Nach mehreren vereitelten Attentatsversuchen übernimmt Oleksij Morosow die Führung der Staatssicherheitsbehörde. Seine Mission: Die Behörde von prorussischen Elementen zu säubern und die Sicherheit des Präsidenten zu gewährleisten. Was war überhaupt passiert? Gibt es weitere prorussische Agenten in den Sicherheitsdiensten? Und: Schwebt Selenskyj weiterhin in Gefahr? Ein Überblick.

Eine Analyse
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Er sollte entführt und getötet werden. Nun räumt er auf: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Chef der Verwaltung für Staatssicherheit Udo ersetzt. Auf Serhij Rud folgt Oberst Oleksij Morosow, der Angaben des Präsidenten zufolge die Reihen der Sicherheitsleute säubern soll.

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Selenskyj zählt zu den gefährdetsten Männern der Welt. Offenbar hatte der russische Geheimdienst FSB bereits mehrere Mordanschläge auf Selenskyj verüben wollen – bisher wurden jedoch alle vereitelt. Das jüngste Beispiel rückte bereits im Mai die persönliche Leibgarde des Präsidenten in den Fokus der Ermittlungen.

Was war passiert?

Angaben des ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU vom Mai zufolge waren zwei russlandfreundliche Agenten als hochrangige Offiziere in der Staatssicherheit angestellt. Offenbar waren sie vom russischen Nachrichtendienst FSB angeworben worden, Sie sollten wohl Leibwächter des Präsidenten anwerben, um in die Nähe von Selenskyj zu kommen. Weitere Details der Pläne wurden vom SBU bislang nicht veröffentlicht.

Zudem ließen sie laut SBU geheime Informationen, etwa über Selenskyjs Aufenthaltsort, durchsickern. In letzter Instanz sollte der ukrainische Präsident gekidnappt werden – um ihn dann zu ermorden. Zusätzlich plante Moskau, den Leiter des SBU ,Wassyl Maljuk, den Leiter des Militärgeheimdienstes HUR, Kyrylo Budanow, und weitere hochrangige Beamte zu eliminieren.

Beweise für diese Vorwürfe lieferte der SBU in Form angeblich abgehörter Gespräche, in denen russische Agenten einem ukrainischen Offizier 50.000 US-Dollar für Informationen und die Beteiligung an einem Attentat anboten. Zwei Tage nach der Festnahme der Verdächtigen entließ Selenskyj deren Vorgesetzten Serhij Rud. Morosow soll nun für Ordnung sorgen.

Welche Anschlagsversuche gab es bereits?

Über die genauen Pläne ist öffentlich nichts bekannt. Während des russischen Angriffskrieges gab es jedoch mehrfach Berichte über geplante Attentate auf Präsident Selenskyj. Anfang März dieses Jahres sagte dieser in einem Interview mit dem italienischen Fernsehsender Rai 1, dass die Kiewer Geheimdienste inzwischen von mehr als zehn versuchten Anschlägen ausgehen.

Besonders zu Beginn der Invasion schien die Ermordung Selenskyjs ein Hauptziel der russischen Streitkräfte zu sein. Obwohl reguläre russische Truppen Kiew nicht erreichten, gab es Schusswechsel im Regierungsviertel. Offiziellen Berichten zufolge hatte man damals russische Sabotagegruppen ausgeschaltet.

Ist Selenskyj weiterhin in Gefahr?

Selenskyj ist seit Beginn des Krieges durchgehend in Gefahr. Der kürzlich aufgedeckte Fall zeigt dies sehr eindrücklich. Gleichzeitig zeigt er auch, dass russische Agenten weiterhin in ukrainischen Behörden und Diensten aktiv sind. In den ersten Tagen der Invasion sollen SBU-Mitarbeiter etwa russischen Soldaten geholfen haben, in bestimmte Gebiete vorzudringen. Die Ermittlungen dazu sind noch nicht abgeschlossen.

Seit Februar 2023 leitet Wassyl Maljuk den SBU, er hat das Vorgehen des Geheimdienstes deutlich verbessert. Trotzdem: Es ist durchaus möglich, dass sich auch unter seiner Führung weiterhin prorussische Agenten unbemerkt in Schlüsselpositionen befinden. Unter dem 2014 gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowytsch arbeiteten viele hochrangige Offiziere beim SBU, die prorussisch eingestellt waren und sogar russische Pässe besaßen. Einige von ihnen flohen nach Russland – doch wie viele noch unter den SBU-Mitarbeitern sind, ist unklar.

Was soll der neue Leiter des Staatssicherheitsdienstes nun ändern?

Selenskyj betonte auf seinem Telegram-Kanal, dass die Hauptaufgabe des neuen Leiters der Staatsschutzabteilung darin besteht, sicherzustellen, dass ausschließlich patriotische Fachkräfte, die sich der Ukraine verpflichtet fühlen, bei den Geheimdiensten arbeiten. Dies sei der einzige Weg, sagte er. Die Behörde müsse zudem ihre Struktur und Arbeitsweise modernisieren, um den Kriegsanforderungen gerecht zu werden.

"Der neue Leiter hat einen Freibrief, um diese Änderungen vorzunehmen. Wir brauchen neue Ansätze für die Arbeit mit dem Personal - ohne Sowjetismus", fügte er hinzu. Die Abteilung müsse von allen gesäubert werden, die sich nicht für die Ukraine entschieden haben oder die Behörde diskreditieren.

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Was ist über Oleksiy Morozow und Selenskyjs Leibgarde bekannt?

Wenig bis gar nichts. Wie auch über andere Mitarbeitende des Staatssicherheitsdienstes Udo weiß man auch über Morozow kaum etwas. Bei seiner Ernennung dankte Morozow dem Präsidenten für sein Vertrauen und betonte, dass er dies mit seinen Taten und nicht durch Reden rechtfertigen werde. Morozow forderte zudem die Anwesenden auf, die Umgestaltung des Ministeriums und die Umsetzung der von ihm vorgeschlagenen Initiativen zu unterstützen.

Sein Stellvertreter ist weiterhin der persönliche Leibwächter Selenskyjs, Maxim Donez. Auch über ihn ist nicht viel bekannt. Medienberichten zufolge dürfte er heute 46 Jahre alt sein. Auch über seine angebliche Ehefrau und sein Kind wird gemunkelt – bestätigt wurden diese Gerüchte allerdings nie.

Donez erlangte 2023 einen hohen Bekanntheitsgrad, weil auf TikTok und YouTube Videos über ihn kursierten. Viele betitelten Donez als Sexsymbol, seit ein Video, das ihn beim Schwimmen zeigte, viral ging. Wie viele Leibwächter Selenskyj zusätzlich begleiten, ist unklar.

Die Verwaltung der Staatsgarde der Ukraine (Udo) ist eine Strafverfolgungsbehörde, die dem ukrainischen Präsidenten untersteht und vom Parlament kontrolliert wird. Ihre Hauptaufgabe ist der Schutz der Staatsorgane und die Sicherheit von bestimmten Beamten und deren Familien, sowohl in der Ukraine als auch im Ausland. Zudem verhindert sie illegale Übergriffe auf diese Personen und bewacht wichtige Objekte.

Gegründet am 15. Januar 1992 als Schutzbehörde für höhere Beamte, geht ihre Geschichte bis ins Jahr 1975 zurück, als sie als 9. KGB-Dienst der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik entstand.

Verwendete Quellen:

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