- Im Ukraine-Konflikt übt sich China in einem Balanceakt. Offiziell verurteilt Peking den russischen Angriff auf die Ukraine nicht, schöpft aber auch seine Möglichkeiten zur Unterstützung Moskaus nicht aus.
- Gleichzeitig nimmt die Abhängigkeit Russlands von China zu.
- Kann Peking seine Position nutzen, um Russland Einhalt zu gebieten? Experten sind skeptisch – und erklären, wieso.
Es ist ein Balanceakt, den die chinesische Führung derzeit vollführen muss: Kurz vor Kriegsbeginn hatten sich Moskau und Peking noch eine "Freundschaft ohne Grenzen" versprochen und bei der Eröffnung der Olympischen Spiele den Schulterschluss geübt. Nun steht auf der Probe, ob die in dem Papier vom 4. Februar beschworene Partnerschaft wirklich so weit reicht, wie angekündigt.
Offiziell verurteilt China den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht. Aus Peking heißt es nur immer wieder, die "Souveränität aller Staaten" müsse gewahrt werden, der Krieg so schnell wie möglich beendet werden. Dem Westen, der Russland mit ungesehenen Sanktionen belegt hat, reicht das nicht. Er fordert von China ein klares Bekenntnis gegen die blutige Invasion.
Geopolitisch auf Moskaus Seite
Dass der Westen, vor allem Europa, dabei sein ökonomisches Gewicht in die Waagschale schmeißen kann, weiß Peking. Entsprechend schwankend erscheint die chinesische Position im Ukraine-Krieg. "China reagiert in der Tat ziemlich disparat auf den Ukraine-Krieg", sagt auch Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider. Auch wenn sich China nicht an den westlichen Sanktionen beteilige, stehe das Land nicht komplett auf der Seite Putins.
"Das ist geopolitisch allerdings der Fall", räumt Sandschneider ein. Zwar fühle sich China selbst nicht unmittelbar durch die Nato-Osterweiterung bedroht, unterstütze Russland aber in dessen Kritik, um seinerseits Rückhalt aus Moskau gegen die amerikanische indopazifische Strategie zu bekommen.
Geschäftsinteressen überwiegen
"Geoökonomisch ist China aber nicht auf der Seite Russlands", erinnert Experte Sandschneider. China verliere gerade selbst Investitionen, die es in der Ukraine getätigt hat. "Man befürchtet, dass die eigene ohnehin schwächelnde Wirtschaft durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogen wird", sagt er.
Das beobachtet auch China-Korrespondent Felix Lee. "Die Geschäftsinteressen im Westen sind größer, als der Beistand für Russland", sagt er. Chinesische Banken und Unternehmen fürchteten, dass sie von den USA mitsanktioniert würden, sollte sich herausstellen, dass China zu offensichtlich die Sanktionen unterlaufe.
Liefert China bald Waffen?
Zuletzt waren seitens der EU schwere Vorwürfe gegen China erhoben worden. Ein hochrangiger EU-Beamter soll gegenüber der US-Zeitung "Politico" gesagt haben, der EU lägen "sehr zuverlässige Beweise" vor, dass China darüber nachdenke, Russland militärisch zu unterstützen.
Berichte des US-Nachrichtenmagazins CNN sprechen entgegen dieser "Beweise" von einem tiefen Zerwürfnis zwischen Moskau und Peking aufgrund des Ukraine-Kriegs. Es gebe "immer mehr Beweise", dass die Machthaber in China nicht in den Konflikt hineingezogen werden möchten, heißt es. Staatspräsident
Chinas Doktrin funktioniert nicht mehr
"Wirklich viel Unterstützung kommt nicht aus Peking", meint Lee. Weder nehme China Russland deutlich mehr Gas ab, noch liefere es in großem Umfang Technik, die Russland aus dem Ausland benötigt und durch die EU-Sanktionen nicht mehr bekommt.
China habe sehr wohl gemerkt, dass seine Doktrin der Nicht-Einmischung nicht mehr funktioniere, meint Lee. "Die Kritik an den Sanktionen ist nur vorgeschoben, China wendet solche Mittel selbst immer wieder an", sagt er. Dass China sich mit Moskau solidarisiert, sei gewissermaßen eine Rache am Westen.
