Nach dem Doppelmord in Perchtoldsdorf kommen immer mehr Details ans Tageslicht. Die Geschwister des mutmaßlichen Mörders haben nun in der ORF-Sendung "Thema" erstmals Stellung bezogen - und nehmen den Bruder in Schutz.
Überforderung als Mordmotiv: Im Fall des Doppelmordes vom 3. Jänner in Perchtoldsdorf werden immer mehr Details bekannt. Der 47-jährige Gerald B. hatte zwei Tage nach Neujahr seine beiden Eltern mit einem Baseballschläger umgebracht und selbst die Polizei verständigt.
Nun ist klar: Gerald B. war der einzig Hörende in der Familie. Der ermordete Wilfried B. (85) war gehörlos. Seine Frau Hannelore (75) ebenfalls taub. Sowie die Schwestern, die am Montag erstmals an die Öffentlichkeit traten.
Am Montag nahmen nun seine Geschwister erstmals in der ORF-Sendung "Thema" Stellung. Traude B., Beatrix B. und Schwiegersohn Alexander K. schilderten ihre Eindrücke mit Hilfe einer Gebärdensprache-Dolmetscherin.
Dass ihr Bruder zu so etwas in der Lage war, können sie sich nicht erklären: "Ich kann mir das bis jetzt nicht vorstellen. Er ist ein unglaublicher Mensch mit ganz viel Liebe", sagte Traude B.
"Er war völlig überfordert"
Auch Beatrix B. nahm ihren Bruder in Schutz: "Mein Vater hatte mehrere Schlaganfälle. Mein Bruder hat sich immer 24 Stunden um die Eltern gekümmert und sie begleitet. Mein Bruder war völlig erschöpft. Er hat nicht geschlafen, nicht gegessen. Er war völlig überfordert."
Allerdings sei er nicht nur der einzige Kinderlose gewesen, sondern auch der einzige Hörende, der alle notwendigen Anrufe für die Eltern erledigen konnte, sagte der Schwiegersohn.
Seine Überforderung gestand der 47-Jährige bereits bei der Festnahme, sagte Johann Baumschlager von der Polizei Niederösterreich: "Er hat gegenüber den festnehmenden Beamten mitgeteilt, dass er der Situation nicht mehr gewachsen war und seine Eltern getötet hat."
Warum es letztendlich zu dem Drama gekommen ist? Auslöser dürfte die Aneinanderreihung von Krankheitsfällen kurz vor Silvester gewesen sein. Zuerst stürzte die Mutter und musste ins Krankenhaus.
Wenig später erkrankte der Vater an einer Viruserkrankung und musste ebenfalls in ärztliche Behandlung ins Spital. Eigentlich hoffte der Sohn, dass die Eltern länger bleiben konnten. Doch die vorschnelle Entlassung habe ihn schließlich überfordert und sei mit Schuld an dem Desaster gewesen, kritisiert Schwiegersohn Alexander B.
Kritik am Hilfswerk: Leiter weist Vorwürfe zurück
Auch das Niederösterreichische Hilfswerk hätte zu wenig getan, kritisiert die Familie. Am Tag vor dem Mord wandten sich Gerald B. und seine Schwestern an das Hilfswerk. Es sei schließlich eine Pflegerin ins Haus gekommen, die aber lediglich gesagt hätte, was alles nicht möglich sei.
Christoph Gleirscher, Leiter des Niederösterreichischen Hilfswerk sieht das anders: "Es war eine normale Beratung. Geendet hat das Gespräch damit, dass der Sohn gesagt hat, wenn er das möchte, würde er sich melden. Unsere Kollegin hat die Familie nach besten Gewissen beraten. Ein Auslöser für so eine Schreckenstat kann man nicht an einer kurzfristigen Inanspruchnahme des Hilfswerks festmachen."
Diese Wahrnehmung teilen die Kinder der Verstorbenen nicht: Man habe schließlich einen Zettel mit verschiedenen Adresse von Pflegeeinrichtungen bekommen.
Der Bruder habe sofort zu telefonieren begonnen, aber einen Platz oder Hilfe hätte es nicht gegeben.
Jahrzehnte lang kümmerte sich Gerald B. um seine Eltern. Um Hilfe hat er erst wenige Tage vor der Schreckenstat gebeten. Leider zu spät.
Karl Boskovitz, ein Freund des Opfers Wilfried B.: "Wenn der Vater Probleme hatte, der Sohn war sofort da. Der Sohn hat immer alles geschluckt und nie gejammert."
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