Im Impftalk bei Maybrit Illner rechnete Schauspieler Ralf Moeller mit der deutschen Bürokratie in der Corona-Krise ab. Auch Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel bemängelte, dass das Land den Umgang mit Krisen offenbar verlernt habe. Und die Gastgeberin nahm im Maskenskandal einen CDU-Politiker arg in die Mangel.

Eine Kritik
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Vor einem Jahr rief die Weltgesundheitsorganisation WHO die Pandemie aus. Damals gab es weltweit rund 4.000 Tote durch das "neuartige Coronavirus", heute sind es mehr als 2,6 Millionen. Deutschland kam zunächst ordentlich durch die Krise, galt sogar als "Pandemie-Weltmeister" und leistete sich einen "Sommer der Sorglosigkeit" mit viel Urlaub und ohne große Einschränkungen.

Erst mit der zweiten Welle ab dem Herbst trübte sich die deutsche Bilanz arg ein. Die Todeszahlen stiegen dramatisch, die Impfkampagne läuft im Vergleich zu anderen Staaten stockend, Staatshilfen kommen oft nicht an. Das Thema bei Maybrit Illner: "Priorisieren statt improvisieren – warum scheitern die Deutschen?"

Das sind die Gäste bei "Maybrit Illner":

  • Ralf Moeller: Der Schauspieler und Autor ("Erstma' machen!") gab der herrschenden Klasse ordentlich was auf die Mütze – verbal zumindest. Die deutsche Bilanz in der Corona-Krise? "Klar ist, dass wir nicht in der Bundesliga sind, sondern in der Kreisklasse." Die Leistung der Politik? "Totales Versagen!", schimpfte Moeller. Außerdem werde "zu viel rumdiskutiert", Hilfen kämen nicht bei den Unternehmern an. Und wie sollen seine hochbetagten Eltern allein im Internet einen Impftermin buchen? Außerdem sagte Moeller noch den kultigen Satz: "Meine Eltern haben Rollers". Gemeint waren nicht Roller, sondern Rollatoren, wobei er "Rollers" mit starkem amerikanischen Akzent aussprach.
  • Thorsten Frei: Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wies Ralf Moellers Generalkritik zurück. Frei mühte sich, trotz der Mangelsituation beim Impfstoff auf die deutschen Erfolge in der Pandemie hinzuweisen: Ein Großteil der über 80-Jährigen ist schon immunisiert, die Intensivstationen leeren sich wieder, die relativen Todeszahlen sind hierzulande immer noch geringer als in vielen anderen Staaten. Kleinlauter wurde der Fraktionsvize, als Illner nach dem Maskenskandal in der CDU fragte. Dass Einzelne diese Krise für eigene Geschäfte missbraucht haben, "hat mein Vorstellungsvermögen auch gesprengt", gab Frei zu. Seine Hoffnung: dass keine weiteren solcher Fälle ans Licht kommen.
  • Anna Kebschull (Bündnis 90/Grüne): Die Landrätin des Landkreises Osnabrück regte sich darüber auf, dass in Deutschland alles schlecht geredet werde. Ein Seitenhieb auf die Generalkritik von Muskelmann Moeller. "Ich finde die Diskussion, ehrlich gesagt, ein bisschen schwierig. Immer einen Schuldigen zu suchen, muss nicht das richtige Mittel sein", so Kebschull. Auf pauschale Kritik mit einem pauschalen Abwehrreflex zu reagieren, muss auch nicht das richtige Mittel sein. Zumal reale Versäumnisse nicht wegzureden sind. Später gab die Grünen-Frau zumindest zu, dass die schleppenden Zahlungen der Corona-Hilfen "ein großes Problem" seien.
  • Sigmar Gabriel (SPD): Der ehemalige SPD-Vorsitzende bemängelte die deutsche Überbürokratisierung und mangelnde Flexibilität. In seinen Augen wäre es beispielsweise besser gewesen, wenn sich die Finanzämter um die Corona-Hilfen gekümmert hätten. "Offensichtlich" habe es das Land verlernt, "wie man mit einer Krise umgeht", so Gabriels nüchterne Analyse. Bei der Bedrohung durch linken Terrorismus in den 70er Jahren hätten sich die Krisenstäbe drei- bis fünfmal am Tag beraten. "Heute tagen sie einmal die Woche."
  • Anne McElvoy: Die britische Journalistin ("The Economist") spottete darüber, dass Deutschland vielleicht zu sehr geglaubt hat, dass es Pandemie-Weltmeister sei. Zumindest bei den Impfungen hat Großbritannien die deutlich bessere Bilanz aufzuweisen. Kritik, dass das Königreich anders als die EU noch keinen Impfstoff in die Welt exportiert hat, wies McElvoy ohne stichhaltige Argumente zurück.
  • Georg Mascolo: Der Journalist und Co-Autor ("Ausbruch. Innenansichten einer Pandemie") sagte den schlauen Satz, "dass Pandemien nicht verzeihen. Sie halten Gesellschaften den Spiegel vor". Und darin ist zu sehen, dass Deutschland nach dem "Sommer der Sorglosigkeit" auf die zweite Welle nicht gut genug vorbereitet war. Vor allem, weil die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten bei der Corona-Bekämpfung nicht immer einer Meinung waren. Was schärfere Regeln gegen Lobbyismus, mangelnde Transparenz und den fehlenden Paragrafen gegen Abgeordnetenbestechung betrifft, sah Mascolo ein "systemisches Problem bei der Union".

