In einer 100-minütigen Sonderfolge widmet sich die Sendung "Report" einer Bestandaufnahme der Flüchtlingssituation: Was ist in den letzten sechs Monaten passiert? Wie ist die derzeitige Flüchtlingspolitik einzustufen? Und wie steht es um Integration, Kriminalität, Arbeitslosigkeit?

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Wie sehr hat sich unsere Flüchtlingspolitik gewandelt?

"Da muss der Balken hoch, wenn Menschen um ihr Leben bangen und Angst haben – und das nach einer langen Reise der Flucht vor einem Krieg", wird Bundeskanzler Werner Faymann vom September vergangenen Jahres zitiert. Die Sperranlagen an den Grenzen sprechen jetzt eine andere Sprache. "Diese Route ist geschlossen, und andere auch", erklärt Faymann im aktuellen Zitat.

Auch bei Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wird der politische Umschwung deutlich. "Wir tun unser Bestes! Alle helfen zusammen", versprach sie im September, als sie am Wiener Westbahnhof noch persönlich Flüchtlinge begrüßte. "Wichtig ist es vor allem, dass wir aus Europa eine Festung bauen", sagt sie nur wenig später.

Die Strategie von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, die Grenzen zuzumachen, findet schnellen Anklang in der österreichischen Regierung, die bald auch andere Staaten davon überzeugt, entsprechende Maßnahmen einzuleiten. "Wenn es Zäune braucht, ja, werden auch weitere Zäune gebaut werden", sagt Mikl-Leitner.

Nicht alle Politiker sind mit den Sperranlagen und der Einführung von sogenannten Obergrenzen einverstanden. "Man kann menschliches Leid nicht einfach von einer Grenze zur nächsten schieben", appelliert Eva Glawischnig von den Grünen.

Was sagt Außenminister Kurz?

Im Interview bezieht Außenminister Sebastian Kurz Stellung zur neuen Politik Österreichs. Er weist darauf hin, dass die Grenzschließungen keine rein österreichischen Pläne seien, sondern von 28 Regierungschefs beschlossen wurden.

Die ungefähr 10.000 Flüchtlinge, die in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze festsitzen, müssen "menschlich versorgt werden", fordert Kurz. Er hofft, dass die Flüchtlinge in die von Griechenland bereitgestellten Quartiere gehen. Auch zum Beispiel in Frankreich und Portugal gäbe es leerstehende Quartiere, die aber nicht genutzt werden, weil die Flüchtlinge hauptsächlich nach Deutschland weiterwollen. Kurz hofft darauf, dass entsprechende Informationen und Angebote besser verbreitet werden.

Er erklärt außerdem, dass kein Plan bestünde, den Brenner dichtzumachen – besteht aber darauf, dass Italien so wie einige andere Staaten damit aufhören müsse, Flüchtlinge weiter nach Mitteleuropa "weiterzuwinken".

Was sind die Daten zum Asylverfahren?

Von Januar 2015 bis heute gab es in Österreich 99.134 Asylanträge. Den größten Anteil daran haben Menschen aus Afghanistan, danach kommen Syrer und Iraker. Seit Schließung der Grenzen kommen ungefähr 100 Anträge pro Tag hinzu.

Die besten Chancen auf Asyl haben Menschen aus Syrien: 99 % aller Antragsuchenden erhalten Asyl oder subsidiären Schutz. Von den Irakern sind es immerhin 91%, von den Afghanen nur 77%. Pakistan und Marokko liegen im einstelligen Bereich.

Beim Asylverfahren wird in einem mehrstündigen Gespräch zunächst die Geschichte der Person angehört, die Fluchtgründe werden erfragt. Klaus Krainz vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erklärt, dass die Fluchtgeschichte, die erzählt wird, meist nicht stimmt: Sie wurde von den Schleppern mitgegeben. Im Team werden Angaben überprüft, soweit das möglich ist, und versucht, die wahre Geschichte einzuholen.

"Im Zweifel gegen den Antragsteller", stuft Menschenrechtsanwältin Nadja Lorenz ihre Erfahrungen mit den Asylanträgen ein. Wer abgelehnt wird, kann in zweite Instanz gehen, ansonsten muss der Antragsteller das Land verlassen.

Wie werden die Flüchtlinge integriert?

Ein wichtiger Teil der Integration der Flüchtlinge ist das Erlernen der deutschen Sprache – aber viele müssen lange warten, bis sie einen Platz in den entsprechenden Kursen erhalten. In der Zwischenzeit geben Freiwillige den Flüchtlingen Deutschunterricht.

