Wahldesaster bei der FDP, Überraschungserfolg bei den Linken: Die Aufarbeitung der Bundestagswahl und die Frage, wie es weitergeht, werden bei Markus Lanz zur emotionalen Achterbahnfahrt - für Kubicki wie Ramelow. Lanz zeigt sich besorgt: "Denken Sie an Ihren Blutdruck!"
Mit 4,3 Prozent verpasste die FDP nicht nur die Fünf-Prozent-Hürde für den Bundestag klar, sondern erzielte auch das schlechteste Ergebnis seit ihrer Gründung. Parteichef Christian Lindner trat daraufhin zurück - und hinterließ eine Lücke, die sein Vize Wolfgang Kubicki jetzt vielleicht füllen muss. Dass er mit "72 Jahren nicht die Zukunft der Partei" wäre, wisse er selbst. Doch wie könnte genau diese aussehen, und hatte die Diskussion über das D-Day-Papier sowie das Ja von Teilen der Partei zu Merz' Migrations-Abstimmung die Talfahrt der Liberalen beschleunigt?
Dass Letztere und vor allem die viral gegangene Rede von Linke-Chefin
Die Gäste
- Linken-Politiker
Bodo Ramelow war vor sechs Monaten noch der abgewählte Ministerpräsident von Thüringen, dann trug er als Teil des Trios "Silberlocke" maßgeblich zum Erfolg seiner Partei bei: "Es ist mir eine große Ehre, mir klar zu sein, dass eine Zwei-Drittel-Mehrheit nur zustande kommt, wenn man mit uns ins Gespräch kommt." - FDP-Vize
Wolfgang Kubicki verteidigt nach dem verheerenden Wahlergebnis den Ausstieg des FDP-Chefs: "Ich bin der Letzte, derLindner nachsagen will, dass er sich vom Acker machen will." - Journalistin Anna Lehmann sieht die FDP auf dem falschen Weg: "Sie ist nicht die Partei der Eigenverantwortung, sondern die Partei des Eigennutzens geworden - und das ist das Problem."
- Journalistin Kerstin Münstermann hält die Migrationsabstimmung im Bundestag für einen schweren Fehler, der auch der FDP geschadet hat: "Den Liberalen hätte es gutgetan, aufzustehen und zu sagen: 'Lieber Friedrich Merz, nicht mit uns, so nicht'."

Der Schlagabtausch
Die "FDP gleicht der Titanic, die untergeht (...), und an Bord ist niemand mehr übrig", traf "taz"-Journalistin Anna Lehmann den Nagel auf den Kopf und stellte die Gretchenfrage: "Wer zieht den Karren aus dem Dreck?" Genau das beschäftigt auch die verbleibenden Liberalen, allen voran Vize-Chef Wolfgang Kubicki. "Ich bin der Letzte, der Lindner nachsagen will, dass er sich vom Acker machen will", sagte der FDP-Politiker.
Dennoch: "Am Montag erklären plötzlich alle stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden außer mir, dass sie nicht mehr dabei sind. Es erklären alle Leute, von denen ich geglaubt habe, sie prägen die Zukunft dieser Partei, dass sie bedauerlicherweise, weil sie sich beruflich neu orientieren wollen, nicht mehr dabei sind. Was soll eine Partei erwarten, was soll passieren, außer dass Chaos ausbricht?"
Sich so vor Lindner zu stellen, sei nett, meinte Lehmann. Aber: "Ich finde das spiegelt wider, was die FDP demonstriert hat: Sie ist nicht die Partei der Eigenverantwortung, sondern die Partei des Eigennutzens geworden - und das ist das Problem." Es brauche eine starke liberale Kraft, die "mehr ist als die Partei der Besserverdienenden und Wohlstandsverwöhnten". Die FDP sei zur Klientel-Partei für Reiche geworden - und letztlich an sich selbst gescheitert.
"Die Wahl ist gelaufen", antwortete Kubicki jetzt merklich sauer, "alle drei (Regierungsparteien, Anm. d. Red.) haben verloren, selbst Habeck hat dramatisch verloren, dafür gibt es eine andere Erklärung als: Die FDP ist schuld", sagte der 72-Jährige. "Also hat sich das ganze Theater gelohnt für Sie?", ließ Lehmann nicht locker.
