Maybrit Illner muss noch immer wegen Corona aussetzen – also springt Marietta Slomka ein und mitten hinein in eine Debatte um den Ukraine-Krieg, die ihr merklich zusetzt. Ein Berater von Wolodymyr Selenskyj fordert mehr Waffen und ein Energieembargo, eine Politikwissenschaftlerin rät dringend von einem Treffen mit Putin ab.
Nicht nur ein, sondern gleich drei Gipfel standen an diesem Donnerstag in Brüssel auf der Tagesordnung: Die Nato, die G7, die EU, sie alle berieten über den Krieg in der Ukraine. Es wurde eine Demonstration der Geschlossenheit, aber viel mehr als eine deutliche Warnung vor dem Einsatz chemischer Waffen kam nicht heraus. Hilft das der Ukraine?
In Vertretung der noch immer corona-positiven
Ein Berater des ukrainischen Präsidenten
Das sind die Gäste bei "Maybrit Illner" mit Marietta Slomka
Als erster US-Präsident wohnte
CDU-Außenpolitiker
Das "ganze Arsenal" der westlichen Sanktionen habe Putin überrascht, meint
Alexander Rodnyansky, Wirtschaftsberater von Wolodymyr Selenskyj, macht noch einmal klar, dass die Ukraine keine Gebiete aufgeben wird. Ohnehin seien die Friedensverhandlungen nur "Täuschungsmanöver" der Russen: "Sie sollen dem Westen vortäuschen, es gebe Frieden, damit keine neuen Sanktionen kommen."
Verhandlungen seien trotzdem immer gut, sagt Florence Gaub, stellvertretende Direktorin des Europäischen Instituts für Sicherheitsstudien in Paris. Nur von einem direkten Treffen mit Putin würde sie Selenskyj abraten: "Es gab ja Gerüchte, er könne ermordet werden oder vor ein Tribunal kommen in Russland."
Der Moment des Abends
In seinen umstrittenen "Putin Interviews" schaute sich der Filmemacher Oliver Stone gemeinsam mit dem russischen Präsidenten den Kubrick-Klassiker "Dr. Strangelove" an, eine Satire auf den Kalten Krieg, die mit einem Atomkrieg endet. Kurz vor der Filmvorführung fragt Stone Putin, wie ein "Heißer Krieg" zwischen den USA und Russland heutzutage ausgehen würde. Putin, mit versteinerte Miene, antwortet auf russisch, ein Dolmetscher übersetzt: "I believe no one would survive such a conflict."
Keiner überlebt, das war und ist die Logik der nuklearen Abschreckung. Sie gilt auch für Putin, eigentlich. Andererseits hat der russische Präsident allein mit der Drohung mit Atomwaffen eine "Norm gebrochen", meint Constanze Stelzenmüller.
Norbert Röttgen glaubt, dass Putin noch in der "Rationalitätsphase" ist, in der es um Einschüchterung gehe. Was aber, wenn seine Truppen militärisch unter Druck geraten? "Ich kenne keinen, der sagt: Ich kann ihn dann noch berechnen. Es geht für ihn schon um alles oder nichts."
Düstere Aussichten, denen Alexander Rodnyansky eine Hoffnung entgegenhält: die russischen Oligarchen. "Die haben Yachten, die 600 Millionen Euro kosten. Das sind Menschen, die gern leben. (…) Ich glaube, die Angst vor einem Nuklearschlag ist übertrieben."
Das meint auch Florence Gaub, für die nicht die Bombe an sich die Waffe ist, sondern die Angst davor: "Das Spiel mit der Angst ist Kalkül, wir werden manipuliert. Diese Angst hält uns ab, zu eskalieren – das ist gewollt."
Das Rededuell des Abends
Kann sein, dass Florence Gaub recht hat. Nur: Was, wenn Putin nicht blufft? Das Risiko, es herauszufinden, will momentan niemand eingehen. Auch das Nato-Treffen brachte keine Klarheit, was die viel beschworene "Rote Linie" angeht, die Russland ja auch schon in Syrien ohne Konsequenzen übertreten durfte – mit dem Einsatz von chemischen Waffen durch Assad.
