Die Ukraine nimmt zunehmend russische Schiffe im Schwarzen Meer ins Visier. Dabei greift sie mit Marinedrohnen der Marke Eigenbau an. Die Kamikaze-Wasserdrohnen kommen als Schnellboote daher und haben nicht nur einen militärischen Nutzen.

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Sie tragen Namen wie "Bayraktar", "Mavic", "Black Hornet", "Orion" oder "Kamikaze-Wasserdrohne" und haben ein Ausmaß von zwölf Zentimetern bis hin zu 16 Metern: Drohnen, die im Ukraine-Krieg zum Einsatz kommen. Bislang filmten, spionierten und töteten sie aus der Luft – nun macht Kiew mit Marinedrohnen von sich reden.

"In keinem Krieg wurden Drohnen mit einer solchen Intensität und in einem vergleichbaren Ausmaß eingesetzt wie diesem", betont Fella, der den Drohneneinsatz von Kiew und Moskau beobachtet. Beobachter gehen davon aus, dass die ukrainischen Streitkräfte monatlich bis zu 10.000 Drohnen verlieren.

Schiffe im Schwarzen Meer im Visier

Immer wieder gibt es Schlagzeilen wie "Drohnenangriffe auf Moskau" oder "Ukrainischer Drohnenschwarm fliegt auf die Krim zu". Die jüngsten Meldungen lauteten aber eher: "Schwarzes Meer: Drohnenangriff auf russischen Hafen". Kiew attackiert vermehrt Ziele in der Region und hat mit Marinedrohnen vor allem russische Schiffe im Visier.

Am Freitag (4. August) waren zwei von ihnen innerhalb weniger Stunden schwer beschädigt worden: Zuerst erfolgte ein Angriff auf die Schwarzmeerflotte im Hafen von Noworossijsk, später auf einen Öltanker nahe der Krim-Brücke.

Neuer Typ Drohnen im Einsatz

Zum Einsatz gekommen sein soll eine mit 450 Kilogramm Sprengstoff beladene Marinedrohne. In Folge der Attacke musste der Verkehr auf der wichtigsten Verbindung zwischen der annektierten Halbinsel Krim und dem russischen Festland mehrere Stunden lang eingestellt werden. Es ist einer von sieben Angriffen dieser Art, die Moskau seit Mitte Juli gemeldet hat. Ein Video, welches in den sozialen Medien kursiert, soll den Angriff der Seedrohne zeigen.

Die Waffe ist ebenso simpel wie preisgünstig: Es handelt sich um unbemannte, mit Sprengstoff bepackte Kleinboote, die aus der Ferne zur Explosion gebracht werden. Sie haben eine Länge von etwa fünf Metern, sind grau, flach und überaus wendig. Die ukrainischen Modelle explodieren beim Zusammenstoß mit einem feindlichen Schiff oder werden ferngesteuert zur Explosion gebracht.

Schnellboote mit Sprengköpfen

Die Marinedrohnen sind Marke "Eigenbau": Schnellboote werden mit Kamerasystem, Sensoren, Kommunikationsgerät sowie einem Wasserstrahlantrieb aus dem Sportbereich ausgestattet. Laut Angaben aus Kiew kann die neueste Eigenentwicklung einen 300 Kilogramm schweren Sprengkopf mit sich führen – genug, um ein kleines feindliches Kriegsschiff zu versenken.

Mit einer Geschwindigkeit bis zu 80 km/h und einer Reichweite von 800 Kilometern sind russische Schwarzmeerhäfen wie Noworossijsk oder Tuaps potenzielle Angriffsziele. Vorteile der Kamikaze-Wasserdrohnen: Mit einem Stückpreis von 250.000 Dollar sind sie preislich zu entbehren und bringen gleichzeitig keine eigenen Soldaten in Gefahr. Angeblich plant Kiew die weltweit erste Drohnen-Flotte dieser Art, zunächst sollen 100 Stück produziert werden.

Signale an den Westen

Aus Sicht von Experte Fella hat Kiew das Schwarze Meer aus unterschiedlichen Gründen mit solchen Drohnen im Visier. "Die Drohnen sind für die Ukraine sowohl militärisch als aus psychologisch wichtig", erklärt er. Zum einen müsse der Drohnen-Einsatz im Kontext der ukrainischen Gegenoffensive gesehen werden. "Die ukrainische Offensive kommt nicht so schnell voran wie erwartet. Durch den Drohneneinsatz zeigt man, dass die Ukraine weiter wirkmächtig ist", sagt er.

Dabei gehe auch das Signal an den Westen: "Schaut mal, was wir alles noch können". Man wolle sich weiter als starker Akteur zeigen. "Wenn es an der Front nicht läuft wie gewünscht, kann man Russland auf anderem Weg schaden", sagt Fella. Dabei wolle die Ukraine unbedingt den Eindruck eines statischen Gefechtsfelds vermeiden, weil man in Kiew befürchte, dass der Westen in diesem Falle auf Konzessionen gegenüber Moskau drängen könnte.

Russische Bevölkerung erreichen

Der Drohnen-Einsatz im und am Schwarzen Meer habe auch zum Ziel, russische Kräfte zu binden sowie Nachschublinien und Logistik zu stören. "Der Krieg soll außerdem nach Russland hereingetragen werden", analysiert er. Der russischen Bevölkerung solle klargemacht werden, dass man auch zurückschlagen und es für sie unter diesen Umständen keine Normalität geben kann. Die Botschaft: "Der Krieg ist auch bei euch und es läuft vielleicht nicht so, wie eure Regierung es euch weismachen möchte", erklärt Fella.

Außerdem sei die internationale Schifffahrt ökonomisch wichtig. "Russland soll hier geschwächt werden, indem man die Kosten für Moskau erhöht", sagt er. Insgesamt sollten nicht nur Streitkräfte, sondern auch die russische Aufmerksamkeit gebunden werden. Die Drohnen seien am Ende aber keine kriegsentscheidende Waffe. "Sie finden in einem großen Kontext statt und haben einen Wert. Aber Russland wird dazulernen. Wesentlich bleibt die Fähigkeit zum Gefecht verbundener Waffen." Fella ist skeptisch, dass es der Ukraine über Drohnen gelingen kann, russische Truppen von der Versorgung abzuschneiden und zum Rückzug zu zwingen.

Lage in der Region spitzt sich zu

Marinedrohnen können bereits jetzt im Falle einer Entdeckung leicht unschädlich gemacht werden. Außerdem hat die russische Kriegsmarine bereits begonnen, ihre Häfen und Schiffe teilweise mit Netzen zu schützen und die Meerenge von Kertsch stärker zu überwachen.

Dennoch beobachtet der Experte mit Sorge, dass sich die Lage im Schwarzen Meer zuspitzt – vor allem seit Kreml-Chef Putin das Abkommen aufkündigte, welches zuvor den Transport von Getreide durch das Schwarze Meer ermöglicht hatte.

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Gute Kommunikationskanäle nötig

"Es braucht gute Kommunikationskanäle zwischen den verschiedenen Seiten, damit die Situation beherrschbar bleibt und es zu keinen Missverständnissen vor allem zwischen der Nato und Russland kommt", sagt Fella. Die jüngsten Angriffe zeigten, wie aufgeladen die Situation sei und dass sich der Konflikt noch immer ausweiten könne.

"Es sind Nadelstiche, die Verunsicherung und Druck ausüben sollen", sagt Fella über die ukrainischen Seedrohnen. Er warnt: "Die Risiken für ungewollte Zwischenfälle im Schwarzen Meer steigen dadurch."

Zur Person: Dr. Tobias Fella ist Projektleiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
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