Viel spricht dafür, dass Sebastian Kurz ÖVP-Chef wird und die Regierung platzen lässt. Aber Neuwahlen wären für die Schwarzen riskant, und Grund dafür ist die FPÖ. Was, wenn am Ende Rot-Blau herauskommt?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Wolfgang Rössler sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Im Prinzip müsste es keine Neuwahlen geben. Sebastian Kurz (ÖVP) könnte Vizekanzler werden und gemeinsam mit Kanzler Christian Kern konstruktiv regieren bis ans Ende ihrer Legislaturperiode.

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Diese Variante ist nicht völlig ausgeschlossen, aber extrem unwahrscheinlich. Der schwarze Shootingstar Kurz würde sich in den nächsten anderthalb Jahren in der unpopulären und zerstrittenen rot-schwarzen Koalition aufreiben. Bis zur Wahl wäre sein Kapital verbraucht.

Minderheitenregierung: Wie wahrscheinlich ist sie?

Es gäbe auch noch eine andere Variante. Kanzler Kern könnte gemeinsam mit Grünen und Neos eine Minderheitenregierung bilden, gestützt von den verbliebenen Mandataren vom Team Stronach. Dafür spricht, dass dem Vernehmen nach gerade Gespräche zwischen Kern und den Parteichefs im Gange sind. Der kleinste gemeinsame Nenner aller vier Parteien: jede von ihnen fürchtet – aus unterschiedlichen Gründen – Neuwahlen.

Freilich: Eine solche Minderheitenregierung wäre nur durch eine hauchdünne Mehrheit im Nationalrat abgesichert. Schon in der Vergangenheit sind mehrere Abgeordnete von Team Stronach und NEOS zur ÖVP gewechselt. Einer mehr, und Kerns Regenbogenkoalition wäre am Ende. Realistisch ist diese Variante nicht.

Sebastian Kurz wird ÖVP-Chef - und dann?

Wahrscheinlich ist folgendes Szenario: Sebastian Kurz wird am Sonntag zum neuen ÖVP-Chef gekürt. "Das ist so gut wie fix", sagt ein ÖVP-Insider. "Die Frage ist nur, wie viel Macht er bekommt." Denn der schwarze Hoffnungsträger will als Nummer eins volles Durchgriffsrecht, um zu verhindern, dass er wie seine Vorgänger von parteiinternen Gegnern aufgerieben wird.

Weniger sicher ist, welche Rolle Kurz in der Regierung einnehmen wird. Wird er Vizekanzler? Oder konzentriert er sich auf seine dankbare Rolle als Außenminister und ÖVP-Chef, während ein anderer schwarzer Minister den Vize unter Kern macht – und ihm als kommenden Spitzenkandidaten den Rücken frei hält?

Als Namen fallen Finanzminister Hans-Jörg Schelling oder Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter. Dann könnte frühestens im Herbst, allenfalls im Frühjahr 2018 neu gewählt werden – worauf die ÖVP hinarbeitet.

Blauen kommen ins Spiel

Bloß: Was dann? "Aus heutiger Sicht wird es nach der kommenden Wahl mit SPÖ, ÖVP und FPÖ drei ungefähr gleich große Parteien geben", sagt der frühere BZÖ-Sprecher und heutige Politikberater Heimo Lepuschitz. Da sich Rot und Schwarz kaum erneut auf eine Koalition einigen würden, hieße das, dass rechnerisch nur eine Regierung mit der FPÖ möglich wäre.

"Das Schreckensszenario der ÖVP ist Rot-Blau", sagt Lepuschitz. Zwar hat die SPÖ in der Vergangenheit auf Bundesebene ein Bündnis mit den Rechtspopulisten ausgeschlossen, seit Kern an der Macht ist, wackelt dieser Grundsatz aber.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl regiert seit zwei Jahren mit den Freiheitlichen und wird nicht müde, in der eigenen Partei für Rot-Blau zu werben. Sein Kärntner Amtskollege Peter Kaiser wiederum arbeitet seit Monaten an einem Kriterienkatalog für den Umgang mit den Blauen. Die Idee dahinter: Wenn die FPÖ verspricht, sich zu benehmen und auf allzu rechte Töne zu verzichten, ist Rot-Blau machbar.

Straches Partei ist moderater geworden

Viele spricht dafür, dass die FPÖ auf diesen Deal einsteigen würde. Parteichef Heinz-Christian Strache hat schon mehrmals durchblicken lassen, dass er lieber mit Rot als mit Schwarz koalieren würde.

Die Partei ist seit der Bundespräsidentschaftswahl – als der recht moderate Norbert Hofer dem Grünliberalen Alexander Van der Bellen recht knapp unterlegen war – deutlich in die Mitte gerückt. Zuletzt hat sich Strache sogar von seiner französischen Verbündeten Marine Le Pen distanziert, weil deren EU-Austrittsfantasien ihm zu radikal seien.

Die FPÖ gibt sich mehr und mehr als wohlerzogene Mitterechtspartei, die mit Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit nichts mehr am Hut haben möchte.

Tauziehen um die FPÖ

Als der damalige ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 eine Regierung mit den Freiheitlichen unter Jörg Haider bildete, führte das noch zu internationalen Protesten und monatelangen Demonstrationen, die die Wiener Innenstadt lahmlegten. Davor muss sich Kern nicht mehr fürchten: Im Kanon der europäischen Rechtsparteien gilt die FPÖ längst als vergleichsweise harmlos. Rot-Blau würde im Inland wie im Ausland kaum große Bestürzung hervorrufen.

Damit stellt sich – für den wahrscheinlichen Fall, dass vorzeitig gewählt wird – im Wesentlichen eine Frage: Welche der beiden Noch-Koalitionsparteien schafft es am Ende, die FPÖ auf ihre Seite zu ziehen? Kein Wunder, dass Strache bei seinen TV-Auftritten in diesen Tagen besonders tiefenentspannt wirkt.

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