Mit dem Abgang von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sind Neuwahlen im Herbst mehr als wahrscheinlich. Noch lässt sich Außenminister Sebastian Kurz als Nachfolger bitten.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stephan Scoppetta sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) tritt zurück - die Meldung an sich scheint nicht überraschend - doch auch intern zeigt man sich erstaunt über den Zeitpunkt.

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Der baldige Ex-Vizekanzler stellt in seiner Abgangsrede klar: "Ich bin kein Platzhalter, der auf Abruf (....) agiert." Er will nicht mehr. Das ewige Hick Hack mit dem Koalitionspartner und insbesondere die internen Querschüsse von Innenminister Sobotka wurden ihm zu viel und am Mittwoch zog er die Reißleine.

Ein ÖVP-Insider, der sich nicht offiziell dazu äußern will, verrät im Gespräch, dass der Rücktritt auch eine Reaktion auf die Aussage von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) zur Parteiübernahme war. Dieser hatte Montagabend erklärt, die ÖVP in ihrem momentanen Zustand nicht übernehmen zu wollen.

Es kriselt in der ÖVP, und man fragt sich: Was jetzt? Auch wenn sich Kurz noch bitten lässt, er ist der unangefochtene Spitzenkandidat in der ÖVP.

Herbert Kling, Geschäftsführer von meinugsraum.at hat kürzlich eine Umfrage zu den Imagewerten der heimischen Politiker gemacht: "Sebastian Kurz hat mit Abstand das beste Image der heimischen Politiker. Er liegt deutlich vor Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und auch Heinz-Christian Strache (FPÖ). Deshalb wird Kurz diese Chance nicht an sich vorbeiziehen lassen."

Kern meldet sich zu Wort

Bundeskanzler Kern meinte in seiner Rede am Mittwochnachmittag, dass der Rücktritt seines Stellvertreters in der Regierung auch eine Chance für eine Bundesregierung mit Veränderungswillen sein könnte.

Die Bilanz der letzten zwölf Monate sei zwar "durchwachsen", jetzt gehe es aber darum, Österreich weiter zu bringen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben.

Kern bot Sebastian Kurz in seiner Stellungnahme sogar eine "Reformpartnerschaft für Österreich" an.

Die Konzepte seien schon in den Schubladen, jetzt gehe es darum, sie umzusetzen. Auffällig war, dass sich der Bundeskanzler dezidiert gegen Neuwahlen aussprach.

Politexperten sind sich einig, dass das nur taktisches Kalkül ist: Kern möchte damit signalisieren, dass die SPÖ jene Partei ist, die weiter arbeiten will und das, im Gegensatz zum Koalitionspartner, auch kann.

Sebastian Kurz als Nachfolger?

Jetzt muss die ÖVP den lange erwarteten Bruch der Koalition einleiten. Kommt Kurz, wird er seinen Vorteil als neuer Partei-Chef mit guten Image-Werten nutzen und vorgezogene Neuwahlen im Herbst einleiten.

Würde er bis Herbst 2018 warten, würde er seinen aktuellen Vorteil aufs Spiel setzen. Am Sonntag tritt die ÖVP in einem Bundesparteitag zusammen und entscheidet über die Nachfolge von Mitterlehner.

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier sagt dazu: "Es sind noch sehr viele Fragen offen, momentan scheint man auch intern sehr überrascht über den Zeitpunkt des Rücktritts zu sein. Sollte sich die ÖVP für Neuwahlen entscheiden, ist rein formell eine Frist von 81 Tagen abzuwarten - Neuwahlen Mitten im Sommer halte ich aber für sehr unwahrscheinlich." Eine Neuwahl könnte demnach im Früh- oder Spätherbst stattfinden."

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen nahm in einer Pressekonferenz Stellung. Man müsse einen kühlen Kopf bewahren aber zeitnah beschließen, wie es weitergehe. Er selbst erwartet eine "klare und nachvollziehbare Vorgehensweise".

Alle Augen sind nun auf Sebastian Kurz gerichtet. Er ist nun nach monatelangen Taktierens im Hintergrund unerwartet schnell in den Vordergrund geraten. ÖVP-Insider erklären dazu, dass zwar immer feststand, dass Mitterlehner gehen würde -aber keiner habe einen so schnellen Abgang erwartet.

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