Der ukrainische Armeechef spricht von einer "deutlich verstärkten" Offensive der russischen Truppen. Moskau vermeldet eine Eroberung.
Die militärische Lage im Osten der Ukraine spitzt sich nach Angaben der Armeeführung zu: "Die Lage an der Ostfront hat sich in den vergangenen Tagen erheblich verschlechtert", sagte Armeechef Oleksandr Syrskyj am Samstag. Seit der Präsidentschaftswahl in Russland vor einem Monat habe die russische Armee ihre Offensive "deutlich verstärkt". Am Samstag gab die russische Armee die Eroberung einer Ortschaft nahe der ostukrainischen Stadt Awdijiwka bekannt.
Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, die russischen Soldaten hätten das südlich von Awdijiwka gelegene Perwomajske "befreit". Russland hatte Awdijiwka im Februar nach langen Kämpfen vollständig unter seine Kontrolle gebracht.
Die Ukraine bestätigte den Verlust des Dorfs zunächst nicht. Die ukrainische Armee hatte am Freitag noch erklärt, sie habe Angriffe auf das Dorf abgewehrt.
Ukrainische Armee leidet an Munitionsmangel
Russland meldet seit Wochen regelmäßig Erfolge der eigenen Armee in der Gegend um Awdijiwka, während die ukrainische Armee unter den Folgen von Munitionsmangel und Schwierigkeiten bei der Rekrutierung neuer Soldaten leidet.
Vor einigen Tagen hatte die ukrainische Armee etwa von einer "schwierigen und angespannten" Lage rund um die Stadt Tschassiw Jar gesprochen. Das Gebiet liege "unter Dauerfeuer". Tschassiw Jar liegt etwa 20 Kilometer westlich von Bachmut, das im Mai vergangenen Jahres nach monatelangen Kämpfen von russischen Truppen erobert wurde.
"Der Feind greift unsere Stellungen in den Sektoren Lyman und Bachmut mit von gepanzerten Fahrzeugen unterstützten Kampfgruppen an", sagte Syrskyj. Im Gebiet Pokrowsk versuchten russische Truppen, die ukrainischen Verteidigungslinien mit dutzenden von Panzern und gepanzerten Truppen zu durchbrechen.
Selenskyj warnt vor Niederlage in Ukraine-Krieg
Laut dem Armeechef ist Russland dabei, seine Truppen mit neuen Einheiten zu verstärken. Dadurch erziele die russische Armee "zeitweise taktischen Erfolg". Die Ukraine wolle daher "die problematischsten Verteidigungs-Zonen mit elektronischer Kriegsführung und Luftverteidigung verstärken", kündigte Syrskyj an.
Nur durch den Einsatz von High-Tech-Waffen könne es der Ukraine gelingen, "technische Überlegenheit über den Feind zu erlangen", mahnte Syrskyj: "Nur so können wir einen größeren Feind besiegen und die Bedingungen schaffen, strategisch die Initiative zu ergreifen." Zudem müsse die Ausbildung der ukrainischen Soldaten vor allem im Bereich der Infanterie verbessert werden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte angesichts der schwierigen Lage im Osten des Landes vor wenigen Tagen vor einer Niederlage seines Landes im Krieg gegen die russischen Angreifer gewarnt. Die Ukraine wartet händeringend auf weitere Militärhilfe der USA, die seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 wichtigster militärischer Unterstützung des Landes waren. Seit Ende vergangenen Jahres blockieren die Republikaner im US-Kongress unter Druck des früheren Präsidenten Donald Trump ein neues Ukraine-Hilfspaket im Umfang von 60 Milliarden Dollar (rund 55 Milliarden Euro).
Deutschland liefert Ukraine weiteres Patriot-Luftabwehrsystem
Deutschland kündigte am Samstag an, der Ukraine in Kürze ein drittes Patriot-Luftabwehrsystem zu liefern. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte die Lieferung persönlich in einem Telefonat mit Selenskyj zu, wie ein Regierungssprecher in Berlin mitteilte. Beide seien sich dabei einig gewesen, "dass auch weitere Anstrengungen von Partnern" für die Stärkung der ukrainischen Luftverteidigung erforderlich seien.
Selenskyj dankte Scholz im Onlinedienst X für die Entscheidung. Demnach sagte der Kanzler auch weitere Luftabwehrraketen für die bisher eingesetzten Patriot-Systeme zu. "Danke, Olaf, für deine Führungsstärke", schrieb der ukrainische Staatschef. "Dies ist ein echtes Zeichen der Unterstützung für die Ukraine in einem kritischen Moment."
In seiner abendlichen Videoansprache sagte Selenskyj, er bemühe sich auch um die Lieferung eines zusätzlichen Luftabwehrsytems vom Typ Iris-T durch Deutschland.
Russland beschuldigte die Ukraine unterdessen, bei einem Beschuss der besetzten Stadt Tokmak in der südukrainischen Region Saporischschja zehn Menschen getötet zu haben. Russland hatte Tokmak schon zu Beginn der Invasion erobert. Die ukrainischen Behörden in Saporischschja erklärten, Russland habe die Region binnen eines Tages mehr als 400 Mal angegriffen, auch aus der Luft. (AFP/tas)
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