Einen Vertrag unterschrieben, ins Flugzeug gesetzt – und auf einmal befinden sie sich im Krieg: Russland setzt Tausende ausländische Männer im Kampf gegen die Ukraine ein. Einige von ihnen berichten davon, hinters Licht geführt worden zu sein. Wie kann so etwas passieren?

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Ungewollt für den Kreml in den Krieg ziehen? Dass Männer aus Russland während mindestens einer großen Mobilmachung gezwungen wurden, im Krieg gegen die Ukraine zu kämpfen, ist nichts Neues. Doch offenbar werden auch ausländische Männer ohne ihr volles Einverständnis und ohne eine adäquate Ausbildung an die Front geschickt.

Inder, Nepalesen, Usbeken und viele weitere ausländische Kämpfer sind derzeit an der Front aktiv. Nicht alle von ihnen machen das freiwillig.

Die indische Zeitung "The Hindu" berichtet von mindestens 100 indischen Staatsbürgern, die für das russische Militär arbeiten. Einige von ihnen seien demnach an die Frontlinie gesendet worden – obwohl man ihnen etwas Anderes versprach. Dem "Hindu" habe einer der Männer gesagt, sie seien von einem Agenten hereingelegt worden, der ihnen sagte, sie würden nicht ins Kriegsgebiet geschickt.

Kurze Zeit von der Anwerbung bis zum Einsatz

Man habe ihnen ihre Pässe und Dokumente abgenommen und lasse sie nicht zurück nach Hause. Auch hätten die Männer versucht, Hilfe von der indischen Botschaft in Moskau zu bekommen, doch sie seien ignoriert worden.

In einer Videobotschaft an die Zeitung habe ein Betroffener gesagt: "Ich habe während des Trainings eine Schussverletzung an meinem Bein erlitten. Sie haben uns in einem Haus festgehalten und planen, uns in das Kriegsgebiet zu schicken. Ich habe der indischen Botschaft mehrmals gemailt und angerufen, aber sie reagiert nicht. Bitte helfen Sie uns."

Adrian Haack leitet das Auslandsbüro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Neu-Dehli. Auch er bestätigt auf Anfrage unserer Redaktion, dass indische Staatsbürger für Russland kämpfen. Kriegsentscheidend sei die Anzahl jener Inder, die an der Front sind, allerdings nicht. "Die Zahlen aus Indien sind – soweit bekannt – marginal, sodass es für den Krieg selbst keine größere Bedeutung haben sollte."

Auch wenn die Männer von einem Training berichten – in der britischen Zeitung "The Guardian" sprach einer von einem Monat–, können sie nicht nennenswert ausgebildet worden sein. Das meint auch Haack. Die Zeit von Anwerbung bis Einsatz sei sehr kurz gewesen, sagt er.

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Unfreiwillig in der Ukraine im Einsatz

Ob die Männer reingelegt wurden oder nicht, sei nicht eindeutig. "Die bekannten Fälle stammen nicht aus den wirtschaftlichen Boomregionen des Landes und viele Inder sind Analphabeten", erklärt der Experte. Es könne also sehr gut sein, dass sie völlig ahnungslos waren. Auch, dass ihnen bewusst war, wer der Arbeitgeber ist, ihnen aber nicht-militärische Tätigkeiten außerhalb der Ukraine in Aussicht gestellt wurden, könne demnach der Fall sein. Doch: "Letztlich kann man es nicht genau sagen, weil es natürlich auch eine Schutzbehauptung sein kann."

Laut Haack geht die indische Regierung offiziell davon aus, dass die Männer unfreiwillig in der Ukraine sind. "Die hohen Verluste der Russen sind kein Geheimnis in Indien. Warum sollte jemand ohne militärischen Hintergrund bewusst für einen Fronteinsatz unterschreiben?" Doch gerade im Norden Indiens sei die Gesellschaft aufgrund extremer Armut sehr auf finanzielle Anreize fokussiert. "Beide Varianten wären erklärbar", führt Haack aus.

