Der Streit ist offen ausgebrochen, die Regierung ist am Feilschen. SPÖ und ÖVP zocken auf hohem Niveau. Vieles spricht dafür, dass sich die beiden Parteien am Ende ihrer Verhandlungen - die voraussichtlich auch am Wochenende andauern - einigen werden.
Ihre Partei sei, das behaupten hohe SPÖ-Funktionäre, für Neuwahlen gerüstet. Seit Monaten mobilisieren die Sozialdemokraten, seit der Grundsatzrede von Bundeskanzler Christian Kern fühlen die Sozialdemokraten Rückenwind. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Unique Research für die Tageszeitung "Heute" hätte die Partei zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr Chancen auf Platz eins. Die FPÖ liegt in dieser Umfrage zwar immer noch um drei Prozentpunkte vorne, die Roten sind aber stark im Auftrieb. Dazu kommen die guten persönlichen Werte für Kanzler
Neuwahlen sind unwahrscheinlich
Dennoch wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Neuwahlen geben. Kerns Ultimatum an die ÖVP – spätestens bis Freitag müsste ein Kompromiss stehen – könnte verstreichen. Denn vieles deutet darauf hin, dass sich die Verhandlungen übers Wochenende ziehen werden. Dann könnten die ungleichen Regierungsparteien ein gemeinsames Reformprogramm für die kommenden anderthalb Jahre präsentieren. Das könnte beiden Seiten nützen.
Christian Kern ist ein taktisches Meisterstück gelungen. Was seit Donnerstag verhandelt wird, sind nicht einzelne strittige Details des Regierungsprogramms. Kern hat den von seinem Vorgänger Werner Faymann verhandelten Fünf-Jahres-Pakt mit der ÖVP aufgeschnürt und den Koalitionspartner unter Zugzwang gesetzt. Das konnte er, weil die Ausgangslage der Roten deutlich besser ist als jene der Konservativen. Kern muss Neuwahlen weniger fürchten als Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Nun verhandeln gleich mehrere Arbeitsgruppen an einem neuen Programm. Am Ende soll ein verbindlicher Vertrag herauskommen. Beide Seiten sprechen von konstruktiven Gesprächen.
Unbeweglichkeit - ein altes Problem
Kern hat schon in seiner allerersten Rede als Bundeskanzler die Unbeweglichkeit der rot-schwarzen Koalition kritisiert. Das Problem ist altbekannt und schwer zu lösen: Zwei annähernd gleich große Parteien mit völlig unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung bilden eine gemeinsame Regierung. Es gibt kein großes gemeinsames Ziel, keine gemeinsame Erzählung. Was soll dabei herauskommen, außer Streit?
Strategisch geschickt hat Kern in seinem Plan A zahlreiche Forderungen gepackt, die sich mit den Ansätzen seines konservativen Koalitionspartners weitgehend decken und für viele seiner Parteifreunde eine Zumutung sind. Er hat es der ÖVP schwer gemacht, ihm die kalte Schulter zu zeigen. Dann nämlich hätte er guten Mutes Neuwahlen gehen können: Als konstruktiver Teil einer Partnerschaft, der es um das große Ganze geht. Mit einer solchen Erzählung kann man Wahlen gewinnen.
Rot-schwarze Koalition? Ein Verhängnis
Die Freude hat ihm die ÖVP aber nicht gemacht. Es wird verhandelt. Im Interesse des Landes ist zu hoffen, dass beide Parteien dieses Zeitfenster nutzen. Und vielleicht könnten sie sich bei dieser Gelegenheit auch auf etwas Grundsätzliches einigen: nämlich dass sie nach Ablauf der aktuellen Legislaturperiode nie wieder gemeinsam eine Regierung bilden.
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