Die russische Gegenoffensive bei Kursk, unterstützt durch bis zu 12.000 nordkoreanische Soldaten, könnte den Kriegsverlauf maßgeblich beeinflussen. Was bedeutet diese massive Truppenansammlung für die Ukraine? Wie könnte ein solcher Vorstoß den Kriegsverlauf beeinflussen?
Die Ukraine steht vor einer ihrer größten Herausforderungen im Krieg gegen Russland: die Verteidigung des Brückenkopfs der russischen Region Kursk. Dieser strategisch wichtige Frontabschnitt, den die ukrainische Armee unter schwierigen Bedingungen hält, könnte in den kommenden Tagen oder Wochen über das weitere Kriegsgeschehen entscheiden.
Wie der ukrainische
"Die Lage ist zweifelsohne kompliziert", erklärt der Journalist und Konfliktbeobachter Nikita Gerasimov auf Anfrage unserer Redaktion. "Russische Truppen haben bereits einen ersten Anlauf einer Gegenoffensive gestartet, Boden zurückgewonnen und an mehreren Stellen gefährlich in das ukrainisch kontrollierte Territorium eingedrückt."
Warum Kursk strategisch wichtig ist
Die Region Kursk war schon im Zweiten Weltkrieg Schauplatz intensiver Kämpfe und gilt als Tor zur Ukraine. Historisch wie auch aktuell haben die geografischen Gegebenheiten eine wichtige Rolle gespielt. Der Brückenkopf, den die Ukraine hier hält, dient nicht nur als Verteidigungsposition, sondern auch als potenzieller Ausgangspunkt für zukünftige Angriffe auf russisch kontrollierte Gebiete.
"Der Verlust von Kursk würde den Ukrainern nicht nur eine wichtige Stellung nehmen, sondern auch einen psychologischen Dämpfer bedeuten", sagt Gerasimov. "Russland hat seit Monaten darauf hingearbeitet, die ukrainische Verteidigung an diesem Punkt zu brechen."
Für Russland könnte ein Erfolg bei Kursk nicht nur militärische Vorteile bieten, sondern auch innenpolitisch als Beweis für die Stärke der russischen Armee genutzt werden. Der Einsatz nordkoreanischer Soldaten, so Gerasimov, könnte dabei einen symbolischen Charakter haben: "Es zeigt, wie weit Russland bereit ist zu gehen, um seine Ziele zu erreichen."
Nordkoreanische Soldaten: Verstärkung oder Risiko?
Die Anwesenheit nordkoreanischer Soldaten wirft Fragen über ihre tatsächliche Effektivität auf. Während einige Experten darauf hinweisen, dass ihre Anwesenheit die russische Frontlinie stärken könnte, bleiben Zweifel an ihrer Kampffähigkeit. "Im Maßstab des gesamten Krieges sind 12.000 Kämpfer sicherlich keine entscheidende Zahl", meint Gerasimov. "Doch wenn sie konzentriert auf einer Offensivrichtung eingesetzt werden, könnten sie bei Kursk das Gleichgewicht zugunsten der russischen Seite kippen."
Die Ausbildung nordkoreanischer Soldaten ist auf interne Repression und Grenzsicherung ausgerichtet und unterscheidet sich grundlegend von den Anforderungen eines modernen Großkonflikts. "Nordkoreanische Soldaten könnten deutlich schlechter ausgebildet und vorbereitet sein, was sie anfällig für hohe Verluste macht", erklärt der Experte. Dennoch könnten sie, wenn sie als Stoßtruppen eingesetzt werden, kurzfristig eine Lücke füllen.
Unterzahl und Gerüchte um Rückzug
Für die Ukraine bleibt die Verteidigung von Kursk eine enorme Herausforderung. Schätzungen zufolge verteidigen etwa 10.000 ukrainische Soldaten die Region, wobei zusätzliche Kräfte in den vergangenen Wochen verlegt wurden. Dennoch bleibt die ukrainische Armee in deutlicher Unterzahl gegenüber den 50.000 angreifenden russischen und nordkoreanischen Truppen.
In ukrainischen Militärkreisen kursieren daher zunehmend Gerüchte über einen möglichen Rückzug. Dieser Schritt, erklärt Gerasimov, könnte vor allem dazu dienen, die ukrainischen Elitebrigaden zu schonen und sie vor einer Zerschlagung zu bewahren. "Ein Rückzug könnte notwendig werden, weil die Armee personell am Limit ist und an anderen Frontabschnitten akuter Personalmangel herrscht", so Gerasimov.
Politisch jedoch wäre ein Rückzug heikel. Die ukrainische Parlamentarierin und Parteifreundin von Selenskyj, Mariana Besuhla, hat den Generalstab und den Armeechef Oleksandr Syrskij scharf kritisiert. Sie warf ihnen vor, die Operation bei Kursk ohne einen klaren Plan B durchgeführt zu haben, und forderte Syrskij halb offen zum Rücktritt.
Langstreckenwaffen als Wendepunkt?
Um die russische Offensive zu bremsen, hat die Ukraine erstmals die Erlaubnis der USA erhalten, Langstreckenraketen des Typs ATACMS auf russischem Boden einzusetzen. Diese Waffen, die mehrere Hundert Kilometer Reichweite haben, könnten genutzt werden, um Nachschublinien und Munitionslager tief im russischen Hinterland anzugreifen.
Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha bezeichnete dies als möglichen Wendepunkt. "Kurz gesagt, es könnte ein Wendepunkt sein, und je weiter entfernt die Ukraine zuschlagen kann, desto kürzer wird der Krieg sein", sagte er vor einer Sitzung des Weltsicherheitsrates in New York.
Angesichts der Übermacht an russischen und möglicherweise nordkoreanischen Truppen bleibt abzuwarten, ob die Ukraine den Brückenkopf halten oder sich strategisch zurückziehen wird, um ihre Kräfte an anderer Stelle zu bündeln.
In jedem Fall zeigt die Lage, wie entscheidend die Ressourcenkontrolle und internationale Unterstützung für beide Seiten geworden sind. Mit Blick auf die jüngsten militärischen und politischen Entscheidungen könnte sich der Verlauf der Kämpfe nicht nur in Kursk, sondern entlang der gesamten Frontlinie nachhaltig verändern.
Über den Gesprächspartner
- Nikita Gerasimov ist freier Journalist und Konfliktbeobachter. An der Freien Universität Berlin ist er zudem als Tutor des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin tätig.
Verwendete Quellen
- Süddeutsche Zeitung: Mehrere Tote nach Angriff auf die Region Sumy
- Telegram Beitrag von Volodymyr Selenskyj
- washingtonpost.com: Ukrainian incursion in Kursk struggles as Russians retake territory
- ukrainian news: Syrskyi makes caption on troops withdrawal from Kursk Oblast – Bezuhla
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