Die Regierung hat im September 2015 eine Summe von 75 Mio. Euro fixiert, die in solche Kurse investiert werden soll. Von dem Geld wurde noch nichts ausbezahlt, weil die Aufteilung noch auf Überlappungen überprüft wird. Reinhard Hundsmüller vom Samariterbund Österreich spricht von einem "integrationspolitischen Fleckerlteppich": Vier Ministerien teilen sich die Summe auf, aber bei neun Bundesländern wisse niemand mehr, wer welche Kurse anbietet.

Sebastian Kurz äußert sich auch als Integrationsminister. Einen im vorangestellten Beitrag gezeigten Flüchtling, der acht Monate auf einen Kurs warten musste, stuft er als Einzelfall ein und bietet an, dieser Person sofort einen entsprechenden Platz zu besorgen. Kurz spricht von "maximalen Wartezeiten von einigen Wochen".

Er erklärt auch, dass es Diskussionsbedarf in Sachen Mindestsicherung gäbe: In besonders kinderreichen Familien sei die Mindestsicherung so hoch, "dass es keinen Anreiz mehr gibt, arbeiten zu gehen".

Auf die Frage, warum Flüchtlinge in Österreich so viel länger als in Deutschland warten müssen, bis ihre Qualifikationen anerkannt werden, erklärt Kurz, er habe schon vor Jahren begonnen, ein Anerkennungsgesetz zu formulieren, und momentan läge es an der Zustimmung der SPÖ. Er schränkt aber ein, dass sicherlich nicht jede Qualifikation gleich sei: In einem Krankenhaus beispielsweise erwarte man sicherlich, dass der behandelnde Arzt Deutsch spricht.

Wie steht es mit Kriminalität und Arbeitslosigkeit?

Die offizielle Kriminalstatistik für das Jahr 2015 soll erst noch veröffentlicht werden, aber der Bericht greift auf Vorabzahlen zurück. Entgegen der weitläufigen Vermutung ist die Anzahl der Anzeigen in Österreich tatsächlich zurückgegangen: 2014 waren es 527.692 Anzeigen, 2015 circa 510.000 – ein Rückgang von 3,4 Prozent.

Die Zahl der Tatverdächtigen sei allerdings gestiegen, und mit ihr auch der Anteil der Asylbewerber unter ihnen – von 10.416 auf 15.065. Der Sprecher weist darauf hin, dass aber auch die Anzahl der Asylwerber enorm gestiegen sei, die Statistik könne also in mehrere Richtungen interpretiert werden.

Von den 475.913 Arbeitslosen in Österreich sind derzeit 22.140 Flüchtlinge. Die, die Arbeit finden, arbeiten zum Beispiel in Hilfseinrichtungen wie der Diakonie oder der Volkshilfe. Die jungen unter ihnen beginnen Lehren als Köche oder im Einzelhandel. Der Bericht zeigt Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Dolmetscher oder Arzt arbeiten konnten und sich hier als Hilfsköche verdingen.

AMS-Chef Johannes Kopf spricht von einer "Herkulesaufgabe", was die Integration dieser Menschen angeht, sieht es aber auch als alternativenlose Aufgabe. "Es entstehen auch Jobs rund um die Flüchtlinge", fügt er abwägend hinzu.

Kopf erklärt die vier Pfeiler einer erfolgreichen Integration auf dem Arbeitsmarkt: Engagement und Durchhaltevermögen bei den Flüchtlingen, Akzeptanz bei der Bevölkerung, Engagement seitens der Betriebe und Förderung. Er weist auch darauf hin, dass jede Person unterschiedlich sei: Von den Afghanen beispielsweise hätten, weil ihr Land viele Jahre vom Krieg zerrüttet wurde, ein Drittel noch nie die Schule besucht.

Er hält es für sinnvoll, dass die Flüchtlinge über Österreich verteilt werden – zwei Drittel befänden sich derzeit in Wien, das die höchste Arbeitslosenquote Österreichs habe. Er hofft außerdem, dass sie schneller eingesetzt werden können. Im Hinblick auf die finanzielle Seite wünscht er sich eine ruhige Diskussion, da es seitens vieler Menschen Neid und Unverständnis gäbe. Eine Mindestsicherung kann verhindern, dass Flüchtlinge wegen geringfügig besserer Bezahlung in zukunftslose Hilfsjobs "abwandern", erklärt er.

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