Zu Beginn des Krieges haben viele westliche Staaten russische Vermögenswerte in Milliardenhöhe eingefroren. Seit langem wird diskutiert, ob dieses Geld direkt an die Ukraine fließen soll. Die USA machen jetzt Nägel mit Köpfen und haben ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Ob die EU folgen wird, bleibt fraglich – und das, obwohl dies laut Experte Andreas Umland kriegsentscheidend sein könnte.

Eine Analyse
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Die USA machen es vor – ob jemand folgen wird, bleibt fraglich. Die Rede ist von dem kürzlich verabschiedeten sogenannten Repo-Gesetz, das der Ukraine in Zukunft finanziell unter die Arme greifen soll. Repo steht für "Rebuilding Economic Prosperity and Opportunity" und beschreibt ein Gesetz über die Wiederherstellung von wirtschaftlichem Wohlstand und Chancen für die Ukraine.

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Die Mittel dafür sollen aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten gezogen werden. Auch in Europa wird eine solche Maßnahme bereits seit langem gefordert.

Mit dem Repo-Gesetz in den USA wird grundsätzlich ein Instrument geschaffen, das es dem Präsidenten ermöglicht, russische Vermögenswerte zu beschlagnahmen und an einen extra dafür geschaffenen Fonds zu überweisen. Wichtig ist: Es bleibt ein Instrument und bildet keinen Automatismus.

Der Ansatz dabei ist, dass man eine Maßnahme schaffen wollte, um zum einen gegen Russland vorzugehen und zum anderen der Ukraine Entschädigungszahlungen zuzusichern. Der Unterstützungsfonds für die Ukraine wird dem Gesetz zufolge vom Außenministerium zur Entschädigung für die durch die russische Invasion verursachten Schäden verwendet.

Der Fonds kann demnach auch eine "internationale Einrichtung oder ein Mechanismus für Wiederaufbau und Wiederherstellungsbemühungen in der Ukraine, humanitäre Hilfe für das ukrainische Volk oder andere Zwecke, die die Erholung der Ukraine und das Wohlergehen des ukrainischen Volkes fördern, sein". Letzteres könnte wirtschaftliche Hilfen, aber möglicherweise auch Hilfen zum Kauf von Abwehrwaffen beinhalten.

Europäische Union reagiert zurückhaltend auf das Gesetz

Einem Bericht des Mediums "European Pravda" zufolge wurde die Verabschiedung des Gesetzes von Seiten der Europäischen Union "zurückhaltend begrüßt". Was die Frage aufwirft: Wird die EU möglicherweise bald folgen?

Grundsätzlich, erklärt der Politologe Andreas Umland im Gespräch mit unserer Redaktion, sei es schwierig, die USA in dieser Hinsicht mit der EU zu vergleichen. "Bei den USA ist das Problem, dass die Summen nicht so groß sind, die dort eingefroren wurden", sagt der Analyst des Stockholm Centre for Eastern European Studies.

Dem US-amerikanischen Nachrichtensender NBC zufolge geht es um rund sechs Milliarden Dollar (5,55 Milliarden Euro). In der Europäischen Union sind es rund 260 Milliarden. "Eine solche Entscheidung hätte in der Europäischen Union eine ganz andere Bedeutung", erklärt Umland.

Ukraine will Luftabwehrraketen kaufen

Diese Mittel seien schon seit mehr als zwei Jahren eingefroren "und eigentlich ist sowieso klar, dass Russland diese Mittel nicht wieder bekommt und sie letztlich in dieser oder jener Form der Ukraine zugutekommen werden", sagt der Experte. Es sei bereits der Ursprungsgedanke gewesen, diese Vermögenswerte als Reparationszahlungen für den Wiederaufbau einzufrieren.

Doch Umland sagt auch: "Dieser Gedanke wird jetzt insofern immer sinnloser, weil Russland immer mehr zerstört und immer mehr wieder aufgebaut werden muss." Angesichts der zunehmenden Vernichtung hatte die Ukraine wohl die Idee geäußert, dieses Geld für zum Beispiel Luftabwehrraketen zu nutzen. "Damit eben weniger vernichtet wird und demnach nicht mehr so viel wieder aufgebaut werden muss", erklärt der Experte. "Und da gibt es eine relativ merkwürdige Zögerlichkeit seitens der EU."