Das war der Moment des Abends

Es war ein einziger Satz, der den Unterschied zwischen Großbritannien und Deutschland beim Impffortschritt auf den Punkt brachte. "Sie werden mit 55 nächste Woche geimpft – Herzlichen Glückwunsch", sagte Illner zur Journalistin Anne McElvoy.

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Das war das Rededuell des Abends

Beim Thema Transparenz und Lobbyismus legte die Gastgeberin den Finger bei CDU-Mann Frei in die Wunde. Ob sich die Kanzlerpartei denn künftig für strengere Regeln einsetzen wolle? So richtig überzeugend antwortete der Fraktionsvize nicht. Frei verwies auf das Lobbyregister-Gesetz, das CDU und SPD noch beschließen wollen. Allerdings bemängelt die Organisation "Lobby Control", dass der Entwurf deutlich hinter internationalen Standards zurückbleibt.

Auftritt Sigmar Gabriel. Ob er für die SPD-Abgeordneten in Sachen Transparenz und Integrität die Hand ins Feuer legen würde? "Da würde man natürlich gerne sagen: selbstverständlich!", gab Gabriel offen zu. Aber der Bundestag sei schließlich "keine Bestenauslese", so der SPD-Politiker.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Es war ein grundsolider Auftritt der Gastgeberin, die an den richtigen Stellen nicht locker ließ (siehe oben). Sie nötigte Thorsten Frei durch penetrantes Nachfragen zudem ein Lob für die viel kritisierten CDU-Minister Jens Spahn und Peter Altmaier ab. Ob die beiden starke Minister in dieser Krise seien? "Ja, sie machen ihre Arbeit ganz hervorragend", sagte Frei. Nach der dritten Nachfrage Illners klang diese Antwort nicht sonderlich überzeugend.

Das ist das Fazit

Hat Ralf Moeller mit seiner Generalkritik an der deutschen Politik und Bürokratie in der Corona-Krise Recht? Haben wir versagt? So einhundertprozentig zur Seite springen wollte dem Hollywood-Schauspieler bei seinem "Germany-Bashing" niemand. Bei den anwesenden Politikern, Gabriel ausgenommen, setzten sogar – die erwartbaren Abwehrreflexe – ein.

Für Journalist Mascolo gilt es nun alles zu tun, "um weitere Fehler zu vermeiden". Deutschland müsse die Impfstoffproduktion ankurbeln, forderte er. Zudem sollten die Hausärzte in seinen Augen möglichst schnell eine "ganz entscheidende Rolle" in der Impfkampagne spielen. Frei machte sich dafür stark, bei den Priorisierungen künftig pragmatischer vorzugehen, um zu verhindern, dass vorhandener Impfstoff nicht liegen bleibt.

Immerhin war man sich in der Runde weitgehend einig, dass "Impfstoffnationalismus" (Gabriel) wie von den USA und Großbritannien praktiziert in der Zukunft dazu führen wird, dass sich diese Länder "unangenehme Fragen stellen lassen" müssen, so Mascolo. Er warb für Milde gegenüber der EU, der bei der Beschaffung der Vakzine von vielen Seiten eine gewisse Schlafmützigkeit attestiert wurde.

Schließlich wurden auch die Folgen des CDU-Maskenskandals auf die anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz diskutiert. Für Unions-Fraktionsvize Frei steht, dass die Vorfälle "natürlich" Auswirkungen haben werden. Das Vertrauen vieler Wähler in die Integrität der Politik ist erschüttert. Nicht nur bei Ralf Moeller, der bei diesem Thema nicht mehr zugeschaltet war. War wahrscheinlich besser so für Frei und die CDU.



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