Ein ehemaliger US-Militär sprach sich bei Maybrit Illner für die Rückeroberung der Krim durch die Ukraine aus. Ein ZDF-Korrespondent warnte vor den Folgen einer Wiederwahl von Donald Trump für das angegriffene Land. Und eine andere Expertin überraschte mit der Aussage, dass ein Ende des Krieges auch mit dem russischen Präsidenten Putin möglich sei.

Eine Kritik
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Das war das Thema bei Maybrit Illner

Der Ukraine-Krieg könnte in eine entscheidende Phase gehen: Das von Russland vor mehr als einem Jahr überfallene Land bereitet eine Gegenoffensive vor. In dieser Situation treten jedoch Missstimmungen zwischen der Ukraine und den Verbündeten zutage.

Präsident Wolodymyr Selenskyj erfuhr aus der Presse von den sogenannten "Pentagon Leaks", in denen durch den mutmaßlichen Verrat eines US-Militärangehörigen unter anderem militärische Pläne Kiews veröffentlicht wurden. Zudem will Washington keine Raketen mit größerer Reichweite liefern. Auch die zweite Kandidatur von US-Präsident Joe Biden sorgt für Verunsicherung. Kann der greise Demokrat noch einmal wiedergewählt werden? Und was würde die Wahl seines wahrscheinlichen Kontrahenten Donald Trump bedeuten?

Das Thema bei Maybrit Illner: "Große Offensive, große Zweifel - Hat die Ukraine genug Unterstützung?"

Abschuss zweier Drohnen über Moskau: Kreml beschuldigt Kiew, Putin unversehrt

Nach eigenen Angaben soll Russland zwei ukrainische Drohnen mit dem Ziel Kreml abgeschossen haben. Der Kreml erklärte, dass es keine Schäden oder Opfer gegeben habe und nannte keine weiteren Einzelheiten. Präsident Wladimir Putin sei in Sicherheit und habe seine Arbeit unverändert fortsetzen können. © ProSiebenSat.1

Das waren die Gäste

  • Jürgen Trittin: Für den Außenpolitiker (B'90/Die Grünen) gibt es am Engagement von Europa und Deutschland für die Ukraine "wenig zu kritisieren". Es sei, anders als manchmal in der öffentlichen Wahrnehmung dargestellt, "in beispiellosen Form geleistet" worden. Dennoch dürften die Verbündeten nicht in einen Krieg mit Russland hereingezogen werden. Was allerdings die ukrainische Gegenwehr angeht, wollte Trittin das Land wegen der Angriffe auf Versorgungslinien oder Tanklager auf russischem Gebiet nicht kritisieren. Denn es ergebe sonst ein "Legitimationsproblem der ukrainischen Regierung", wenn sie nicht versucht, russische Angriffe mit solchen Mitteln zu unterbinden.
  • Jean Asselborn: Genau so sah es der Außenminister von Luxemburg. "Sie machen 99 Prozent der Militäroperationen auf ihrem Territorium", sagte Asselborn. Die Russen seien derzeit sehr nervös. "Wenn Putin den Krieg verliert, ist er weg." Dass sich die Ukrainer wegen der möglichen Wiederwahl Trumps bei ihren militärischen Operationen besonders beeilen sollten, wollte Asselborn so nicht sagen. Die USA und die westlichen Verbündeten müssten, was die Sanktionen gegen Russland und die Munitionslieferungen betrifft, erst einmal weitermachen.
  • Ben Hodges: Der US-Generalleutnant a. D. kritisierte, dass die USA nicht klar definiert haben, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinnen soll. Ein Grund könnte die Sorge vor einem Atomwaffeneinsatz durch Moskau sein, den er aber für sehr unwahrscheinlich hielt. Hodges ist dafür, der Ukraine Langstrecken-Präzisionswaffen zu liefern, um die Krim unhaltbar zu machen. "Die Befreiung der Krim, das würde alles ändern." Kritik an ukrainischen Angriffen auf russischem Territorium konnte er nicht nachvollziehen.
  • Katrin Eigendorf: Die ZDF-Auslandsreporterin kritisierte die westliche Ukraine-Unterstützung. "Beherztes Eintreten für eine Sache" sehe anders aus. Andererseits sei noch nie ein Nicht-Nato-Mitglied so stark unterstützt worden. Trotzdem gebe es bei den Verbündeten "Misstrauen an der Ukraine", an ihren Aussichten, den Krieg zu gewinnen. Auch im Land selbst nehme die Bereitschaft, Opfer in Kauf zu nehmen, ab. Viele Leute wollten einfach nur in ihre Heimat zurück und seien kriegsmüde.
  • Janka Oertel: Die China-Expertin beleuchte die Rolle China bei der Lösung des Konflikts. Dass der ukrainische Präsident Selenskyj, der kürzlich mit seinem chinesischen Amtskollegen Xi telefoniert hat, mit dem Land im Gespräch bleibt, bewertete sie als wichtig. Trotz oder gerade wegen der engen militärischen Kooperation zwischen China und Russland. Offiziell liefert China nur Körperpanzerungen oder Halbleiter an Moskau. "Güter, die dazu beitragen, dass die Kriegsmaschinerie am Laufen bleibt", so Oertel. Beweise, dass über Iran und Nordkorea doch Rüstungsgüter geliefert werden, gibt es bislang nicht. Vor allem die Stabilität der Wirtschaftsbeziehungen ist Peking wichtig. "Wie das Territorium verteilt ist", das sei für China nach Kriegsende zweitrangig, sagte die Expertin.
  • Elmar Theveßen: Der Leiter des ZDF-Studios Washington denkt, dass die Skepsis in Washington gegenüber der Ukraine gar nicht so groß ist, wie manche gerade denken oder schreiben. Das könnte sich unter Donald Trump ändern. Er würde vielleicht Deals mit Russland machen, Teile des Territoriums aufgeben für Frieden, mutmaßte Theveßen. Die USA wollten keine Ausdehnung dieses Krieges auf russisches Territorium. Daher hätten sie bisher keine Raketen mit größerer Reichweite und Kampfflugzeuge geliefert. "Aber es ist auch nicht ausgeschlossen, dass es dazu kommt". Bedingung: Die Ukraine macht in der Frühjahrsoffensive erhebliche Geländegewinne mit den bestehenden Waffen.