Diese Zögerlichkeit hat verschiedene Gründe. Zum einen werden wirtschaftliche Sorgen geäußert. "Es geht natürlich um große Beträge und die Argumentation scheint dann zu sein, dass damit der Finanzstandort Europa beschädigt wird, wenn so ein großer Betrag beschlagnahmt wird", sagt Umland. Auch um die Zukunft europäischer Unternehmen in Russland und deren Vermögenswerte macht man sich Sorgen – denn Russland könnte in Zukunft dasselbe mit westlichen Vermögen machen; dies wurde auch bereits angekündigt.

Von politischer Seite wäre eine solche Maßnahme ebenfalls risikobehaftet, denn noch immer will man von Seiten der EU die eingefrorenen Gelder nutzen, um bei möglichen Friedensverhandlungen Druck ausüben zu können. Außerdem hemmen historische Gründe die EU: Man würde einen Präzedenzfall schaffen, was wiederum andere Staaten dazu veranlassen könnte, Vermögenswerte zu beschlagnahmen - etwa aus Deutschland als Entschädigung für den Zweiten Weltkrieg.

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Experte: EU-Entscheidung könnte Krieg beenden

Den Präzedenzfall haben die USA nun aber geschaffen, womit laut Umland bereits einige der Gründe ausgehebelt wurden. "Es bleibt nur zu hoffen, dass jetzt auch in der EU etwas passiert." Etwaige Entscheidungen könnten zum Beispiel auf dem G7-Gipfel im Juni getroffen werden. Das Gipfeltreffen der sieben bedeutendsten Industriestaaten der westlichen Welt ist für den 13. bis 15. Juni in Italien geplant. "Hier sind die entscheidenden Akteure dabei - auch die EU ist vertreten", sagt Umland.

Zunächst werden Entscheidungen über die Nutzung der Vermögenswerte erwartet, die die USA eingefroren haben. Wenn die USA allerdings auch als Vorreiter dieser Maßnahmen gute Argumente anbringen, könnten auch mögliche Entscheidungen aus der EU getroffen werden. Die EU-Kommission will zumindest schon mal aus Zinsgewinnen der eingefrorenen Gelder Waffen für die Ukraine kaufen. Der Vorstoß der Kommission muss von den Mitgliedstaaten noch beschlossen werden. Auch Umland sieht darin eine Möglichkeit – doch er geht noch weiter.

Er sagt: Man könnte damit den Krieg beenden.

"Wenn im Juni eine entsprechende Entscheidung getroffen wird und dieses Geld tatsächlich an die Ukraine gehen würde, wäre das kriegsentscheidend." Denn würde die Ukraine eine so hohe Summe – also 260 Milliarden Euro – schlagartig bekommen, könnte sie neben dem Kauf von Abwehrwaffen noch ein weiteres Problem anpacken, das ihr gerade zu schaffen macht: den Personalmangel beim Militär.

"Die Ukraine könnte den Sold, die Kompensationszahlungen, die Front-Zulage und vieles mehr erhöhen", erklärt Umland. Die Zahlungen – vor allem jene, die die finanzielle Sicherheit der Familien im Fall von Tod oder Invalidität abbilden – sind laut Umland lange schon ein Problem, das es zu lösen gilt. Würde man diese erhöhen, meint er, "dann würde es auch schnell wieder sehr viel mehr freiwillige Soldaten geben".

Über den Gesprächspartner

  • Andreas Umland ist promovierter Politikwissenschaftler, Publizist und Analyst beim Stockholm Center for Eastern European Studies. Er ist Gründer und Redakteur der Buchreihe "Soviet and Post-Soviet Politics and Society" und neben weiteren Projekten auch Vorstandsmitglied des Deutsch-Ukrainischen Forums.

Verwendete Quellen

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