Anfang der Woche hat der UN-Sicherheitsrat für eine moskaufreundliche Ukraine-Resolution gestimmt. Sicherheitsexperte Lucian Bumeder ordnet die Folgen der Resolution ein und sagt: Die westliche Allianz ist in ihrem Vertrauen massiv beschädigt. Welches politische Vorgehen man bislang eher aus Russland kennt und welche Bilanz wenig Hoffnung lässt.

Ein Interview

Der UN-Sicherheitsrat hat eine Ukraine-Resolution der Amerikaner beschlossen, die ein Ende des Krieges fordert, ohne die russische Aggression zu erwähnen. Zehn Mitglieder stimmten mit Ja, alle fünf europäischen Länder des Rates enthielten sich. Welche Auswirkungen hat die Resolution?

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Lucian Bumeder: Die Resolution selbst hat keine rechtlichen Auswirkungen. Aber die letzten zwei Wochen haben gezeigt, dass die USA derzeit kein verlässlicher Partner Europas sind. Sie verfolgen aktiv Interessen, die europäischen Zielen fundamental widersprechen – insbesondere in der Art und Weise, wie sie mit Russland über die Zukunft der Ukraine verhandeln und Europa dabei an den Rand drängen. Die westliche Allianz basiert unter anderem auf Vertrauen in vertragliche Zusagen und langfristige Zusammenarbeit. Dieses Vertrauen hat nun erheblichen Schaden genommen.

Ist das nicht ohnehin nur Symbolpolitik?

Bisher war Trumps Politik vor allem rhetorischer Natur. Eine UN-Resolution jedoch ist eine diplomatische Handlung – sie markiert den Übergang von bloßer Rhetorik zu potenziell substanziellen Entscheidungen. Nun bleibt abzuwarten, ob größere Veränderungen folgen.

Etwa?

Etwa die Aufgabe der Stationierungspläne für US-Mittelstreckenraketen in Deutschland oder ein teilweiser Abzug von Truppen aus Europa. Trumps Regierungsstil ist dabei nicht systematisch. Es gibt kein klares strategisches Ziel, das von den Ministerien koordiniert umgesetzt wird. Stattdessen dominieren persönliche Meinungsäußerungen, während Minister und Berater versuchen, seinen Willen zu deuten und umzusetzen, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Wer diese Aufmerksamkeit hat, kann Trumps Sichtweise prägen – und mit diesem Einfluss sind oft persönliche oder wirtschaftliche Vorteile verbunden. Diese Art von ad-hoc-Politik kennt man bislang eher aus Russland.

Kann man da schon von Zeitenwende sprechen?

Trump hat in Deutschland die größte NATO-Glaubwürdigkeitskrise aller Zeiten ausgelöst. Gleichzeitig gelingt es Ländern wie Polen bislang gute Beziehungen zur Trump-Regierung zu pflegen. Sollte es jedoch zu einem substanziellen Rückzug der USA aus Europa kommen, wäre das eine geopolitische Zäsur – Zeitenwende 2.0, größer als der russische Angriff 2022.

... und für Deutschland ziemlich folgenreich.

Ja, die deutsche Verteidigungsfähigkeit gegen Russland basiert vollständig auf der Annahme einer US-Beteiligung: Luftkrieg, Aufklärung, Raketenabwehr, nukleare Abschreckung, Munitionsversorgung – all das funktioniert nur, wenn die USA sich frühzeitig und aktiv an der Verteidigung Europas beteiligen.

Erleben wir gerade das Ende der Ukraine-Unterstützung?

Das hängt von den Verhandlungen zwischen Trump und Putin ab. Bisher erfolgte die US-Hilfe über das letzte vom Kongress bewilligte Hilfspaket, doch die Mittel daraus sind nun aufgebraucht. Trump könnte problemlos ein neues Paket durch den Kongress bringen – doch es ist unwahrscheinlich, dass er das vor Abschluss der aktuellen Verhandlungsrunde mit Russland tut. Die Zukunft der US-Unterstützung ist derzeit das zentrale Druckmittel gegenüber Selenskyj und Putin.

Gleichzeitig hat sich die Debatte um Sicherheitsgarantien für die Ukraine verändert. Eine NATO-Mitgliedschaft ist vom Tisch. Stattdessen soll die Sicherheit nach einem Waffenstillstand durch den Ausbau der ukrainischen Streitkräfte gewährleistet werden – finanziert vor allem durch Europa.

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Könnte man nicht auch argumentieren, dass die Resolution vielleicht sogar die Chance auf Frieden erhöht?

Trumps Verhandlungsstrategie aus seiner ersten Amtszeit war wenig erfolgreich. Der US-Abzug aus Afghanistan endete mit dem Sturz der afghanischen Regierung durch die Taliban. Gespräche mit Nordkorea scheiterten. Der Hamas-Angriff torpedierte die Abraham-Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten. Diese Bilanz lässt wenig Hoffnung auf einen stabilen Frieden in der Ukraine zu.

Was bleibt das größte Risiko?

Ein Folgekrieg. Der russische Angriff 2022 war bereits eine Fortsetzung des Kriegs von 2014/15. Russland, die Ukraine und Europa werden die Zeit eines möglichen Waffenstillstands nutzen, um ihre Streitkräfte wieder aufzubauen. Unklar ist, ob eine längere Pause eher der Ukraine oder Russland zugutekommt – und wie sich die Abschreckungslage in einigen Jahren darstellt. Wenn der Frieden als ungerecht empfunden wird oder ein erneuter Angriff aussichtsreich erscheint, steigt das Risiko eines neuen Krieges in wenigen Jahren erheblich.

Über den Gesprächspartner

  • Lucian Bumeder arbeitet am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Er hat Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen studiert und forscht zu konventioneller und nuklearer Rüstungskontrolle in Europa sowie zu russischer Außen- und Sicherheitspolitik.