Vergangene Woche hat der Europäische Gerichtshof ein Weg weisendes Urteil gefällt: Unternehmen dürfen ihren Angestellten verbieten ein Kopftuch zu tragen bzw. religiöse Symbole am Arbeitsplatz verbieten, sofern es alle Religionen betrifft. Ein Kopftuchverbot schade allerdings den Frauen, sagen Kritiker. Denn Männer müssten ihre Rolle nicht hinterfragen. Also was ist das Kopftuch: ein religiöses Symbol, oder nicht? Das versuchte die ORF-Sendung "Thema" am Montag herauszufinden.
BFI Steiermark setzt Verbot um: Hauptverband übt Kritik
Einer der ersten, der den Urteilsspruch in seinem Unternehmen umgesetzt hat ist Wilhelm Techt, Geschäftsführer des BFI Steiermark. Das Institut bietet auch Sprachkurse für Asylwerber an: "Sprachunterricht ist ja nicht Sprachunterricht alleine. Da geht es auch um Wertevermittlung wie beispielsweise, dass man einer Frau ins Gesicht blickt. Da bedarf es eine Erziehung vom westlichen Rollenmodus", sagt Techt gegenüber dem ORF-Team am Montag. Postwendend kam die Kritik aus Wien. Michael Sturm, der Chef des Dachverbans BFI Österreich: "Wir sehen die Bekleidung von Kursteilnehmerinnen nicht als Ausdruck einer religiösen Gesinnung. Auch nicht das Kopftuch."
Richterschaft gegen Kopftücher
Die Diskussion rund ums Kopftuch wird derzeit nicht nur in Unternehmen geführt, sondern auch von der Richterschaft im Lande. Richterin Sabine Matejka sieht eine unbedingte Notwendigkeit zur Neutralität: "Der Zweck des Talars den wir tragen ist, dass die Person in den Hintergrund und man nur als Amtsperson in Erscheinung tritt. Jegliche andere Bekleidung ist unpassend." Das sieht auch die türkischstämmige Wiener Anwältin Banu Kurtulan so. Sie würde nie ein Kopftuch tragen. Allerdings: ihrer Mitarbeiterin erlaubt sie es. "Wenn jemand jeden Tag einen gelben Pullover trägt und das gefällt dem Chef nicht, hat der sich auch nicht einzumischen. So sollte es auch sein, wenn eine Mitarbeiterin ein Kopftuch tragen möchte", erklärt Kurtulan ihre Einstellung. Ihre Mitarbeiterin, das ist Ayse Özcan. Sie würde es komisch finden, kein Kopftuch mehr tragen zu können: "Es würde das Gefühl entstehen, dass man sich nicht mehr willkommen und nicht mehr wie zu Hause fühlt."
Juristin verzichtet wegen Kopftuch auf Traumberuf
Eine Hardlinerin in dieser Sache ist Sherif Obayeri. Die Juristin trägt ihr Kopftuch aus religiöser Überzeugung und weigerte sich, es im Gericht abzulegen. Den Traum vom Richterberuf hat sie daher aufgeben müssen. Sie will aber dagegen protestieren: "Aus Sicht der Verfassung ist es nicht vereinbar, dass ein Kopftuch unerwünscht ist. Deswegen war es für mich kein Kompromiss, weil das Kopftuch Teil meiner Identität ist."
Doch eben diese Persönlichkeit hat im Gerichtssaal nichts verloren, sagt Sabine Matejka. Es gehe nicht darum, wie man das Kopftuch selbst sehe, sondern wie es bei anderen ankomme und von vielen werde es als religiöses Symbol gesehen. Es würde das Vertrauen in die Justiz schwächen.
Kopftuch als Symbol der Unterdrückung
Dass das Kopftuch für viele Frauen zudem ein Symbol der Unterdrückung ist, beweist die Geschichte von Maja S. Die Bosnierin ist Katholikin, ihr Ex-Mann Muslim. Bis beide nach Wien zogen, war die Religion kein Thema in der Ehe. Doch als er begann Moscheen zu besuche änderte sich das. "Dann habe ich angefangen mich so zu kleiden wie er das möchte, damit mich die anderen Männer nicht sehen", erzählte sie dem ORF. Schlussendlich habe er dann auch verlangt, dass sie ein Kopftuch trage. Das aber habe sie abgelehnt und ihn mit den beiden Kindern verlassen.
Solche Schicksale sind keine Seltenheit, erzählt Andrea Brem von den Wiener Frauenhäusern. Sie ärgert bei der Diskussion ums Kopftuchverbot besonders, dass dabei die Männer außen bleiben. "Sie sagen wo es lang geht, aber die Diskussion wird im wahrsten Wortsinn auf den Köpfen der Frauen ausgetragen. Denn den muslimischen Mann erfasst das nicht, es ist nur die Frau, die am Arbeitsplatz unerwünscht ist." Das Verbot ist für sie daher nicht sinnvoll. Eher schon müsse man es an Wertekatalogen festmachen und nicht an Symbolen.
Neue Mittelschule in Wien setzt auf Unterricht mit Kopftuch
Dass diese Werte sehr oft mit unseren gesellschaftlichen Ansichten unvereinbar sind, bestätigen auch die Schilderungen von Andrea Walach, Direktorin Neue Mittelschule Gassergasse in Wien. Es sei zu beobachten, dass in muslimischen Familien nach wie vor die Männer das Sagen hätten. "Oft sind die Frauen auch nicht berufstätig. Manchmal kommt es sogar vor, dass die Frauen gar nicht Deutsch lernen dürfen." Walach setzt dennoch nicht auf Verbote. Sie hat sogar eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch eingestellt: Gönül Erez. Erez selbst will dafür sorgen, dass die Kinder durch sie erst recht mit vielen anderen Kulturen in Kontakt kommen und sieht sich nicht als Vorbild für die Mädchen, sondern will sie dazu anregen sich selbst ein Bild über das Kopftuch zu machen. "Sie ist deshalb beliebt, weil sie zusätzlich Integrationsarbeit leistet. Sie ist ein Vorbild für die Mädchen und zeigt: Ich trage ein Kopftuch bin aber dennoch emanzipiert und gut ausgebildet", sagt Walach. Ob sich dieses Modell auch auf andere Bereiche umlegen lässt wird sich erst zeigen. In erster Linie, und da sind sich alle einig, steht und fällt es mit einer gelungenen Integrationsarbeit.
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