China und Russland: Keine wahre Freundschaft
"China ist angesichts des Handelskrieges, der unter Trump begonnen hat, noch immer verstimmt. Es fühlt sich vom Westen immer mehr an den Pranger gestellt", analysiert Lee. Von einer wahren Freundschaft könne man im Verhältnis zwischen Moskau und Peking nämlich nicht sprechen. "Es gab schon immer Misstrauen, beide Staaten trauen sich nicht wirklich über den Weg", erinnert er.
Umso größer sei die Genugtuung in Peking nun, dass sich Putin an China gewandt habe. "Zu Sowjetzeiten schaute Moskau überheblich auf ein ärmeres und rückständigeres China herab, derzeit wird Russland zu einer wirtschaftlichen Kolonie von Pekings Gnaden herabgestuft", macht Lee deutlich.
Russland macht sich abhängig
Putin mache sich immer abhängiger von China, dabei sei Russland für China nur als Rohstofflieferant und Absatzmarkt für chinesische Waren interessant. Das sieht auch Sandschneider so: "Russland wird zu einer Tankstelle mit Atomwaffen", sagt er.
Wäre China also der einzige globale Player, der Putin Einhalt gebieten könnte? "Ja, wenn China sich den westlichen Sanktionen anschließen und mit einem Ressourcen-Boykott auf Russland einwirken würde, hätte Putin kaum Möglichkeiten, seinen Krieg fortzuführen", schätzt Sandschneider.
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Peking als Vermittler?
Auch wenn China seinen Energiehunger etwa durch eine Übernahme Sibiriens stillen wollte, dürfte Putin mit zwei Fronten massiv überfordert sein. "Putin kann sich aber sicher sein, dass China das nicht tun wird ", meint Sandschneider. China werde bei seiner derzeitigen Rolle bleiben. "In einer richtigen Vermittlerrolle müsste Peking in Kauf nehmen, dass eine Vermittlung scheitern oder sehr teuer werden kann", merkt er an.
Im Augenblick sei die innerchinesische Politik ohnehin von der Corona-Pandemie, dem damit zusammenhängenden Unmut in der Bevölkerung und der Wirtschaftspolitik bestimmt. "Das hat Priorität verglichen mit einem Krieg, der mindestens geografisch weit entfernt ist", schätzt er.
Wird Xi Putin stoppen?
Auch Lee glaubt nicht, dass Xi Jinping den Kreml-Chef aufhalten wird. "China beobachtet allerdings sehr genau, wie der Westen in Bezug auf die Ukraine reagiert", sagt er. Denn China erhebt selbst Anspruch auf Taiwan.
"Ob Xi Taiwan angreift, womit er immer wieder gedroht hat, hängt von dem Agieren der USA ab – sie wären die einzigen, die China bei diesem Schritt behindern würden", schätzt Lee. Washington lasse Peking jedoch bewusst im Unklaren, in welcher Form und mit welcher Vehemenz die USA reagieren würden. "Anders als Putin will Xi sichergehen, dass ein Angriff wirklich erfolgreich wäre. Solange Peking sich da nicht sicher sein kann, wird es Taiwan nicht angreifen", meint Lee.
Taiwan-Frage im Blick
Sandschneider hält einen Angriff auf Taiwan aktuell ebenfalls für unwahrscheinlich. "Die chinesische Führung weiß sehr genau, dass das kein Spaziergang werden würde. Die taiwanesische Armee ist bestens ausgerüstet und ausgebildet", erinnert er.
Eine Insel bringe militärstrategisch außerdem eigene Herausforderungen mit sich. "Taiwan hat etwas, was die Ukraine nicht hatte: Den Taiwan Relations Act", so der Experte. Die Vereinigten Staaten wären unmittelbar in den Konflikt involviert – ein zu großes Risiko für Xi.
Verwendete Quellen:
- Politico: EU has ‘very reliable evidence’ China is considering military support for Russia
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