Andreas Scheuer in Erklärungsnot: Beim Klimakatastrophen-Talk von Anne Will musste der Minister seine Verkehrspolitik rechtfertigen. Dass bei der teilweise hitzigen Atmosphäre endlich einmal die eigentlichen Probleme der ganzen Klima-Diskussion zur Sprache kamen, war dabei das Verdienst zweier Frauen.

Christian Vock
Eine Kritik
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Klimakatastrophe, Energiewende, Agrarwende, Verlust der Artenvielfalt – die Liste der Probleme, die die Bundesregierung schon längst vehementer hätte angehen müssen, ist lang.

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Am Sonntagabend knöpfte sich Anne Will eines dieser Probleme, die Verkehrswende, vor und fragte: "Verzichten, verteuern, verbieten – muss Klimapolitik radikal sein?"

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Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will:

  • Marion Tiemann, Greenpeace Deutschland
  • Elisabeth Raether, Co-Leiterin des Politikressorts der "Zeit"
  • Stefan Wolf, Vorstandsvorsitzender der ElringKlinger AG und Vorstandsmitglieds des Verbandes der Automobilindustrie
  • Cem Özdemir (Grüne), Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag
  • Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur

Darüber diskutierte die Runde bei "Anne Will":

SUVs

Mit der Nachricht, dass SUVs inzwischen bei Neuzulassungen in Deutschland auf Platz eins stehen und dem tödlichen SUV-Unfall in Berlin steigt Anne Will ein und fragt nach einem Verbot der Riesenautos. Andreas Scheuer ist gegen ein Verbot, Stephan Wolf, Vertreter der Autoindustrie, wenig überraschend, auch. Eines seiner Argumente: Manche Menschen würden diese Autos eben gerne fahren und weil es Diesel seien, wäre der CO2-Ausstoss auch gar nicht so hoch wie immer behauptet.

Hier hält Marion Tiemann dagegen: "Diese Fahrzeuge gehören nicht mehr in eine Zeit, in der wir mitten in der Klimakrise sind. Es ist auch nicht so, dass Menschen geboren werden und SUVs fahren wollen. Das ist ein von der Autoindustrie sehr, sehr stark beworbenes Segment, weil es eben margenträchtig ist. Gäbe es keine Diesel-Subvention, würden diese Menschen nicht so viele dieser SUVs kaufen. Da muss man auch Herrn Scheuer in die Pflicht nehmen, denn über die Diesel-Subvention betreibt er Artenschutz für Spritschlucker."

Cem Özdemir sieht generell keinen Sinn in solchen Fahrzeugen: "Ich würde mit dem Schwachsinn aufhören, dass wir in Deutschland ein System haben, dass sie zwei Tonnen brauchen, um 1,2 Menschen im Schnitt zu bewegen." Die Frage der SUVs will er mit dem Verursacherprinzip angehen: "Diejenigen, die solche Autos kaufen, die viel CO2 hinten raushauen, zahlen mehr."

Elisabeth Raether sieht in SUVs "ein Symbol für einen gewissen Irrsinn, der stattfindet": "Es ist nicht so, dass die Verkehrsteilnehmer in der Stadt gleichberechtigt sind, sondern: Das Auto hat den Vorrang in fast jeder Situation. (…) In ganz Deutschland hat das Auto das Sagen."

Andreas Scheuers Verkehrspolitik

Eine "Herkulesaufgabe" nannte Angela Merkel die Herausforderung, die selbstgesteckten Klimaziele von Paris im Verkehrssektor noch irgendwie zu erreichen. Andreas Scheuer hat hierfür ein Maßnahmenpaket vorgelegt, doch Anne Will konfrontiert den Minister mit den Einschätzungen des Umweltministeriums und des Kanzleramts, die Maßnahmen würden nicht ausreichen.

