Ernüchternd, Enttäuschend: Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner blieben bei Fragen zur Flüchtlingskrise in einem TV-Talk am Montagabend an der Oberfläche. Emotionale Wortmeldungen von regionalen Politikern verdeutlichten den Ernst der Lage.

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Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) diskutierten Montagabend bei einem "Pro und Contra"-Spezial auf Puls 4 über die Flüchtlingskrise. Angekündigt unter dem Thema "Flüchtlingsgipfel – Die Regierungsspitze im Gespräch" blieb dann am Schluss der Sendung an Inhaltlichem nicht so viel über, wie man von einem Gipfeltreffen wohl hätte erwarten dürfen. Die Parteiobmänner von SPÖ und ÖVP blieben in ihren Antworten häufig sehr allgemein und gingen nur punktuell in die Tiefe, um tatsächliche und real vorstellbare Lösungsvorschläge zu präsentieren.

Mit Fakten zu wenig vertraut

Puls 4-Infochefin Corinna Milborn und Kurier-Chefredakteur Helmut Brandstätter stellten die Fragen und gingen wie zu erwarten am Beginn der Sendung auf die jüngsten Terroranschläge in Paris ein. Man müsse international und gemeinsam mit allen Mitteln gegen den Terror vorgehen, meinte Faymann. Und weiter: "Wir lassen uns die Demokratie von den Terroristen nicht nehmen."

Zum Teil erinnerten die Antworten von Faymann an den Wahlkampf, wenn er, auf Parallelgesellschaften angesprochen, mit Begriffen wie Gesamtschule und Genossenschaftswohnungen, die Wichtigkeit von Wohnraum und Bildung betonen wollte. Wie wenig er mit den harten Fakten die Sicherheit betreffend vertraut ist, wirkte dann doch erschreckend. 250 Personen seien von Österreich aus in den Dschihad gezogen. "Zig sind zurückgekommen. Wie viele, das liegt mir jetzt nicht vor", so Faymann, der meint, diese Personen gehörten stark überwacht.

Angriff auf die Gesellschaft

Mitterlehner betonte, dass sich die jüngsten Angriffe in Paris nicht allein gegen den Staat richteten. Er sehe darin eine Kriegserklärung gegenüber der freien Gesellschaft an sich. Er hob die teilweise unterschiedliche Wertehaltung hervor und verwies beispielsweise auf Muslime, die sich in österreichischen Krankenhäusern nicht von einer Frau behandeln lassen würden. Er betonte aber auch, dass Inklusion vor allem in ländlichen Gebieten funktionieren könne. Wenn man Flüchtlinge beim Namen kenne und sie sich durch handwerkliche Taten mit in die Gesellschaft einbringen, könne man die Probleme besser bewältigen. Es gehe darum keine Ghettobildung entstehen zu lassen und Integration zu betreiben. Auf die Frage, ob sich Österreich an der Bekämpfung der Terroristen beteiligen solle, antwortete Mitterlehner mit Verweis auf die Neutralität: "An aktiven Kampfhandlungen können und wollen wir uns nicht beteiligen."

Nach etwa einem Viertel der Sendezeit leiteten die beiden Moderatoren auf das eigentliche Thema des Abends, die Flüchtlingskrise über. Überraschenderweise schafften es alle Beteiligten, nicht mehr von diesem Thema abzurücken und wieder auf die schrecklichen Anschläge in Paris zurückzukommen. Momentan würden täglich etwa 6.000 Menschen in Spielfeld ankommen, weshalb Mitterlehner darauf verwies, dass ein Staat seine Souveränität schützen müsse und ein Zaun angebracht sei. Besonders wenn alle Beteiligten überfordert sind.

"Gut bewältigt"

Bundeskanzler Faymann betonte, dass bisher knapp 500.000 Personen durch Österreich gereist seien. "Niemand kann sagen, da sei Chaos ausgebrochen. Diese Durchreise haben wir gut bewältigt." Er sprach von bisher 67.000 Flüchtlingen, die in Österreich bleiben wollen. Diese Entwicklung entspreche der Prognose von 80.000 Flüchtlingen, die für heuer erwartet werden. Einig waren sich Mitterlehner und Faymann, dass mit Deutschland, Schweden, Österreich und den Niederlanden viel zu wenige Länder in Europa tatsächlich bereit sind Flüchtlinge aufzunehmen.

Faymann und Mitterlehner auf Einigkeit bedacht

Heftigere Auseinandersetzungen ersparten sich die beiden Parteiobmänner, auch wenn deutlich spürbar war, dass die SPÖ vom geplanten Zaun in Spielfeld nicht viel hält. Der Sendung gut taten drei Einspielungen, die den Zuseher immer wieder mit Fakten und Zahlen zum Thema versorgten. Interessant waren die emotionalen Wortmeldungen der steirischen SPÖ-Landtagsabgeordneten Cornelia Schweiner und des Schärdinger Bürgermeisters Franz Angerer. Warmes Essen für die Flüchtlinge gebe es demnach nur deshalb, weil die Zivilbevölkerung täglich 24 Stunden lang koche. Dass die Außengrenzen gesichert werden müssten, heißt es nun schon seit Monaten. Man könne es schon nicht mehr hören. Die Bevölkerung spreche der Regierung die Lösungskompetenz ab.

Harte Kritik gegenüber der Regierungsspitze übte auch Hemma Hamman aus Großraming in Oberösterreich, die im Publikum saß: "Die Dinge die in Österreich funktionieren sollen, tun das nur sehr schlecht. Die Erschöpfung tritt nicht alleine bei den Asylwerbern ein, sondern auch bei den Helfern. Das findet innerhalb Österreichs statt, das ist Ihre Kompetenz." Mitterlehners Antwort darauf wirkte fast peinlich: Seine Kompetenzen seien die Ressorts Wirtschaft und Wissenschaft, meinte der Österreichische Vizekanzler. Seine Bemerkung, bezüglich der politischen Verantwortlichen pauschalisiere man zu sehr, enthält zwar sicher viel Wahres, dennoch genügt den Bürgerinnen und Bürgern der Hinweis auf die nötigen Kontrollen der Außengrenzen nicht mehr. Handeln sei gefragt.

Mit 90 Minuten geriet diese Spezialausgabe von Pro und Contra etwas zu lang, was Mitterlehner und Faymann dazu veranlasste sich des Öfteren zu wiederholen. Die zumeist guten Fragen von Milborn und Brandstätter bescherten dem Publikum dennoch einen interessanten Abend.

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