Also bleibt vorerst nur die Hoffnung auf eine Lösung von innen heraus, über einen "Auszehrungskrieg", wie es Norbert Röttgen ausdrückt. Der würde einerseits weitere Zerstörung in der Ukraine anrichten, aber eben auch Russland ausmergeln, bis die Bevölkerung die wirtschaftlichen Folgen – und die Särge der getöteten Soldaten – bemerkt und protestiert.
Mit einem Handelsembargo könnte man quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, sagt Selenskyi-Berater Rodnyansky: Der Kreml hätte weder Geld für den Krieg noch für den repressiven Polizeiapparat. "So bringen wir das Regime aus dem Gleichgewicht. Und mit einem demokratischen Russland kann man reden."
Nicht so schnell, mahnt Politikwissenschaftlerin Gaub: "Wir müssen nicht gleichzeitig eine militärische und eine politische Niederlage herbeiführen." Noch bestehe eine Chance, dass Putin mit einer gesichtswahrenden Lösung die Truppen zurückzieht. "Wenn man übereskaliert und auf 'regime change' geht, schießen wir übers Ziel hinaus."
So hat sich Mariette Slomka geschlagen
"Maybrit heißt heute Marietta", so stellt sich die Illner-Vertreterin vor. Der Stamm-Gastgeberin geht es laut ZDF zwar schon besser, aber der Corona-Test schlägt noch immer an.
Slomka braucht einen kleinen Augenblick, um sich ins Format einzufinden, moderiert die ersten Einspieler in gewohnter Nachrichtensprecherinnen-Manier an, wird dann aber zusehends lockerer und dirigiert die Runde souverän.
Zum Abschluss gibt sie Alexander Rodnyansky aufmunternde Worte ("Passen Sie gut auf sich auf") mit auf den Weg nach Kiew und den Zuschauern einen nachdenklichen Einblick in ihr Seelenleben angesichts des "harten" Themas: "Man traut seinen Ohren nicht, was man selber für Fragen stellt. So sind die Zeiten ..."
Das ist das Ergebnis der Talkshow
Werden die Zeiten bald besser? Constanze Stelzenmüller ist eher pessimistisch. So gut wie die PR der Ukraine sei, gehe sie davon aus, dass "es den Russen besser geht, als wir denken, und den Ukrainern schlechter". Ganz konkret macht ihr die Situation von Odessa Sorgen. Fällt die strategisch enorm wichtige Hafenstadt, versetze das die ukrainische Regierung in eine "verzweifelte Lage".
Russland rüste bereits zur nächsten Offensive, bestätigt Alexander Rodnyansky, Kiew brauche dringend Waffen und einen Energie-Importstopp.
Was, wenn Russland doch militärisch gewinnt? "Das ist keine Option", sagt Katarina Barley zur Vorstellung, dass russische Truppen dann "vor der Haustür" stehen, wie es Slomka ausdrückt.
Nur: Das tun sie schon seit Jahrzehnten, nämlich an der Grenze zu Estland und Lettland. Ganz zu schweigen von der Situation im Kalten Krieg. Neuordnung heißt wohl das Stichwort für den nächsten Schritt. Die Frage ist nur: Kann man diesen Schritt mit Putin gehen?
"Das ist over", findet Constanze Stelzenmüller. "Er ist ein Kriegsverbrecher." Auch Alexander Rodnyansky glaubt, Europa könne "nicht mit diesem Regime weiterleben", denn dann sei "das Thema nicht durch".
Ständige Kriegsangst, Versicherungskosten, Investitionsstopps – es ist ein ungemütliches Szenario, das der Wirtschaftswissenschaftler skizziert. "Es endet nicht in Kiew", fügt Florence Gaub hinzu. "Es geht auch um uns."
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