• Der britische Premier Boris Johnson fährt in der Ukraine-Krise einen harten Kurs gegenüber Moskau. Mit ungewöhnlichen Videobotschaften und Appellen an die internationale Gemeinschaft macht er auf sich aufmerksam.
  • Doch es gibt noch eine andere Seite: eine Freundschaft, vor der der Geheimdienst warnte und eine kalte Schulter in der Migrationspolitik.

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Es ist noch nicht lange her, da prägten Negativ-Schlagzeilen das Bild des britischen Premierministers Boris Johnson. Da ging es um die Partys, die er trotz Lockdown gefeiert haben soll. Nun tut sich Johnson in einer ganz anderen Rolle hervor: als politischer Antagonist Moskaus, als führende Kraft in Europa.

In einem Gastbeitrag in der "New York Times" rief er die internationale Gemeinschaft dazu auf, den Druck auf Moskau in einem Sechs-Punkte-Plan zu erhöhen. Putin müsse mit seinem "Akt der Aggression" scheitern, schrieb Johnson und plädierte für eine "humanitäre Koalition" für die Ukraine.

Vorgeprescht mit Waffenlieferungen

Tatsächlich war Großbritannien das erste westeuropäische Land, welches die Ukraine mit Waffen unterstützte – zu einem Zeitpunkt, als Putin noch gar nicht in die Ukraine einmarschiert war und Deutschland militärische Unterstützung für die Ukraine noch ablehnte. Seitdem ist London nicht müde geworden, einen härteren Kurs gegenüber Putin zu fordern.

Inzwischen hat Großbritannien Panzerabwehrraketen, Javelin-Raketen sowie andere explosive Waffen geschickt. Außerdem Schutzwesten, Helme, Stiefel und rund 30 Millionen Euro für den freien Einkauf.

Boris Johnson fährt harten Kurs

"Johnson ist gegenüber Russland schon immer einen harten Kurs gefahren und er hat sehr früh begonnen, die Ukraine militärisch zu unterstützen", sagt auch Politikwissenschaftler Anthony Glees. Bereits als Außenminister ab 2016 habe Johnson eine starke Haltung gegenüber Russland eingenommen und beanspruche nun eine Führungsrolle für sein Land.

Als Putins Geheimdienste im Jahr 2018 den Anschlag auf Sergej Skripal verübten, habe Johnson Russland sofort verurteilt und sofortige Gegenmaßnahmen verkündet. Zuletzt fiel Johnson mit einer ungewöhnlichen Videobotschaft auf. Darin wandte er sich, teilweise auf Russisch, an das russische Volk.

Ungewöhnliche Videobotschaft

Er könne nicht glauben, dass der Krieg in der Ukraine in ihrem Namen geführt werde, sagte er und forderte die Russen auf, sich freie Informationen zu beschaffen und sie zu teilen. Die russischen Staatsmedien unterdrückten die Fakten über Morde an Zivilisten, weil Moskau wisse, dass sie das Volk gegen den Krieg aufbrächten, sagte er.

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"Man muss aber zwischen seiner Position als Außenminister beziehungsweise Premierminister und seinem persönlichen Verhältnis zu Russland unterscheiden", sagt der Experte. Damit gemeint ist vor allem die Freundschaft zu Evgeny Lebedev – dem Sohn des Ex-KGB-Offiziers Alexander Lebedev.

Erstmals seit Kriegsbeginn: US-Generalstabschef Milley ruft in Moskau an

Die ranghöchsten Militärs in Moskau und Washington reden wieder miteinander. Im Pentagon war man offenbar eher überrascht von der Gesprächsbereitschaft der Gegenseite. (Vorschaubild: imago/UPI Photo)

Umstrittene Freundschaft

Bis 1988 soll er Spion in London gewesen sein und Rüstungskontrollverhandlungen, Handelsgespräche, NATO- und britische Politiker überwacht haben. Seit seiner Zeit als Londoner Bürgermeister soll Johnson bereits mit dem russischstämmigen Medienunternehmer befreundet sein.

Die Freundschaft reicht so weit, dass er Lebedev einen Sitz im Oberhaus verschaffte, indem er ihn 2020 zum Baron ernannte. "Johnson möchte immer noch nicht zugeben, dass der britische Geheimdienst MI6 ihn davor gewarnt hat und offenbar gesagt hat, er solle sich von Lebedev fernhalten", sagt Glees.

Engagement beim Wiederaufbau

Zwar verurteilt Lebedev den Krieg in der Ukraine, war in der Vergangenheit aber weniger kritisch: Den Syrien-Einsatz der russischen Armee bezeichnete er beispielsweise als richtig. "Es sollen auch Gelder an die Tories geflossen sein. Allerdings eine fehlgeschlagene Investition, wenn man jetzt sieht, wie stark sich Johnson Putin gegenüberstellt", kommentiert Glees.

Er ist sich sicher, dass London sich unter Johnson stark beim Wiederaufbau ukrainischer Städte engagieren wird. "Johnson ist es außerdem wichtig, dass Putin und seine Generäle als Kriegsverbrecher angeklagt werden", sagt der Experte. Das habe er bereits 2016 gefordert, als er noch Außenminister war und Aleppo in Syrien zerbombt wurde.

Flüchtlinge nicht willkommen?

"Johnson macht sich deshalb dafür stark, dass für ein solches Gerichtsverfahren am Internationalen Strafgerichtshof Beweise gesammelt werden", führt Glees aus. Einen großen Kritikpunkt hat der Experte jedoch: "Großbritannien hat bislang nur ungefähr 12.500 Visa für ukrainische Frauen und Kinder erteilt, Deutschland mehr als 300.000", sagt er.

Besonders Innenministerin Priti Patel fordere eine harte Linie gegenüber Immigranten, erklärt Glees. "Offenbar ist auch Johnson davon überzeugt, dass seine Stammwähler es gerne sehen, wenn London zwar militärische Hilfe leistet, aber keine menschliche."

Über den Experten:
Prof. Dr. Anthony Glees ist britischer Zeithistoriker und Politologe. Er gilt als international renommierter Experte für europäische Angelegenheiten, Britisch-Deutsche Beziehungen sowie Sicherheits- und Geheimdienstfragen. Er ist emeritierter Professor der Universität Buckingham.

Verwendete Quellen:

  • nytimes.com: Boris Johnson: 6 Steps the West Must Take to Help Ukraine Right Now.
  • Twitter-Profil (Stand: 20.05.2022) von Boris Johnson
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