Nach einer weiteren europäischen "Schicksalswahl" lässt sich erneut die Frage stellen, in welche Richtung die EU gehen soll. Republik Europa, wie sie die Neos fordern? Oder Europa der Nationalstaaten, wie es die FPÖ will? Der ORF ging diesen Fragen in einem "Report"-Spezial nach.

Mehr aktuelle News

Emmanuel Macron wird Frankreichs nächster Präsident, Europa scheint gerettet. Mit den Niederlagen von Norbert Hofer, Geert Wilders und Marine Le Pen ist der Rechtsruck in Europa vorerst abgesagt.

Das ist zumindest die einfache Version der Geschichte. Christian Kern (SPÖ) weiß es besser.

Im "Report"-Spezial freut sich der Bundeskanzler über den frisch gewählten französischen Präsidenten Emmanuel Macron und betont, dass es viele Gemeinsamkeiten gebe.

Aber er sieht vor allem die Herausforderungen: Die Europäische Union zu verändern sei schwer, aber notwendig.

Die Sendung behandelt vor allem die Probleme, denen sich Europa zu stellen hat: Wirtschaft und Arbeitslosigkeit, Sicherheit, Flüchtlingskrise.

Wohin soll Europa gehen?

Auch, wenn er kein Fan von Macrons Konzept der "Euro-Bonds" sei – einer Vergemeinschaftung von Schulden –, kann Kern dessen ökonomischen Visionen etwas abgewinnen: "Wir haben eine gemeinsame Währung mit dem Euro, aber keine gemeinsame Wirtschaftspolitik."

Kern fordert gemeinsame Steuersätze für Unternehmer. "Nach dem Brexit stellen wir die Interessen der Menschen in den Mittelpunkt, und nicht die von Großunternehmen und Konzernen."

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sieht das als falsche Tendenz: Er will den Staat "auf notwendige Bereiche" herunterfahren und Anreize für Leistung und Wettbewerb schaffen.

Für eine Sozialunion sei nicht die richtige Zeit, davor müssten sich die Wohlstandsniveaus in der Union angleichen. Und außerdem: "Das würde in Europa niemand wollen."

EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP) gibt sich indes pragmatisch. Man könne nicht genau sagen, was sich an Trends in nächster Zeit ausgehe. "Vorweg zu sagen, wie viel Geld man gibt, ohne zu sagen, wofür – das halte ich für den falschen Weg."

Als Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik ist er für die Erweiterung der EU zuständig. Was die Türkei angeht, plädiert er trotz aller Probleme für eine weitere Zusammenarbeit und hält die europäischen Werte hoch: "Wir alle sind Teil der Europäischen Union. Und wir profitieren von deren Errungenschaften."

Was tun für die Wirtschaft?

Nicht nur Politiker, auch Vertreter der Wirtschaft kommen im "Report"-Spezial zu Wort. Die Präsidentin der Hoteliersvereinigung, Michaela Reitterer, diskutiert mit Gewerkschafter Roman Hebenstreit darüber, wie sich die EU auf den Tourismus auswirkt.

Viele Jobs, zum Beispiel Abspüler, würden nur noch durch Ausländer erledigt. Österreicher studierten eben häufiger, wohnten eher in Städten, glaubt Reitterer. Sie will Arbeiter wieder leistbar machen und die Lohnnebenkosten senken.

Hebenstreit wiederum will die Branche an sich attraktiver machen und fordert eine bessere Bezahlung für die Mitarbeiter, für die bloße Abdeckung des Mindestbedarfs kein Anreiz sei.

Mehr Europa, nicht weniger

Und das würde wohl auch der Bundeskanzler unterschreiben. "Es gibt nicht eine zentrale Frage, die wir in Österreich alleine besser lösen könnten", bestätigt Kern eine Aussage von Neos-Chef Matthias Strolz.

Langfristig müsse die Europäische Union auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik bekommen – wie und wann, das sei aber fraglich.

Ob das Zusammenwachsen in Richtung Republik Europa so realistisch wäre? "Das ist eine kühne Vision", die sich in Macrons erster Amtszeit nicht ausgehen werde, glaubt Kern.

"Die großen Vertragswerke zu verändern wird sicher sehr anstrengend", sagt der Bundeskanzler. Ob er für eine gemeinsame Politik selbst auch Macht abgeben würde? "Ich halte das langfristig, vielleicht sogar mittelfristig für den richtigen Weg."

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.