Der Rammstein-Skandal hat auch die Gemüter bei "Hart aber fair" am Montagabend erhitzt. Klamroth hob die Debatte mit seinen Studiogästen auf eine höhere Ebene: Wie groß ist das Thema Sexismus in Deutschland noch? Während Unternehmer Thomas M. Stein für die Band in die Bresche sprang, konnte sich Journalistin Stefanie Lohaus bei einer seiner Aussagen nur noch lachend abwenden.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Seit Ende Mai gibt es schwere Vorwürfe gegen den Rammstein-Frontmann Till Lindemann. Eine Frau aus dem Band-Umfeld soll bei Konzerten junge Frauen rekrutiert haben, um sie Lindemann später systematisch zuzuführen – auch zum Sex. Die Nordirin Shelby Lynn hatte die Vorwürfe ins Rollen gebracht. Zahlreiche Frauen berichteten von ähnlichen Vorfällen.

Das ist das Thema bei "Hart aber fair"

Der Rammstein-Skandal war am Montagabend Aufhänger, um über Machtgefälle, Missbrauch und Sexismus allgemein zu sprechen. Dabei wollte Klamroth wissen: "Wann gibt es endlich Augenhöhe statt Machtgefälle? " und "Was haben Frauen schon erreicht, Männer gelernt?" Außerdem ging es um Frauenquoten, die Integration von Männern mit Migrationshintergrund und den Umgang mit Mutmaßungen in den Medien.

Das sind die Gäste

  • Stefanie Lohaus: "Die Vorwürfe gegen Rammstein sind ein klassischer Fall von Machtmissbrauch und der kommt überall vor – nicht nur bei Superstars", sagte die Journalistin und Projektleiterin von "Gemeinsam gegen Sexismus". Sie sei nicht überrascht, da die Gedichte von Lindemann in eine ähnliche Richtung weisen würden. Die Medienhäuser würden sorgfältig mit den Vorwürfen umgehen, es brauche mehrere Quellen und eidesstattliche Versicherungen. "Es ist schnell von statten gegangen. Das hat mich sehr überzeugt", sagte sie über die Berichterstattung.
  • Elena Kuch: "Shelby Lynn sagt, sie hätte sich bei diesem Konzert verhalten, wie sie sich noch nie in ihrem Leben verhalten hat", berichtete die Investigativ-Journalistin. Während des Konzerts soll sie in einer Kammer unter der Bühne auf Till Lindemann getroffen sein. "Sie hat die Vermutung, unter Drogen gesetzt worden zu sein und wollte andere Frauen warnen, die in Zukunft auf Konzerte gehen", so Kuch. Ihr Rechercheteam habe mit mehr als einem Dutzend Frauen gesprochen. "Sie sprechen von einem Rekrutierungssystem", sagte die Journalistin. "Eine hat uns geschildert, dass sie den Sex als sehr gewaltvoll empfunden hat", berichtete sie weiter.
  • Tobias Haberl: Der Buchautor sagte: "Der entscheidende Punkt ist die Einvernehmlichkeit." Viele Frauen fühlten sich von Stars angezogen und hätten und hatten freiwillig Sex mit ihnen. "Die Unschuldsvermutung gilt, auch wenn vieles dagegenspricht", erinnerte er. In den Medienberichten erlebe man ein Framing, bei dem man sich kaum noch vorstellen könne, dass so jemand unschuldig sein könnte.
  • Thomas M. Stein: Der Unternehmer und ehemalige Musikproduzent sagte: "Solange die Vorwürfe nicht bewiesen sind, sollte man mit Anschuldigungen sehr vorsichtig sein." Über die Bandmitglieder sagte er, sie seien im privaten Umfeld "angenehme, gesprächsbereite Zeitgenossen". "Ich bin verwundert", resümierte er über die Vorwürfe. Er wisse jedoch nicht, was passiert sei. "Alles, was wir hier hören, ist Mutmaßung", betonte er. Eine "Row Zero" habe es schon immer gegeben – bei Heino und bei Roberto Blanco. "Das ist überall ganz üblich", so Stein.
  • Lisa Schäfer (CDU): "Ich empfinde es als unangenehm, wenn ich durch Brennpunktstraßen in größeren Städten laufe, und mir junge Männer, deren Sprache ich teilweise noch nicht einmal verstehe, Sprüche hinterherrufen", berichtete die Kommunalpolitikerin. Sie forderte, darüber zu reden, dass "ein Teil der Männer, die wir integrieren wollen, hier mit einem komplett anderen Frauenbild herkommen". Eine Frauenquote brauche es im Bundestag nicht – damit begebe sich die CDU auf einen "identitären Weg der Gleichstellung".
  • Rita Süssmuth (CDU): Die ehemalige Bundesfamilienministerin und Bundestagspräsidentin sagte: "Wir empören uns, was da passiert ist – wissen aber, dass das schon lange passiert." Es passiere zu wenig dagegen. "Wartet nicht wieder ab 100 Jahre – sondern handelt!", forderte sie. "Was haben wir eigentlich gegen eine gleiche Beteiligung von Männern und Frauen?", fragte sie. Bei Quoten heiße es allerdings oft: "Ihr seid ja nur als Quotenfrau hier!"

Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber fair"

"Es darf nicht wieder zu einer pauschalen Männer-Diffamierung, alter weißer Mann, toxische Männlichkeit, kommen", warnte Buchautor Haberl. Feministinnen sollten aufhören, Männer allein für alles Übel in der Welt verantwortlich zu machen. Es sei gut, dass man sensibler geworden sei, aber in dieses Fahrwasser, in dem man sich nach der "Metoo"-Debatte befunden habe, dürfe man nicht wieder geraten.

"Nicht jeder Mann ist ein Missbrauchstäter", erinnerte er. Lohaus wollte sich auf die Debatte so nicht einlassen: "Niemand sagt, alle Männer sind Täter", hielt sie dagegen. Die mediale Berichterstattung sei wichtig, weil viele Betroffene sich nicht trauen würden, zur Polizei zu gehen. Applaus gab aus dem Studio für beide Statements.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Stein versuchte, die Band zu verteidigen: "Wie der sich mit 60 Jahren ausarbeitet, wie der über die Bühne rennt. Dann soll der plötzlich darunter gehen und noch plötzlich jemanden beglücken? Dann muss er ins Museum. Das ist eine Kraft, die kannst du eigentlich gar nicht aufbringen." Später sagte er: "Es wird hier jemand extremst vorverurteilt." Etwas "einfach so in den Raum zu stellen" sei eine Riesengefahr. Unter Umständen zerbreche die Band daran.

"Wir reden ja nicht von Einzelfällen", schaltete sich Lohaus ein. Es gehe um dutzende Fälle. "Es gibt keinen Grund, warum diese Frauen 'einfach so' an die Öffentlichkeit gehen sollten. Das ist hochschwierig und hochrisikoreich für die Frauen selbst", erinnerte sie. Es sei schambehaftet und tabuisiert. "Es hat nichts mit Selbstdarstellung zu tun", betonte Lohaus. In diesem massenhaften Vorkommen noch von Mutmaßungen zu reden, "das finde ich tatsächlich zynisch!", sagte sie.

"Es sind zwölf Leute", sagte Stein. "Nein, es sind wesentlich mehr", widersprach Lohaus. "Lassen Sie es 100 sein. Es sind 300.000 Zuschauer. Man muss es ja mal in Relation setzen", fuhr Stein fort. "Also nee", winkte Lohaus nur noch lachend ab. "Wenn 100 Frauen quasi grenzüberschreitend nicht konsensuellen Sex hatten, was wollen sie da für eine Prozentzahl aufmachen?", fragte sie.

So hat sich Louis Klamroth geschlagen

Louis Klamroth hatte am Montagabend keine leichte Aufgabe: An diesem Abend war er nicht nur Moderator, der Fragen stellte, sondern eben auch Mann. Ihm gelang aber eine ausgesprochen ausgewogene Moderation. Er fragte zum Beispiel: "Was halten Sie von dem Argument, die Frauen hätten ja wissen können, worauf sie sich einlassen?" ebenso wie "Warum ist es trotzdem wichtig, so etwas zu veröffentlichen, obwohl noch nichts bewiesen ist?". Auch seine Zwischenkommentare saßen an den richtigen Stellen – etwa "Schämen Sie sich für die Männerwelt, wenn Sie so etwas sehen?", als ein Dick-Pic, also ein Foto von einem Penis, gezeigt wurde.

Das ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"

Eine erkenntnisreiche Sendung, bei der die Debatte zwischen den Zeilen wohl mehr verriert als die handfesten Forderungen nach Awareness-Teams, Schulungen für männliche Teenager und Frauenquoten. Deutlich wurde in jedem Fall, wie wichtig es ist, verschiedene Ebenen auseinanderzuhalten: Einvernehmlichkeit und Missbrauch, Mutmaßung und gesicherte Tatsache, subjektive Wahrnehmung und rechtliche Grenzüberschreitung.

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