Nach den Wahlen im Sommer war absehbar, dass die Regierung ohne eigene Mehrheiten im Parlament Probleme haben würde. Nun ist zum ersten Mal in 60 Jahren eine französische Regierung gestürzt worden von einer Mehrheit durch Linke und Rechte um Marine Le Pen.
Es ist ein historischer Tag in Paris. Zum ersten Mal in der Geschichte der inzwischen 60 Jahre alten Fünften Republik wurde eine Regierung gestürzt. Premier Michel Barnier hatte am vergangenen Montag einen Sparplan für den künftigen Haushalt vorgestellt und diesen ohne Zustimmung des Parlaments durchdrücken wollen. Um das zu erreichen, musste er sich einem Misstrauensantrag stellen, den er schließlich am Mittwochabend verlor. 331 der insgesamt 577 Abgeordneten stimmten gegen seinen Haushaltsplan und damit zugleich für die Absetzung des Kabinetts.
Barnier ist damit der am kürzesten amtierende Premier der neueren französischen Geschichte. Besonders brisant: Das linke Lager bestehend aus Grünen, Sozialisten, Kommunisten und EU-Kritikern stimmte gemeinsam mit der rechten Rassemblement Nationale von
Schwierige Verhältnisse nach Parlamentswahl
Nach der Parlamentswahl im Sommer war absehbar, dass die Mehrheitsverhältnisse keine stabile Regierungsarbeit zulassen würden. Weder die überraschenden Wahlsieger der Linken, noch die Mitte-Parteien um Präsident Macron oder die rechtsnationale Rassemblement Nationale und deren Verbündeten hatten eine eigene Mehrheit zustande bekommen.
Die Regierung von Barnier musste daher ohne eigene Mehrheit regieren und stützte sich auf die Unterstützung der Rechten. Oftmals kam Barnier daher Forderungen der Rassemblement Nationale entgegen, nun aber war diese Taktik an ihr Ende gekommen.
Wie geht es jetzt weiter?
Neuwahlen können erst wieder im kommenden Sommer stattfinden. Der künftige Premier muss also mit denselben Mehrheitsverhältnissen im Parlament arbeiten und wird dieselben Probleme damit haben, stabile Regierungsarbeit zu leisten, wie Barnier. Als Nachfolger werden aktuell der frühere Premier Bernard Cazeneuve und Verteidigungsminister Sébastien Lecornu gehandelt. Der Zeitung "Le Parisien" zufolge könnte auch der Bürgermeister von Troyes, der Republikaner François Baroin, gute Chancen auf das Amt haben.
"Es gibt wahrscheinlich nicht viele Politiker, die sich um dieses Amt reißen werden, einfach weil es ein Schleudersitz ist", erklärt Frankreich-Experte Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gegenüber unserer Redaktion. Er sieht noch die linke Politikerin Lucie Castets als mögliche Kandidatin. Sie war nach der vergangenen Parlamentswahl von dem linken Wahlbündnis Nouveau Front populaire als mögliche Premierministerin vorgeschlagen worden. Damals hatte Macron sich noch gegen sie ausgesprochen.
Macron am Ende seiner Möglichkeiten?
Macron ist mit seiner Strategie gescheitert, eine Mehrheit im Parlament zu bekommen. Das war bereits das Ziel der Neuwahlen im Sommer. Nachdem diese nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben, wurde Barnier als Vermittler eingesetzt. Dieser war aber nun ebenfalls mit dem Versuch gescheitert, einen Haushalt durch das Parlament zu bekommen.
Die Linke im Parlament fordert inzwischen den Rücktritt von Präsident Emmanuel Macron. "Um aus der Sackgasse zu kommen, in die der Präsident das Land geführt hat, bleibt uns nur eine Lösung: Wir fordern Emmanuel Macron jetzt auf, zu gehen", sagte die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei La France insoumise (LFI), Mathilde Panot.
Was bedeutet das für Macron?
Doch der Präsident weigert sich nach wie vor zurückzutreten. Am Donnerstagabend will er sich im Fernsehen mit einer Ansprache an das Volk wenden. Es ist gut möglich, dass er noch vor kommenden Samstag eine neue Regierung ernennen wird, da bis zum Jahresende mehrere Haushaltsgesetze verabschiedet werden müssen.
Der amtierende Präsident ist eigentlich noch bis 2027 im Amt, allerdings ist es schwer vorstellbar, dass er bis dahin ohne eigene Mehrheit im Parlament regieren kann. Zum Rücktritt zwingen kann ihn allerdings niemand. Sehr wahrscheinlich wird er im kommenden Sommer stattdessen das Parlament auflösen und Neuwahlen einleiten. Dass ihm das hilft, ist eher unwahrscheinlich.
"Es wäre spätestens jetzt Zeit dafür, persönliche Konsequenzen zu ziehen, aber wer Macron kennt, der weiß, dass er nach wie vor denkt, der Richtige für das Amt zu sein", so Frankreich-Experte Ross. Das sei auch bezogen auf den Krieg in der Ukraine bei dem Macron sich als wichtigen Akteur sieht, obwohl Frankreich deutlich weniger finanzielle und militärische Unterstützung leistet wie Deutschland, und ebenso auf die Europäische Union, für die Macron sich immer wieder als Vordenker und Antreiber inszeniert.
Was bedeutet das für die Zusammenarbeit mit Deutschland und die EU?
Der Grund für das Misstrauensvotum war der von Barnier vorgeschlagene Sparhaushalt. Dieser ist nun ebenso wie sein Kabinett Geschichte. Frankreich hat daher weder Regierung noch Haushalt. Aktuell klafft eine Finanzierungslücke von 60 Milliarden im Haushaltsplan. Ebenso wie die Bundesregierung ist die französische Regierung also daran gescheitert, einen tragfähigen Haushalt zu beschließen.
Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zieht eine ernüchternde Bilanz: "Es entsteht ein schlechter Eindruck von der Regierungsfähigkeit der Europäischen Union". Während Donald Trump gerade jenseits des Atlantik seine Regierungszeit vorbereitet und immer konfrontativer gegenüber der EU auftritt, sind hier die Regierungen der beiden wichtigsten Mitgliedsländer der EU nur noch kommissarisch im Amt. Und auch nach der Ernennung eines neuen Premierministers ist nicht zu erwarten, dass Frankreich handlungsfähiger wird.
Über den Gesprächspartner
- Jacob Ross ist Research Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) mit Fokus auf Frankreich und deutsch-französische Beziehungen. Zu seinen Forschungsgebieten zählt die französische Außen- und Sicherheitspolitik.
Verwendete Quellen
- Einschätzung von Jacob Ross.
- Zeit.de: Frankreichs Linke fordert Emmanuel Macron zum Rücktritt auf
- Laparisien.fr: Matignon: l’hypothèse François Baroin fait son chemin
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