"Ich bin nicht zum Vergnügen zum russischen Militär gegangen. In Nepal gab es für mich keine Arbeitsmöglichkeiten. Aber im Nachhinein betrachtet war es nicht die richtige Entscheidung."

Ein Nepalese, der im Kriegseinsatz ist

Auch Männer anderer Nationen kämpfen derzeit in der Ukraine für den Kreml. Etwa aus Nepal. Dass diese Männer in irgendeiner Art hereingelegt wurden, ist nicht bekannt. Doch Berichte darüber, dass sie relativ unvorbereitet kämpfen mussten, gibt es. Dem US-amerikanischen Sender CNN sagte etwa ein Nepalese, er habe sich entschlossen, für Russland zu kämpfen, weil er in Nepal keine Chance auf einen Job gehabt habe. Doch nachdem er wegen einer Verletzung traumatisiert zurück in seiner Heimat sei, bereue er diese Entscheidung.

"Ich bin nicht zum Vergnügen zum russischen Militär gegangen. In Nepal gab es für mich keine Arbeitsmöglichkeiten. Aber im Nachhinein betrachtet war es nicht die richtige Entscheidung. Uns war nicht klar, dass wir so schnell an die Front geschickt werden würden und wie schrecklich die Situation sein würde", sagt er bei CNN. Er sei im September 2023 in Moskau gelandet – zwei Wochen später habe er in Bachmut, im Osten der Ukraine kämpfen müssen.

Laut CNN ist dieser Mann einer von insgesamt rund 15.000 nepalesischen Männern, die sich dem russischen Militär angeschlossen haben - auch wenn die Regierung in Nepal offiziell nur von 200 spricht. Russland habe ausländischen Kämpfern ein lukratives Angebot gemacht, heißt es weiter bei CNN: Umgerechnet rund 1.800 Euro Monatsgehalt und ein beschleunigtes Verfahren, um den russischen Pass zu bekommen.

Sie stammen aus Nepal, einem der ärmsten Länder der Welt

Die Aussicht auf solch ein Monatsgehalt ist vor allem für Menschen aus Nepal, deren Land zu den ärmsten Regionen der Welt gehört, verlockend. Laut Daten der Weltbank beträgt das BIP pro Kopf dort gerade einmal umgerechnet 1.230 Euro. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 44.840 Euro.

Viele ausländische Kämpfer sind ursprünglich Wirtschaftsmigranten, hauptsächlich aus Zentralasien – Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan. Laut dem Zentrum für Oststudien, einer unabhängigen Denkfabrik mit Sitz in Warschau, kamen im Jahr 2023 3,5 Millionen Menschen von dort nach Russland, um zu arbeiten. 2022 waren es noch drei Millionen. Kurz nach der Invasion begann der Kreml die Rekrutierung dieser männlichen Arbeiter und intensivierte diese im Jahr 2023 mit Razzien an Arbeitsplätzen, Märkten, Moscheen und Wohnheimen. Auch in Gefängnissen wurden Ausländer demnach eingezogen: Einige Häftlinge ohne russische Staatsbürgerschaft oder solche, die auf ihre Abschiebung warteten, seien faktisch zwangsrekrutiert worden, heißt es bei der Denkfabrik weiter. Vollzugsbeamte hätten ihnen suggeriert, dass der Militärdienst sie vor Haft oder Abschiebung schützen könnte.

Über den Gesprächspartner:

  • Adrian Haack hat Politikwissenschaften an Universitäten in Hannover, Warschau und Göttingen studiert und arbeitete anschließend als Außenpolitischer Referent im Deutschen Bundestag. Aktuell leitet er das Büro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Neu-Delhi. Seine Hauptaufgaben umfassen die Analyse der Außen- und Sicherheitspolitik in Südasien sowie die Untersuchung der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens.

Quellen:

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

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