Bayern räumt seiner Polizei eine ungewöhnliche Fülle an Möglichkeiten ein. Bundesinnenminister Horst Seehofer wünscht sich das auch auf Bundesebene – doch kann er das überhaupt einfach so umsetzen? Das ist fraglich. Kritiker empören sich im Gesetzestext vor allem über ein Wort.

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Mit der Mehrheit der CSU-Fraktion hat der bayerische Landtag am Dienstag das neue "Polizeiaufgabengesetz" (PAG) verabschiedet.

Die CSU ist der Überzeugung, dass es nötig ist, um die Kriminalitätsbekämpfung zu modernisieren. Die Gegner kritisieren dagegen einen massiven Eingriff in Freiheitsrechte.

Vor allem ein Wort ist den Kritikern ein Dorn im Auge: Für ein Eingreifen der Polizei ist mit dem PAG nicht mehr nur das "konkrete" Gefahrenmoment ausschlaggebend, sondern nun bereits das "drohende".

Heribert Prantl, Rechtsexperte und Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, kommentierte mit bissiger Ironie, Bayern schaffe eine "Darf-fast-alles-Polizei".

Das Gesetz räumt der Polizei in der Tat sehr weitreichende Befugnisse ein, es gilt als schärfstes Polizeigesetz Deutschlands.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) findet, das bayerische Gesetz könne als Vorbild für ein Musterpolizeigesetz auf Bundesebene dienen. Was könnte das bedeuten?

Ein Muster – aber keine Vorgabe

Im föderalen System der Bundesrepublik ist die Polizei grundsätzliche eine Angelegenheit der Bundesländer.

Das gilt vor allem für das präventive Polizeirecht, also die Abwehr von Gefahren. "Eine Ausnahme ist die Terrorismusbekämpfung. Dort darf der Bund dem Bundeskriminalamt präventive Aufgaben übertragen", erklärt Matthias Bäcker, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Mainz, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Generell ist der Bund aber nur für seine Behörden zuständig, also für das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei. Die Bundesländer haben ihre eigenen Polizeigesetze, die sich zwar ähneln, zum Teil aber unterschiedliche Maßnahmen zulassen.

Um Kriminalität und Terrorismus besser zu bekämpfen, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder darüber diskutiert, Sicherheitsbehörden zusammenzulegen.

"Politisch ist das aber nicht durchsetzbar", erklärt uns Kyrill-Alexander Schwarz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Würzburg. "Es handelt sich dabei um eine Kernkompetenz der Länder."

Die Innenminister der Länder müssten sich also einigen, wenn sie für die Polizei bundeseinheitliche Regelungen aufstellen wollten – Bundesinnenminister Seehofer kann ihnen nichts vorschreiben.

"Auf Ebene der Landesinnenminister könnte man versuchen, ein Musterpolizeigesetz zu schaffen, möglicherweise auch in Zusammenarbeit mit dem Bund", sagt Schwarz. "Es wäre dann aber rechtlich unverbindlich."

Ein Musterpolizeigesetz habe es schon in den 70er-Jahren gegeben, erklärt Matthias Bäcker. Der Bund kann damit versuchen, die Polizeigesetze der Länder zu beeinflussen.

"Die Länder müssen die Vorgaben nicht umsetzen. Wenn sich eine Arbeitsgruppe aber lange damit beschäftigt und gemeinsame Vorschläge erarbeitet hat, sind das oft gute Argumente, sie zu übernehmen."

Eingreifen schon bei "drohender Gefahr"

Pläne für ein neues Musterpolizeigesetz gibt es schon seit einiger Zeit, um Sicherheitsstandards der Länder anzugleichen.

Neu ist allerdings, dass Bundesinnenminister Seehofer das bayerische Gesetz als Vorbild dafür nennt. Das Gesetz ist höchst umstritten, vor allem der darin enthaltene Begriff der "drohenden Gefahr" anstelle der "konkreten Gefahr".

Das neue Gesetz macht somit präventive Überwachung schon bei einer "drohenden Gefahr" möglich, losgelöst von einer konkreten Gefahrenlage.

So dürfen zum Beispiel künftig DNA-Spuren in Bezug auf Geschlecht, Alter und Herkunft ausgewertet und diese Hinweise für eine Fahndung verwenden werden.

Zudem können Polizisten auf Computer, Clouds und Telefongespräche zurückgreifen, um mögliche Verbrechen zu verhindern.

Juristen uneins über Verfassungsmäßigkeit

Viele Gegner halten dieses Vorgehen, gerade der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht, für verfassungswidrig – wie der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), der eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt hat.

"Ich teile die Bedenken nicht", sagt hingegen der Würzburger Jurist Kyrill-Alexander Schwarz im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Mit dem Begriff der drohenden Gefahr wurde ein Hinweis des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen. Es hat ganz klar gesagt, dass man einen veränderten Gefahrenbegriff anwenden kann", meint Schwarz, grenzt aber selbst auch ein: "Zumindest für die Terrorismusbekämpfung."

Denn so klar ist der Gefahrenbegriff eben nicht - ein Hauptkritikpunkt der Gegner.

Das Bundesverfassungsgericht hat es bei einer Prüfung des BKA-Gesetzes zwar in der Tat zugelassen, dass der Staat schon bei einer drohenden Gefahr tätig wird. "Dafür gelten aber ganz viele Begrenzungen", sagt die Bremer Anwältin Lea Voigt, Mitglied im Ausschuss für Gefahrenabwehrrecht des Deutschen Anwaltvereins im Gespräch mit unserer Redaktion.

Das Bundesverfassungsgericht habe den Begriff der drohenden Gefahr eben nicht pauschal gehalten, sondern auf die Terrorismusbekämpfung bezogen.

"Das bayerische Gesetz weitet ihn aber auf ganz viele Bereiche aus", so Voigt. Darin sieht auch der Mainzer Rechtsprofessor Matthias Bäcker einen Grund, warum das bayerische Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht noch scheitern könnte.

Kritik am neuen Gesetz kommt im Übrigen sogar auch von jenen, für die es verabschiedet wurde und denen es mehr Möglichkeiten verschafft:

Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sagte der Berliner Zeitung, die Regelungen dienten nicht dazu, dass Vertrauen zwischen Bevölkerung und Polizei zu stabilisieren. "Sie sind eher darauf angelegt, Misstrauen in den Staat zu säen."

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