Das war der Moment des Abends

Jean Asselborn warnte mit drastischen Worten vor einem Sieg Russlands und den Konsequenzen für Europa und die Welt. Die Ukraine dürfe "den Krieg nicht verlieren". Dann stehe Putin an der Grenze zu Polen.

Das war das Rededuell des Abends

Soll die Ukraine selbst entscheiden, wie weit sie in diesem Krieg geht und wie lange sie gegen Russland kämpft? Für Jürgen Trittin steht außer Frage, dass der Ukraine nichts diktiert werden darf. "Sie muss selbst entscheiden, wie es weitergeht." Da widersprach Katrin Eigendorf vehement. Der Westen habe die Ukraine so massiv unterstützt – auch, um keinen offenen und dauerhaften Konflikt im Herzen Europas zu haben. Das Ende des Krieges sei daher "eine Frage, die nicht nur die Ukraine entscheidet".

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Es war ein solider Auftritt der Gastgeberin, in einer wenig temperamentvollen und etwas hinplätschernden Diskussion. Beim möglichen Nato-Eintritt der Ukraine – eine rote Linie Putins – und auch der möglichen Rückeroberung der Krim wären ein paar mehr kritische Nachfragen oder Anmerkungen Illners wünschenswert gewesen.

Das ist das Fazit

Wie geht es weiter mit dem Ukraine-Krieg? Und wie könnte die Welt nach einem Friedensschluss aussehen? Ben Hodges zeigte sich sicher, dass das Land in die Nato aufgenommen wird. Wobei Putin das immer als rote Linie definiert hatte. Hodges ging zudem davon aus, dass Russland nach dem möglichen Verlust der Krim "ein ganz anders Umfeld" sehen könnte. Das klang danach, als ob sich Putin in seinen Augen in einem solchen Szenario nicht länger an der Macht halten würde.

Auch Jean Asselborn rechnet damit, dass die Ukraine nach Ende des Krieges zwei Schienen fahren wird: die Aufnahme in die Europäische Union und die Nato. Für die größte Gefahr hält er es, dass Putin den Krieg niemals mit einem Waffenstillstand beenden wird, wie in Georgien, um damit die Mitgliedschaften zu unterwandern. Für China-Expertin Janka Oertel stellt sich die große Frage: Würde China eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine akzeptieren? Eine Antwort gab sie leider nicht.

Katrin Eigendorf überraschte mit der These, dass es für Russland einen Ausweg aus dem Krieg geben müsse, der Putin "gesichtswahrend herausgehen lässt", ein Weg, "der seine Herrschaft nicht infrage stellt". Sie denkt, dass ein Friedensschluss nicht von Territoriumsgewinnen abhängig ist. "Ein Kompromiss, der nicht unbedingt auf dem Boden gemacht wird." Ihr Fazit: "Ein Frieden mit Putin ist möglich."

Für Asselborn ist das nur schwer vorstellbar, solange Russland die ukrainische Bevölkerung und Krankenhäuser weiter angreift. Elmar Theveßen bedauerte am Ende, dass der Mut in Washington, aber auch in Europa, nicht groß genug ist, jene Waffen zu liefern, die möglichst schnell die Gewinne für die Ukraine vergrößern würden, um Verhandlungen zu erzwingen. Gut möglich, dass das Zögern den Krieg weiter verlängern wird. Und dass Maybrit Illner in einem Jahr mit ihren Gästen immer noch über den Ukraine-Krieg diskutieren muss.

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