Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verstoß gegen das internationale Völkerrecht und das Kriegsrecht: Erneut kursieren entsetzliche Bilder online, in denen russische Soldaten offenbar den Kopf eines ukrainischen Soldaten abgetrennt und auf einem Panzer platziert haben. Die ukrainische Staatsanwaltschaft ermittelt bereits. Für russische Soldaten sind solche Taten aber offenbar bereits geübte Praxis.

Eine Analyse
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Wieder einmal machen Bilder des Grauens die Runde im Internet. Offenbar haben russische Soldaten den Kopf eines ukrainischen Soldaten abgetrennt und ihn auf ein Panzerfahrzeug platziert. Das legen zumindest Bilder nahe, die momentan auf X (ehemals Twitter) kursieren. Auch die ukrainische Staatsanwaltschaft hat sich bereits eingeschaltet.

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Generalstaatsanwalt Andriy Kostin schrieb dazu auf X am 18. Juni: "Wir haben Informationen erhalten, dass russische Befehlshaber befohlen haben, ukrainische Soldaten nicht als Gefangene zu nehmen, sondern sie mit unmenschlicher Grausamkeit durch Enthauptung zu töten. In der Region Donezk wurde die Enthauptung eines ukrainischen Verteidigers festgestellt." Laut dem humanitären Völkerrecht und auch dem internationalen Kriegsrecht ist es verboten, eine solche Anweisung zu geben, etwas Derartiges anzudrohen oder auszuführen. Im Fachjargon spricht man davon, "kein Pardon" zu geben.

Generalstaatsanwalt: Russland will Ukrainer ausrotten

Kostin bezeichnete die dokumentierten Taten als erschreckende Beweise für "die verbrecherische Politik Russlands, die auf die Ausrottung der Ukrainer abzielt". Man habe mittlerweile sowohl das Opfer als auch den mutmaßlichen Befehlsgeber identifiziert, schreibt der Generalstaatsanwalt auf X. Überraschend kommen etwaige Bilder nicht, auch wenn sie weiterhin erschüttern: Seit Beginn der großangelegten Invasion gibt es immer wieder Berichte von Kriegsverbrechen und Gräueltaten, die offenbar von russischen Truppen begangen werden.

Erst Anfang Mai hatte die internationale Organisation Human Rights Watch einen Bericht veröffentlicht, in dem es heißt, russische Streitkräfte hätten seit Anfang Dezember 2023 mindestens 15 ukrainische Soldaten hingerichtet, die im Begriff waren, sich zu ergeben. Zudem sollen möglicherweise sechs weitere Soldaten getötet worden sein, die sich ebenfalls ergeben wollten oder sich bereits ergeben hatten.

"Seit ihrer groß angelegten Invasion der Ukraine haben die russischen Streitkräfte zahlreiche schreckliche Kriegsverbrechen begangen", wird die stellvertretende Direktorin für Krisen und Konflikte bei Human Rights Watch, in dem Bericht zitiert. "Die summarische Hinrichtung – oder Ermordung – kapitulierender und verletzter ukrainischer Soldaten, die kaltblütig niedergeschossen wurden, was nach dem humanitären Völkerrecht ausdrücklich verboten ist, gehört zu diesen schändlichen Taten."

Leichenschändung ebenfalls Kriegsverbrechen

Der erneute Vorfall, der am 18. Juni öffentlich wurde, zeigt neben dem Tatverdacht, gegen das Verbot von Kampfhandlungen ohne Pardon verstoßen zu haben, auch die mögliche Schändung einer Leiche, da der abgetrennte Kopf auf dem Panzer platziert wurde. Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 2016 gilt auch ein Verstorbener als eine zu schützende Person im Sinne des Völkerrechts. Demnach gelten die Verunglimpfung und auch die Zurschaustellung einer Leiche auch als Kriegsverbrechen.

Es ist auch nicht das erste Mal, dass Videos kursieren, in denen ukrainische Kämpfer enthauptet werden. Bereits 2023 sind mehrere solcher Videos öffentlich geworden. Zudem ist damals ein Video aufgetaucht, das enthauptete ukrainische Soldaten in der damals noch umkämpften Stadt Bachmut zeigt. Laut der Stimmen in dem Video seien die Kämpfer zuvor von einer Mine getötet worden. Die Köpfe seien post mortem abgetrennt worden.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte damals gesagt, solche Videos zeigten Russland, wie es wirklich ist. Auch die Organisation Human Rights Watch zeigte in ihrem Bericht vom Mai auf, dass sich Russland bereits vor dem Krieg in der Ukraine verschiedener Kriegsverbrechen schuldig gemacht habe und auf Forderungen, diese zu ahnden, nicht reagiere.

"Die umfangreiche Dokumentation von Human Rights Watch zu Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht in Tschetschenien, Georgien, Syrien und der Ukraine über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten zeigt deutlich, dass Russland nicht bereit ist, Kriegsverbrechen und andere Verstöße gegen das Völkerrecht durch die eigenen Streitkräfte zu verfolgen", schreibt Human Rights Watch in ihrem Bericht.

Hingerichteter Ukrainer wird nach seinem Tod zum Helden

Großen Aufruhr hatte es im März 2023 gegeben, als russische Soldaten einen ukrainischen Gefangenen hingerichtet hatten, der den ukrainischen Kampfruf "Slawa Ukrajini" zitiert hatte. Kurz nachdem das Video öffentlich worden war, hatte sich die Weltgemeinschaft bestürzt gezeigt. Es hatte Gemälde, T-Shirts, Postkarten und andere Merchandise-Produkte gegeben, die das Gesicht des Soldaten zeigten und ihn ehrten.

Seit Beginn der Invasion am 24. Februar 2022 läuft parallel zu den Kämpfen auch die Suche nach Beweisen von Kriegsverbrechen. Anklagen wegen Kriegsverbrechen können an unterschiedlichen Orten verhandelt werden: vor nationalen Gerichten in der Ukraine, vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag und vor nationalen Gerichten anderer Länder wie Deutschland.

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Ukrainische Behörden führen bereits umfassende Ermittlungen durch. Zuständig sind zunächst die Justizbehörden des Landes, in dem die Verbrechen begangen wurden. Seit Beginn des Krieges hat die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen und einzelne Verurteilungen russischer Soldaten vorgenommen, unterstützt von internationalen Rechtsexperten wie dem deutschen Oberstaatsanwalt Klaus Hoffmann.

Der IStGH wird von 123 Staaten anerkannt, nicht aber von den USA, China, Israel, Syrien, Russland und der Ukraine. Dennoch kann der IStGH Verbrechen in der Ukraine verfolgen, da die Ukraine 2014 und 2015 eine "ad hoc-Anerkennung" ausgesprochen hat.

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