Er wäre viel früher aus der Regierung getreten, und auch mit der Diskussion zum D-Day-Papier hätte man anders umgehen können, versuchte Kubicki sich herauszureden. Da wurde es
Die Offenbarung des Abends
Mit rund 8,8 Prozent aller Stimmen und einem Plus von 3,9 Punkten im Vergleich zu 2021 zählt die Linke bei der Bundestagswahl zu den Gewinnern. "Die Linkspartei hat etwas gemacht, und das ist der Schlüssel des Erfolges: Sie hat sich nicht in den Überbietungswettbewerb hineinbegeben: Wer schiebt härter ab, wer hält stärker fern, wer baut die größten Abschiebegefängnisse? Sie hat auf Themen gesetzt, die die Leute auch interessieren: mehr Geld für die Infrastruktur, Umverteilung, bezahlbares Wohnen, bezahlbare Mieten, bezahlbares Leben - damit hat sie reüssiert", analysierte "taz"-Journalistin Lehmann den Erfolg von Ramelow und Co., "die Linke hat auf Leben gesetzt."
Diese Bemerkung bekam der ebenfalls im Studio anwesende Thüringer Politiker in den falschen Hals: "Falls Sie zur Kenntnis nehmen, dass ich hier bin", sagte Ramelow, "Sie fangen an, über meinen Kopf über die Linke zu reden, aber nicht mit mir."
Lanz war sichtlich überrascht ("Ich rede ja mit Ihnen"), ließ sich jedoch nicht beirren und stellte seine Fragen weiter. Ganz zum Schluss etwa zum Thema Sperrminorität, mit der Minderheiten wie die AfD, aber auch die Linke Beschlüsse im Parlament verhindern könnten. "Es ist mir eine große Ehre, mir klar zu sein, dass eine Zwei-Drittel-Mehrheit nur zustande kommt, wenn man mit uns ins Gespräch kommt", erklärte Ramelow.
Er betonte, dass es ihm einerseits um Investitionslenkung und andererseits um die Aufhebung des Kooperationsverbots und ein Angehen der "Gemeinschaftsaufgabe Bildung" gehe. "Das setzt aber voraus, dass die CDU über sich nachdenken muss, mit wem sie reden will", fügte er hinzu. Aber das interessiere Lanz ja gar nicht, warf er dem Moderator vor, dieser wolle ihm nur ein Ja oder Nein zum CDU-Antrag über ein Sondervermögen für die Bundeswehr entlocken.
"Sie sitzen nicht in meinem Kopf, da wohne ich noch selbst", wies Lanz die Unterstellung von sich, "ich wollte etwas anderes wissen, das wissen Sie ganz genau." Ramelow konterte: Fiktive Antworten auf fiktive Fragen zu geben, lehne er ab. "Ganz ruhig, denken Sie an Ihren Blutdruck", stichelte Lanz weiter, als Ramelow sichtlich emotional klarstellte: "So lange es den Unvereinbarkeitsbeschluss gibt, gibt es keine Gespräche mit der Linken."
Da entfuhr dem sonst so ausgebufftem Moderator ein "Wow": "Da merkt man, wie viel persönliche Befindlichkeiten im Spiel sind", bemerkte er. "Sie sind richtig getroffen, Sie sind verletzt wegen des Unvereinbarkeitsbeschlusses." Diese Emotionen könnten Lanz zufolge nicht nur das Sondervermögen Bundeswehr blockieren - sondern auch die Beinfreiheit einschränken, andere Dinge umzusetzen.
Der Erkenntnisgewinn
Von Altersmilde war bei Wolfgang Kubicki und Bodo Ramelow nichts zu spüren, das musste auch Markus Lanz erstaunt feststellen. Vor allem die Befindlichkeiten des Linken-Politikers, der sich immer wieder übergangen oder missverstanden fühlte, überraschten den Moderator sichtlich.
Während es bei der FDP angesichts der fehlenden Jungen ums Überleben der Partei geht, steht auch die Zukunft im neuen Bundestag auf wackeligen Beinen. Denn die Linkspartei und die AfD haben eine Sperrminorität und könnten somit wichtige Beschlüsse - wie etwa das geplante Sondervermögen äußere Sicherheit - verhindern. Immer wieder stellte Ramelow klar, dass es ohne die Aufhebung des Unvereinbarkeitsbeschlusses der CDU mit der Linken keine Gespräche geben werde - keine guten Voraussetzungen für eine Einigung der demokratischen Mitte. © 1&1 Mail & Media/teleschau