Medizin-Talk bei "Hart aber fair": Frank Plasberg sprach mit seinen Gästen über die häufig mangelhafte Qualität von künstlichen Hüftgelenken, Herzschrittmachern und anderen Implantaten. Die von der Sendung gestellte Diagnose dürfte viele Patienten beunruhigen.
Was war das Thema?
Ob künstliches Knie, Hüfte oder Herzschrittmacher - den Deutschen werden immer häufiger Ersatzteile in den Körper operiert. Allerdings wird die Qualität der Implantate oft nicht ausreichend kontrolliert. Die Hersteller bezahlen für die Zertifizierung. Lehnt eine Prüfstelle sein Produkt ab, kann er sich eine andere der rund europaweit rund 50 Zertifizierungseinrichtungen suchen, um das CE-Gütesiegel zu bekommen.
Immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu Skandalen um fehlerhafte Medizinprodukte. Defekte und schwere Komplikationen wären vermeidbar gewesen, monieren Kritiker. Zudem steht der Verdacht im Raum, dass in Krankenhäusern nur so viel operiert wird, dass die Kasse stimmt. Die Interessen der Patienten scheinen nicht an erster Stelle zu stehen.
Wer waren die Gäste?
Jürgen Thoma: Er trug jahrelang ein minderwertiges, künstliches Hüftgelenk im Körper, das nach der operativen Entfernung wie "löchriger Schweizer Käse" aussah. Dank einem zweiten Implantat geht es ihm mittlerweile wieder gut. Die Klage des OP-Geschädigten gegen den Hersteller läuft noch, er erwartet einen Erfolg. Thoma sieht sich selbst als "Versuchskaninchen".
Heiner Brand: Der frühere Handball-Bundestrainer führt nach einer Hüft-OP wieder ein Leben ohne Schmerzen. Brand kritisierte, "dass das Gewinnstreben im Vordergrund steht", auch wenn er selbst von Ärzten zu einem Eingriff "in keinster Weise gedrängelt worden" sei.
Gerald Gaß: Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft nahm die Krankenhäuser bei der Verwendung von mangelhaften Implantaten aus der Verantwortung. "Wir müssen uns darauf verlassen, dass Produkte, die mit CE-Kennzeichen zu uns geliefert werden, zuverlässig sind." Etwas befremdlich war seine Formulierung, dass Produkte im menschlichen Körper "verbaut" werden. Das klang mehr nach Baustelle als nach OP-Saal.
Britta von der Heide: Die NDR-Journalistin zog ein zwiespältiges Fazit ihrer Recherchen. "Implantate können Leben erheblich verbessern, aber auch erheblichen Schaden anrichten." Sie bemängelte, dass Prüfstellen alle möglichen Sachen "sofort durchwinken" würden, dort zu wenig Ärzte beschäftigt seien und 90 Prozent aller Medizinprodukte im Moment nicht klinisch an Menschen getestet würden. Auch die Ärzte wüssten oft gar nicht, von welcher Qualität das Produkt sei. "Jede Schmerztablette wird stärker kontrolliert."
Dr. Peter Sawicki: Der frühere Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen prangerte den "ökonomischen Druck" in Krankenhäusern an und forderte, Patienten nach dem Eingriff zur Zufriedenheit mit den Implantaten zu befragen. Einige seiner Patienten hätten aus Angst vor Pfusch sogar Angst ins Krankenhaus zu gehen.
Was war das Rededuell des Abends?
Werden in Deutschland vor allem aus Profitgier so viele neue Gelenke eingesetzt wie in fast keinem anderen Land der Welt? Krankenhaus-Lobbyist Gerald Gaß ärgerte sich über diese Anschuldigung und verwies auf das hohe Durchschnittsalter der Deutschen und die hohen Standards im Gesundheitswesen.
Kritiker Sawicki konterte: "Wie erklären Sie denn die Tatsache, dass Privatpatienten, obwohl sie durchschnittlich gesünder sind, häufiger elektiv (d.h. mit einem nicht zwingend notwendigen chirurgischen Eingriff – d. Red.) operiert werden?"
Gaß hatte dem nicht viel entgegenzusetzen. "Das erkläre ich im Moment gar nicht. Die Zahl kann ich im Moment nicht bestätigen." Sawicki erwiderte: "Das wäre aber schön!"
Was war der Moment des Abends?
Als Jürgen Thoma, der OP-Geschädigte, von Plasberg gebeten wurde, an einem Bild die Details einer Hüfttransplantation zu erklären. Ein Arzt, so Thoma, hätte mit einer Kraft von sieben Kilonewton zuschlagen müssen, um die neue Gelenkkugel auf dem Oberschenkel zu platzieren. Doch schon bei der Hälfte der Kraftwirkung wäre der Oberschenkel gesplittert. Plasberg witzelte nach der anschaulichen Erklärung: "Schon mal überlegt, bei so einer Zertifizierungsstelle anzufangen?"
Wie hat sich Plasberg geschlagen?
Der Gastgeber war glänzend aufgelegt, verlieh der Sendung durch seine bitterbös-sarkastischen Bemerkungen trotz des ernsten Themas eine Prise Lockerheit. Selbst der Geschädigte Jürgen Thoma konnte sich das Schmunzeln ein ums andere Mal nicht verkneifen. Nachdem Plasberg meinte, dass seine 25.000 Euro Schmerzensgeld auch nicht die Welt seien, witzelte Thoma: "Es wird noch verzinst". Plasberg meinte: "Läuft!"
Aber Plasberg sammelte auch Investigativ-Punkte: Krankenhaus-Lobbyist Gaß brachte er in Verlegenheit, indem er ihm einen Vertrag zwischen einem Chefarzt und dem Krankenhaus vorlegte, wonach der Mediziner eine bestimmte Anzahl von Transplantationen pro Jahr vollziehen muss, um einen Bonus zu bekommen.
Was ist das Ergebnis?
Derzeit, so das bittere Fazit, stehen die Interessen der Patienten in der Gemengelage zwischen Medizinprodukt-Herstellern, Krankenhäusern und Chefärzten nicht immer an erster Stelle.
Weil bei der Zertifizierung von Medizinprodukten immer wieder gepfuscht wird, sollten Patienten sich vor einer OP selbst über die möglichen Implantate informieren und Beweise sichern, wenn ein fehlerhaftes Implantat ausgetauscht wird. Soll heißen: Die defekte Hüfte gehört in den Schrank und nicht auf den Müll.
Vor allem aber ist die Politik gefragt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will eine unabhängige Stelle einrichten, die überprüfen soll, was eingebaut wird und wie lange es hält. Auch die EU will die Vorschriften verschärfen. Ob die Bestimmungen dann so wasserdicht sind, dass tatsächlich keine Patienten mehr zu Schaden kommen, bleibt abzuwarten.
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