In den Niederlanden hat der Rechtspopulist Geert Wilders die Parlamentswahlen gewonnen. Bröckelt damit auch die militärische Unterstützung für die Ukraine weiter? Die amtierende niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren sagt: "Ich erwarte, dass unsere Zusagen Bestand haben."
Seit Mitte November werden ukrainische Soldaten in Rumänien an F16-Kampfflugzeugen aus den Niederlanden ausgebildet. Die niederländische Regierung hat den Verteidigungskrieg der Ukraine gegen Russland von Beginn an intensiv unterstützt: mit Waffenlieferungen im Wert von 2,1 Milliarden Euro. Doch jetzt steht in Den Haag ein Regierungswechsel an – und Wahlsieger Geert Wilders lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab.
Die noch amtierende niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren hofft auf Kontinuität: Im Parlament und in der Bevölkerung gebe es weiterhin Rückhalt für die Unterstützung der Ukraine, sagt sie Interview mit unserer Redaktion in der niederländischen Botschaft in Berlin.
Frau Ollongren, die Niederlande haben die Ukraine von Anfang an sehr entschlossen unterstützt. Offenbar war dieser Kurs in Ihrem Land weniger umstritten als in Deutschland. Warum?
Kajsa Ollongren: Wir haben unsere Motive immer deutlich gemacht. Die Ukraine wurde von Russland überfallen und hat das volle Recht, sich zu verteidigen. Das geht nicht ohne die Unterstützung von Partnern. Darum ist es gerechtfertigt, den Ukrainern zu helfen: mit Waffen, Munition, Training. Diesen Krieg führen die Ukrainer. Trotzdem ist es ein Krieg in Europa – der größte seit dem Zweiten Weltkrieg. Damit stellt er auch eine Bedrohung dar für Rechtsstaat, Demokratie und alles, was wir in der Europäischen Union wichtig finden. Putin muss verstehen: Aggression wird nicht belohnt.
Glauben Sie, dass die Botschaft deutlich geworden ist?
Es ist jedenfalls erstaunlich: Putin hat nach mehr als 600 Tagen Krieg noch kein Ziel erreicht. Finnland ist Mitglied der Nato geworden, Schweden ist es fast. Die Ukraine sitzt buchstäblich im Wartezimmer von EU und Nato. Dieser Überfall hat unsere Einheit in Europa nur noch vergrößert.
Sehen die Menschen in den Niederlanden das auch so?
Ich erfahre in den Niederlanden immer noch volle Unterstützung für die Ukraine. Natürlich machen sich die Menschen Sorgen über den Krieg an sich und über die Sicherheitslage. Aber wir wollen ja gerade verhindern, dass wir in diesen Krieg hineingezogen werden. Deswegen ist die Abschreckung so wichtig.
Lesen Sie auch:
- Im Schatten des Terrors gegen Israel: Schwindet die Unterstützung für die Ukraine?
- An Bomben gewöhnt: Ukrainer entschließt sich noch rechtzeitig zur Flucht
Kajsa Ollongren: "Am Anfang waren die Deutschen in der Tat etwas zurückhaltend"
In Deutschland steht die Bundesregierung von zwei Seiten unter Druck. Es gibt Menschen, die die Waffenlieferungen ablehnen. Es gibt aber auch viele Stimmen, die die Haltung der Regierung zu zögerlich finden. Wie nehmen Sie Ihre deutschen Partner wahr?
Am Anfang waren die Deutschen in der Tat etwas zurückhaltend. Diese Zögerlichkeit haben sie aber schnell abgelegt. Wir haben zusammen die Panzerhaubitze 2000 geliefert, und Olaf Scholz hat mit seiner Zeitenwende-Rede eine klare politische Wahl getroffen. Ich kann die politische und gesellschaftliche Diskussion nachvollziehen – die verläuft in Deutschland etwas anders als in anderen Ländern. Wir müssen immer wieder deutlich machen: Wenn wir selbst nicht in diesen Krieg hineingezogen werden wollen, müssen wir dafür sorgen, dass die Ukraine ihn gewinnt.
Es sieht aber nicht so aus, dass das schnell passiert. Auch weil die Waffenlieferungen aus dem Westen sich in die Länge ziehen.
Wir haben eine Initiative für die Lieferung von vielen Panzern auf den Weg gebracht, aber dieser Krieg lässt sich dadurch alleine nun einmal nicht gewinnen – dazu hat Russland zu viele Minen ausgelegt. Dieser Krieg braucht Zeit. Es kostet Zeit, Entscheidungen zu treffen. Es kostet auch Zeit, Lieferungen in Gang zu bringen und die ukrainischen Soldaten auszubilden. Auch die Munitionsproduktion muss erhöht werden. Aber das dauert Monate und Monate. Es geht nicht so sehr darum, ob wir mehr liefern müssen – wir müssen unsere Zusagen umsetzen und die Unterstützung durchhalten.
In den Niederlanden ist Ihre Regierung allerdings gerade abgewählt worden. Die Wahl hat Geert Wilders mit seiner PVV gewonnen. Er will Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen – zum Beispiel die Lieferung von F16-Kampfflugzeugen.
Ja, das hat er gesagt. Im neuen Parlament gibt es aber immer noch eine breite Mehrheit für die Unterstützung der Ukraine. Alleine hat die PVV keine Mehrheit. Ich erwarte, dass unsere Zusagen Bestand haben und dass andere Parteien die Linie von Wilders nicht unterstützen. Die Niederlande haben mit der F-16-Koalition zusammen mit Dänemark und den USA eine wichtige Rolle auf sich genommen. Für die Ukraine ist diese Lieferung sehr wichtig – aber auch für unsere Glaubwürdigkeit und die Einheit, die wir ausstrahlen wollen. Wir werden die Lieferung als amtierende Regierung weiter vorantreiben, und ich erwarte, dass das Parlament dazu steht.
War der Wahlerfolg von Wilders nicht auch ein Misstrauensvotum gegen Ihre Ukraine-Politik?
Nein. In der Tat haben alle regierenden Parteien bei diesen Wahlen deutlich verloren. Wir hatten im Sommer eine politische Krise, weil sich die Koalition nicht auf eine gemeinsame Migrationspolitik einigen konnte. Diese Krise war eigentlich unnötig, aber sie hat viel zu früh zu Neuwahlen geführt. Es gab auch noch einen Führungswechsel bei unserem Koalitionspartner VVD, weil Premier Mark Rutte die Politik verlässt. So erkläre ich diesen Wahlausgang. Er hat nichts zu tun mit internationalen Entwicklungen und dem Krieg in der Ukraine.
Über die Gesprächspartnerin
- Kajsa Ollongren wurde 1967 im niederländischen Leiden geboren – als Tochter einer Schwedin und eines Niederländers. Sie studierte Geschichte in Amsterdam und besuchte die französische Verwaltungshochschule ENA. Nach Beamtenpositionen in mehreren Ministerien wurde sie für die sozialliberale Partei Demokraten 66 im Jahr 2017 Innenministerin und im Januar 2022 dann Verteidigungsministerin in der Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.