• Der Kreml soll nahe der Gaspipeline "Nordstream 1" mehrere Millionen Kubikmeter Gas verbrennen, die eigentlich für den Export nach Deutschland bestimmt waren.
  • Riesige Flammen sind bis nach Finnland zu sehen.
  • Warum macht der Kreml das? Zwei Experten geben Antworten – und warnen vor fatalen Folgen.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Bilder von riesigen Feuern gehen um die Welt. Sie sollen in Finnland, an der russischen Grenze nahe der Pipeline Nordstream 1 aufgenommen worden sein. Die Vermutung: Russland verbrennt massenweise Gas – das eigentlich für die Lieferung nach Deutschland vorgesehen war. Das berichtete zuerst der britische Sender BBC.

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Das Gas soll bereits seit einigen Wochen in Portowaja, nordwestlich von Sankt Petersburg, fackeln und sogar auf Satellitenbildern zu sehen sein. Dort befinden sich der Ursprung der Ostseepipeline Nord Stream 1 und eine neue Anlage zur Herstellung von Flüssigerdgas (LNG).

Gazprom äußert sich nicht zum Abfackeln des Gases

Beobachter werten die Verbrennungen als Zeichen, dass die starke Verringerung des deutschen Gasverbrauchs aus russischen Lieferungen Wirkung zeigt. "Weil sie ihr Gas nirgendwo anders verkaufen können, müssen sie es verbrennen", sagte Deutschlands Botschafter in London, Miguel Berger, der BBC.

Die russische Gaspipeline Nordstream 1 ist bereits seit Wochen nicht voll ausgelastet, seit Mittwochmorgen kommt kein Gas mehr nach Deutschland. Russland begründete das erneut mit technischen Wartungen. Deutschland bezieht das meiste Gas inzwischen aus Norwegen. Russland hat derweil bereits mit China eine Vereinbarung über zusätzliche Gaslieferungen getroffen.

Trotzdem dürften die Verbrennungen für den Kreml einen massiven Wertverlust bedeuten: Der Energie-Branchendienst "Rystad" schätzt die verbrannte Masse auf täglich etwa 4,34 Millionen Kubikmeter Gas – umgerechnet wären das rund zehn Millionen Euro am Tag. Gazprom äußerte sich auf Anfrage der Nachrichtenagentur "Reuters" nicht zum Abfackeln des Gases.

Statt nach Deutschland zu liefern: Russland verbrennt wohl gezielt Gas

Der russische Staatskonzern Gazprom verbrennt offenbar einen Teil des Gases, das nach Deutschland geliefert werden sollte. Das geht aus einem Bericht der "Welt" hervor. An der Verdichterstation im russischen Portowaja bei Sankt Petersburg ist demnach Feuer zu sehen.

Was sind die Motive des Kremls für die Gasverbrennung?

"Gasverbrennungen für Restmengen sind nicht unüblich", sagt Energieexperte Dominik Möst. Erdgas, welches bei konventioneller Erdölförderung als sogenanntes assoziiertes Erdgas anfalle, werde regelmäßig verbrannt. "In Einzelfällen ist es wirtschaftlicher, dass Gas abgefackelt wird", so der Experte. Entscheidend sei die Flexibilität der Förderung und des gesamten Systems. "Die Flexibilität hängt von einigen Faktoren ab, unter anderem in welcher Förderphase sich einzelne Lagerstätten befinden", erklärt Möst.

Bei einem Gasfeld in der primären Förderphase, das heißt mit natürlichem Lagerstättendruck, können die Lagerstätten in der Regel geschlossen werden. "Bei Feldern in späten Förderphasen ist das Wiederanfahren problematisch, sodass diese weitergelaufen lassen werden", sagt Möst. Auch Felder, die Öl und Gas fördern, werden in der Regel weiterbetrieben.

Wissenschaftler sprechen von Umweltkatastrophe

Auch Energieexperte Sven Teske sagt: "Der Gastransport nach Deutschland oder Europa ist unterbrochen – daher muss die Gasförderung ebenfalls unterbrochen werden." Beim Verschließen der Förderbohrungen könne aber nicht einfach ein Hebel umgelegt werden, es sei ein komplizierter und teurer Prozess.

