Erstmals seit dem Ende der Bundespräsidentschaftswahl trafen am Dienstag Regierungsspitzen und Opposition öffentlich aufeinander. Im ORF-Bürgerforum stellten sie sich den Fragen von 300 Bürgerinnen und Bürgern. Es war eine sehr leidenschaftliche Diskussion, die Peter Resetarits zu leiten hatte und eine Diskussion, die vor allem den beiden Regierungsvertretern, Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP), zusetzte.

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Mitterlehner zur Bürgerkritik: "Zu negativ"

Ein aufgekratzter und offensiver Vizekanzler Mitterlehner setzte gleich zu Beginn, auf die Reaktionen der Bürger, zum Rundumschlag an: "Mir ist die Tendenz viel zu negativ. Wir sind unter den fünf reichsten Ländern Europas." Lieber hätte er eine andere Fragestellung gehabt, sagte Mitterlehner. Nämlich nicht die nach den Sorgen der Menschen, sondern nach den positiven Seiten des Landes.

Der Konter von Resetarits: "Es gibt im russischen Fernsehen Bürgerforen die ganz positiv über die Regierung berichten." Etwas verschnupft auf die Bürgerkritik reagierte auch Kanzler Kern, der sich beklagte: "Ich bin erst sieben Monate in der Politik, aber mein Imageverlust ist bereits enorm."

Diese Haltung überdeckte generell die gesamte Sendung. Immer wieder kam der Vorwurf an die Regierung, es werde nur gestritten. Dazu Mitterlehner: "Es schadet nicht, wenn man sich intensiv auseinandersetzt. Es sollte am Ende aber was herauskommen." Kern: "Wir müssen uns die Geduld und Zeit nehmen, die Probleme zu bewältigen." Vor allem Mitterlehner sprang immer wieder für das Land in die Bresche und betonte, wie gut es uns gehe und dass die Regierung gut zusammenarbeite.

Er halte nichts davon, alles auf die Politik abzuschieben, sagte er und befand das aktuelle System in Österreich für "gut". Er meinte gar: "Wir haben 6 Prozent Arbeitslosigkeit, 94 Prozent haben einen Job." Diese Aussage relativierte später Politikwissenschaftler Peter Filzmeier in der ZIB2 gegenüber Armin Wolf: "Solche Statistiken bringen für das subjektive Empfinden gar nichts."

Regierung könne sich nicht um jeden kümmern

Viel wurde über altbekannte Themen wie Löhne und Inflation gesprochen. Besonders im Fokus standen aber die sozialen Ängste der Bürger. Hier konterten Kanzler und Vizekanzler recht offensiv. Mitterlehner sagte: "Es ist schlimm für den Einzelnen." Aber die Regierung könne sich nicht um jeden Einzelnen kümmern.

Kern versuchte den sozialen Ängsten mit aktuellen Regierungsvorhaben zu begegnen: "Wir haben das erste Mal über 5 Milliarden Euro öffentliche Investitionen für schnelleres Internet, bessere Bahnen, Universitätsinfrastrukturen. Das bedeutet auch mehr Arbeit. Denn viele Aufträge gehen direkt an KMU in den Regionen." Auch werde es ab Jänner eine 500 Millionen Euro schwere Lohnnebenkostensenkung geben, verkündete Kern und reagierte damit auf die Kritik von NEOS-Chef Matthias Strolz über zu hohe Kosten für Unternehmer.

Mitterlehner: "Macht wenig Sinn auf Opposition einzugehen"

Überraschend einig waren sich alle Vertreter der Oppositionsparteien darin, dass Anträge seitens der Regierungsparteien kaum Beachtung finden würden. "Oft wird nur der kleinste gemeinsame Nenner gesucht", kritisierte Grünen-Chefin Eva Glawischnig und stellte an Kern und Mitterlehner die Frage, warum es immer nur um ein politisches Spiel gehe. "Wir sind eigentlich die Angestellten der Österreicher", ermahnte sie. Man solle Bürger nicht mit Streitereien belästigen. Mitterlehners Antwort: "Es macht wenig Sinn auf die Details der Opposition einzugehen, weil die logisch nur kritisiert."

Auch Strolz meinte: "Wenn ich den beiden zuhöre habe ich das Gefühl, sie wollen eine Käseglocke über Österreich stülpen." Man müsse Arbeitsübereinkommen zwischen Regierung und Opposition finden. "Die Bürger haben uns gewählt und zahlen uns." Ob sich etwas ändern wird, daran zweifelte auch Filzmaier: Es sei der gefühlt zehnte Neustart. Zumindest Kern versicherte: "Das Land braucht Veränderung und ich bin weit entfernt von Zufriedenheit." Auf Umfragen zu Neuwahlen oder anderen Spekulationen gebe der Bundeskanzler aber nichts: "Nach denen hätte Hillary Clinton gewonnen, die Briten wären noch in der EU und Matteo Renzi hätte nie ein Referendum gebraucht."

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