Die "Rote Flora" in Hamburg ist das am längsten besetzte Gebäude Deutschlands. Jetzt wird der Ruf nach Räumung laut. Denn Gegner vermuten dort die Drahtzieher der G20-Krawalle. Bei den normalen Bewohnern des Viertels genießt der Autonomen-Treff aber auch Rückhalt.

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Nach dem Ende des G-20-Gipfels in Hamburg geht der Streit darüber weiter, wer die politische Verantwortung für die Gewalteskalation trägt.

Die polizeilichen Ermittlungen konzentrieren sich dagegen auf die Tatverdächtigen.

"Rote Flora" rückt in den Fokus

Neben zahlreichen Deutschen sind unter den Beschuldigten auch Staatsbürger aus Frankreich, Italien, Spanien, Russland, den Niederlanden, der Schweiz und Österreich.

Und ein Verdacht bleibt: Die "Rote Flora", Treffpunkt der linken Szene, soll als Schaltzentrale für die Krawalle gedient haben. Unionspolitiker fordern nun die Schließung des besetzten Gebäudes.

Während Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) vor Schnellschüssen warnt, prüft die Gewerkschaft der Polizei eine Anzeige gegen den Anwalt der Roten Flora wegen einer bizarren Aussage, in denen er die Ausschreitungen kritisierte, weil sie nicht in den edleren Stadtvierteln entfacht worden waren.

Unterdessen fordert der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Stephan Mayer in der "Bild"-Zeitung die gewaltsame Räumung der "Roten Flora."

Und der Kriminologe Christian Pfeiffer warnt in der "Passauer Neuen Presse" in Bezug auf die Räumung vor einem "massiven Kampf", während ein Hamburger Unternehmer Stimmen für die Umwandlung des Autonomen-Treffpunkts in einen Kindergarten sammelt.

"Rote Flora" hat eine lange Geschichte

Umstritten ist das Gebäude nach wie vor auch bei den Hamburgern selbst – in der langen Geschichte des besetzten Hauses haben dessen Bewohner durchaus auch Freunde und Verteidiger in der Bürgerschaft gewonnen.

Besetzt wurde die "Rote Flora" schon Ende der 80er Jahre, sie gilt mittlerweile als das am längsten besetzte Haus Deutschlands.

Gegen den Versuch, das leer stehende Flora-Theater in einen Veranstaltungsort für Musicals umzuwandeln, wehrten sich damals nicht nur Linke: Auch die Anwohner fürchteten sich vor Touristenmassen und explodierenden Mieten.

Das Schlagwort von der "Gentrifizierung" war damals noch kaum aus der Wissenschaft in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen.

Doch genau darum drehten sich die Befürchtungen: um eine schleichende Vertreibung der alteingesessenen Bevölkerung.

Wenn, etwa wegen Renovierungen, günstige Wohnungen knapp werden, wenn weniger zahlungskräftige Bewohner nach und nach ausziehen und besser verdienenden Platz machen, dann wird damit oftmals ein Teufelskreis in Gang gesetzt:

Es folgen neue Gewerbebetriebe aus anderen Branchen - der Bäckerladen macht dicht, es eröffnet stattdessen die Zahnarztpraxis, es folgen teurere Restaurants - und die Mieten steigen weiter.

Alternativer Standort lockt Wohlhabendere an

Auch diesem Prozess wollten sich die autonomen Hausbesetzer der 80er Jahre entgegenstemmen. Mit zwiespältigen Folgen.

Denn heute räumen selbst Aktivisten ein, dass sie unbewusst selbst zur Gentrifizierung beigetragen haben.

Weil sich das Schanzenviertel das Image des alternativen Standorts erwarb, zogen wohlhabender Kreative aus vielerlei Berufen zu, entstand ein buntes, angesagtes Viertel mit neuen Läden, neuen Kneipen, neuem Publikum.

Ein "Laufsteg alternativer Hippnesskultur" sei aus dem Viertel geworden, kritisiert das Magazin "Vice".

Die "Schanze" demonstriere heute, "wie urbane Verdrängungsprozesse funktionieren". Und die Mieten steigen nun natürlich trotzdem.

Ein Prozess, der sich andernorts in überraschend ähnlicher Weise zuträgt. Deutschlands wohl zweitwichtigster Autonomen-Treffpunkt ist das Gebäude Rigaer Straße 94 in Berlin.

Anfang der 90er erstmals besetzt, wurde das Haus unzählige Male geräumt und wieder besetzt und zuletzt sogar durch richterlichen Beschluss den Besetzern zurückgegeben, weil die Räumung unrechtmäßig gewesen war.

Der Berliner Verfassungsschutz rechnet einen Teil der Bewohner "zum harten Kern militanter Linksextremisten" – es drehe sich dabei um 30 bis 40 Personen.

Und wie bei der "Roten Flora" in Hamburg, stehen sich auch in Berlin zwei Lager gegenüber.


Nach einer Demonstration für die Erhaltung der "Rigaer 94" im Juli 2017 sprach die Polizei von hoch aggressiven Teilnehmern – normale Anwohner und Beobachter dagegen nahmen das Vorgehen der Staatsmacht als "brutal und eskalierend" wahr.

Viele Anwohner halten zu den Besetzern

Mittlerweile haben viele Bewohner des Hauses reguläre Mietverträge, nur im Erdgeschoss sind weiterhin Räume besetzt, die "autonomen" Bewohner nutzen sie für Veranstaltungen.

Auch in Berlin haben die Besetzer die Unterstützung vieler Anwohner, die sich vor steigenden Mieten und Gentrifizierung fürchten.

Die "Rigaer" liegt in einem ehemaligen Arbeiterviertel mit noch heute niedrigem Durchschnittseinkommen und hohem Armutsrisiko.

Doch trotz des Widerstands von Anwohnern und Hausbesetzern gegen Modernisierung und höhere Mieten ist auch das Viertel rund um die "Rigaer" mittlerweile vom Wandel betroffen.

Und auch in Berlin tragen Alternative und Hausbesetzer an der Entwicklung eine unerwartete Mitschuld: Der Stadtteil ist gerade wegen seiner alternativen Strukturen "zum Magneten für Touristen und Wahlberliner aus aller Welt geworden", wie es die "Zeit" formulierte.

Für die bisherigen Bewohner werden die Mieten langsam aber sicher zu hoch, die Gentrifizierung ist in vollem Gang.

Deeskalation zur Feindbild-Entschärfung?

Neu hochgezogene Gebäude erkennt man an den vielen eingeschlagenen Scheiben und den mit Graffiti verschmierten Fassaden.

Sichtbare Zeichen des Widerstands, der wohl nicht nur von den Hausbesetzern kommt, und somit eine Art "Rückhalt in der Bevölkerung" signalisiert, auf den die Autonomen großen Wert legen.

Vielleicht ist es sogar besser so, lautet eine Meinung, die nicht neu ist, in der aktuell aufgeheizten Debatte aber hochbrisant klingt.

In einem Aufsatz für die Bundeszentrale für politische Bildung kam der Autor Karsten Hoffmann schon vor fünf Jahren zu dem Ergebnis, eine Tolerierung solcher "Autonomer Zentren" können "aus demokratischer Sicht effektiver sein als eine Räumung".

Die Autonomen bräuchten zur Mobilisierung ein klares Feindbild – "ein Staat, der sich um Deeskalation bemüht, eignet sich dafür nicht".


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