Sollte es technische Gründe geben, kann er sich auch vorstellen, dass die Wartung der Turbinen für die Gaspipeline Nordstream 1 stockt und Ersatzteile beziehungsweise neue Turbinen derzeit nicht von Siemens geliefert werden. "Die Turbinen verdichten das Erdgas, welches für den Transport durch die Pipeline erforderlich ist. Am Standort der Nordstream 1 sind davon 8 Turbinen verbaut", erklärt Teske.

Eine andere Option sei es, das Gas umzuleiten und zu anderen Kunden zu liefern. "Dafür reichen aber die Kapazitäten der anderen Pipeline-Verbindungen nicht aus." Die Entscheidung, das Gas einfach abzufackeln, sei eine "unglaublich umweltverbrecherische" Option. Auch der Branchendienst "Rystad" bezeichnete das Verbrennen solch großer Mengen Erdgas als Umweltkatastrophe. Es würden täglich rund 9.000 Tonnen CO2 freigesetzt.

Experte sieht fatale Verschwendung

Teske erinnert: "Um den Klimawandel auf maximal +1,5 Grad Celsius zu begrenzen, bleibt uns ein Kohlenstoff-Budget von 400 Gigatonnen CO2 zwischen 2020 und 2050 zu Verfügung." Es sei technisch und ökonomisch machbar, in dieser Zeit fossile Energien mit Erneuerbaren Energien und Energie-Effizienz zu ersetzen. Allerdings müssten für den Übergang fossile Energien mit größtmöglicher Effizienz genutzt werden. "Dabei ist es fatal, fossile Energie zu verschwenden. Was Russland mit der Abfackelung macht, ist verantwortungslos und zynisch", sagt der Wissenschaftler.

Möst sagt: "Natürlich wäre eine Nutzung des Erdgases sinnvoller, aber auch bei der "normalen" Nutzung wird letztendlich das Erdgas verbrannt und es entsteht CO2". Bedauerlich sei, dass das Erdgas ohne Energienutzung verbrannt wird und damit zusätzliches CO2 entsteht. "Es hängt auch davon ab, wie sauber das Gas verbrannt wird – ob viele Partikel und Verrußungen anfallen, oder nicht."

Beleg für gescheiterte Energiepolitik Deutschlands

Dass das Gas nicht durchgereicht wird, hält Möst für im Wesentlichen politisch motiviert. Es würde Routen geben, auf denen sich das Gas nutzen ließe", meint Möst. Denkbar seien beispielsweise die Strecken über Ukraine oder Belarus nach Europa oder eben auch die Pipelines durch die Ostsee. Perspektivisch werden mit weiteren Infrastrukturinvestitionen mehr Mengen aus Russland nach China fließen. "Aktuell wird Russland den Großteil aber ohnehin in seine eigenen Speicher einspeisen oder in den Feldern lassen", vermutet er. Auf der politischen Ebene muss entschieden werden, wie das Erdgas in Europa bereitgestellt werden soll, schätzt Möst.

Für Teske ist der Vorfall weiterer Beleg dafür, welche Folgen die Energiepolitik der vergangenen Jahre nun zeitigt. "Deutschland ist ein Milliardenschaden entstanden, den die Steuerzahler jetzt bezahlen müssen", sagt er. Deutschland müsse das verlorene Jahrzehnt im Zeitraffer nachholen – was zwar machbar sei, aber trotzdem einige Jahre dauern werde. "Der Übergang zu 100 Prozent erneuerbaren Energien ist der einzige logische und kosteneffiziente Weg", meint er.

Über die Experten:
Prof. Dr. Dominik Möst ist Professor für Energiewirtschaft an der TU Dresden. Zu seinen Schwerpunkten zählen Konzeption und Einsatz techno-ökonomischer Modelle und quantiative Methoden zur Entscheidungsunterstützung in der Energiewirtschaft.
Dr. Sven Teske ist Wissenschaftlicher Leiter am „Institute for Sustainable Futures“ der Technischen Universität Sydney. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Wege zur Entkarbonisierung in bestimmten Industriesektoren und Regionen der Welt.

Verwendete Quellen:

  • BBC.com: Climate change: Russia burns off gas as Europe's energy bills rocket
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