wären 25 US-amerikanische Patriot-Systeme oder vergleichbare Waffen notwendig, um den gesamten Luftraum des Landes abzusichern. © dpa
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