Putin und Trump haben sich nach einem Telefonat auf sofortige Verhandlungen über ein Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine geeinigt. Militärexperte Gustav Gressel sieht damit einen Krieg in Europa nahezu unausweichlich kommen – und hat einen dringenden Rat an die deutschen Entscheidungsträger.
US-Präsident Trump und Kreml-Chef Putin haben telefoniert und sich offenbar auf sofortige Verhandlungen zum Ukraine-Krieg geeinigt. Was bedeutet das jetzt militärisch – ist das der Durchbruch zum Frieden?
Gustav Gressel: Das ist nicht der Durchbruch zum großen Frieden, das ist der Durchbruch zum großen Krieg. Jetzt ist es sicher, wirklich sicher, dass es kein auf die Ukraine begrenzter Krieg bleiben wird. Wir werden in den nächsten Jahren, wenn nicht Monaten, einen Großkrieg um Europa haben.
Was bringt Sie zu dieser Einschätzung?
Die Ukraine wird unter den Bus geschmissen. Jeder Waffenstillstand, von dem Trump schwafelt, wird nicht lange halten, ohne amerikanische Waffenunterstützung und ohne ernste Sicherheitsgarantien.
Die USA haben gestern in Brüssel deutlich gemacht, dass sie Zugeständnisse von Kiew erwarten – einen Verzicht auf einen Nato-Beitritt. Außerdem sollen die Europäer die Ukraine weitgehend alleine unterstützen und einen Frieden militärisch absichern - ohne amerikanische Truppen.
Einen Waffenstillstand auf Treu und Glauben wird Putin nicht ernst nehmen. Für Russland dienen diese Verhandlungen nur zur Schaffung für einen günstigeren Fortsetzungskrieg, zu besseren Bedingungen, als es diesen Krieg führen kann. Und das hat Putin mit seinem Telefonat erreicht, indem er Trump geschmeichelt hat und Trump hinters Licht geführt hat.
Was wird Putin von Trump wohl verlangt haben?
Trump ist ein extrem begrenzter, narzisstischer Mensch und dementsprechend ist er Putin voll auf den Leim gegangen. Putin wird ihm persönlich geschmeichelt haben, das sieht man auch an Trumps Aussagen über die glorreiche Vergangenheit. Der gefuchste KGBler hat den Volksschüler Trump aufs Parkett geführt und ist mit ihm Schlitten gefahren.
Und jetzt?
Europa kann aus eigener Kraft die Ukraine nicht im Krieg halten – weder in diesem, noch im Fortsetzungskrieg. Es bringt auch wenig, darüber zu sinnieren, wie man sich mit Trump arrangieren könnte. Er ist ein Feigling, der gegenüber Staaten, die mit ernsten Konsequenzen drohen, sofort zurückschreckt. Er zog schon vor China, Nordkorea und dem Iran den Schwanz ein, jetzt vor Russland. Anstatt nett zu ihm zu sein, braucht Europa Machtmittel, um Gegendruck aufzubauen.
Dabei sollte es keine Tabus geben: sofort aus dem Nichtverbreitungsvertrag auszusteigen, wäre eine überlegenswerte und auch rechtlich berechtigte Drohung. Denn das dieser Trump im Konfrontationsfall das amerikanische nukleare Gewicht in die Waagschale wirft, um einen Angriff auf Europa aufzuhalten, ist äußerst unwahrscheinlich.
"Die Amerikaner benutzen ihr nukleares Privileg, um jetzt einfach Erpressungen zu fahren."
Sie sprechen vom Atomwaffensperrvertrag, in dem sich die Kernwaffenstaaten auf das Ziel vollständiger nuklearer Abrüstung verpflichten und die Nichtkernwaffenstaaten auf den Verzicht von Nuklearwaffen.
Wir sehen, dass die Nuklearmächte, sowohl Russland als auch die USA, ihre Verpflichtungen im Nichtverbreitungsvertrag absolut nicht erfüllt haben. Denn diese Verpflichtungen gelten auch für die Sicherheit der übrigen Staaten nach UN-Charta. Das hat Russland schon gebrochen und die Amerikaner verteidigen es nicht. Im Gegenteil: Die Amerikaner benutzen ihr nukleares Privileg, um jetzt einfach Erpressungen zu fahren. So kann das nicht weiter gehen.
Was müsste Europa jetzt tun?
Wenn wir alle in ein gemeinsames europäisches oder im Extremfall auch deutsches Nuklearwaffenprogramm einzahlen, kommen wir auch auf die Trump-Forderung von fünf Prozent. Das ist aus meiner Sicht die einzige Art und Weise, die europäische Unabhängigkeit und Sicherheit zu bewahren. Wir müssen uns im Klaren sein: Russland geht es nicht um die Ukraine, Russland geht es darum, Europa zu beherrschen. Die Vernichtung der Ukraine ist die Vorbedingung, Europa zu beherrschen – jetzt ist dieses Ziel zum Greifen nah.
Für die deutsche Sicherheit ist es im Grunde unumgänglich, dass man über eine zuverlässige nukleare Abschreckung verfügt. Die amerikanische ist seit den vergangenen Tagen nicht mehr glaubwürdig. Soviel ist klar.
Damit könnte man einen Großkrieg noch abwenden?
Wir brauchen jetzt eine nukleare Abschreckung, die die Russen zurückweisen kann. Die Ukraine wurde angegriffen, weil sie das Budapester Memorandum und den NPT unterzeichnet hat. Die russische Armee ist den Europäern derzeit konventionell überlegen. Wenn, wie Hegseth in Brüssel sagte, die Europäer die konventionelle Verteidigung komplett selbst übernehmen müssen und Russland in der Ukraine siegt, stünde eine siegestrunkene, sich selbst überschätzende Armee an unserer Grenze, die nur durch Trumps entschlossene nukleare Drohung zurückgewiesen werden könnte. Aber an die glaubt keiner mehr.
Ein weiteres Problem ist, dass es aus Putins Sicht vorteilhafter ist, den Krieg um Europa schneller zu beginnen als später. Selbst, wenn wir jetzt die fünf Prozent investieren, bräuchte es Zeit, um Gerät zu produzieren, Soldaten auszubilden und so weiter. Je früher Putin angreift, desto besser für ihn. Die Zeit, die wir zur Nachrüstung gebraucht hätten, hätte uns ja die Ukraine erkämpft. Die wird aber jetzt an den Abgrund getrieben.
Aber wir sollten zumindest versuchen, diesen großen europäischen Krieg noch aus eigener Kraft abzuwenden. Ob sich das überhaupt machen lässt, ist fraglich. Das hängt natürlich mit den Versäumnissen der Europäer in den letzten 30 Jahren zusammen. Aber das ist vergossene Milch. Jetzt gilt es jede Anstrengung in die Abwendung dieses Krieges zu stecken: durch militärische Unterstützung der Ukraine und durch massive Nachrüstung ohne Tabus.
Über den Gesprächspartner
- Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.
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