Ob das Gutachten des Umweltministeriums stimme, nach dem Scheuers Pläne, "nur gut halb so viel Kohlendioxid einsparen würden wie behauptet", wollte Will wissen und hier kam der Minister in Verlegenheit.

Statt ihr zu antworten, zählte Scheuer die Anzahl der beteiligten Experten auf und als Will noch einmal nachhakte, zündete Scheuer eine Nebelkerze: "Ich will für den Verbraucher Wahlfreiheit haben, ohne Verzicht, ohne Verbot (…)."

Verbote

Auch wenn Scheuer sich so um eine Antwort drückte, ob seine Pläne nun wirklich helfen, die Klimaziele zu erreichen, war die Diskussion bei der Frage von Verboten angelangt. Dass Stefan Wolf gegen Verbote ist, erscheint logisch, bei Scheuers Abneigung gegen Regeln besteht allerdings Redebedarf, vor allem bei Elisabeth Raether.

"Sie gehen davon aus, die Leute ertragen Verbote nicht, die Leute empfinden es als Verzicht, wenn sie etwas fürs Klima tun. Das setzen Sie voraus, anstatt – das könnten Sie auch machen als Politiker – sich dafür einzusetzen, den Leuten zu erklären, was auf uns zukommt. Ihnen zu verstehen geben, dass es ein gesellschaftliches Projekt ist, was vor uns liegt, das immens ist", erklärt Raether und bemängelt Scheuers fehlende Weitsicht: "Was sie aber machen in diesem Riesenprojekt ist, bestimmte Denkweisen von vornherein auszuschließen, nämlich, dass das Verbot ein wichtiges Mittel der Politik ist und schon immer war."

"Trauen Sie sich nicht, zu verbieten?", fragt daraufhin Anne Will den Verkehrsminister. "Das ist halt nicht mein Politikansatz, mit Verboten zu argumentieren", erklärt Scheuer. Dann verweist er aber doch auf die bangen Blicke in Europa an den Wahlabenden. "Ihnen fehlt doch der Mut!", fährt Marion Tiemann dazwischen.

Der Schlagabtausch des Abends:

Scheuer gegen den Rest der Welt. Gleich zu Beginn rasselt er mit Cem Özdemir aneinander. Erst wirft Scheuer den Grünen Zögerlichkeit bei Abstimmungen vor, dann muss der Minister selbst einstecken: "Sie stellen seit zehn Jahren ununterbrochen den Verkehrsminister. Die beste Idee, die Sie bisher gebracht haben, war die Luftpumpe vor Ihrem Ministerium. Das ist der wirkungsvollste Beitrag, den Sie zum Klimaschutz gebracht haben", geht Özdemir Scheuer an.

Und fährt fort: "Sie haben ein ganzes Ministerium mit einer Bierzelt-Idee (…), mit der Maut, lahmgelegt, die uns jetzt ein paar hundert Millionen kostet." Später provoziert Özdemir Scheuer noch mit diesem Satz: "Es wird Zeit, dass Qualifikation in Deutschland kein Hinderungsgrund mehr ist, um Verkehrsminister zu werden."

Das eigentliche Problem in der Diskussion:

"Muss Klimapolitik radikal sein?" Das war die Ausgangsfrage des Abends und die Diskussion bei "Anne Will" legte das eigentliche Dilemma hinter der Frage offen: Dass die Klimakatastrophe, in der wir uns befinden, nicht vom Ende her gedacht wird. Die Frage ist nämlich nicht, wie radikal eine Lösung sein muss, sondern wie groß das Problem ist.

Wenn bei der Antwort heraus kommt, dass das Problem so groß (geworden) ist, dass nur radikale Lösungen helfen, dann müssen diese radikalen Lösungen ergriffen werden. Das Problem entscheidet, wie radikal die Lösung ausfallen muss und das Problem, das wir haben, ist gewaltig.

Dann erübrigen sich auch die Fragen, ob Verbote helfen, wie auch Elisabeth Raether gegenüber Andreas Scheuer klarstellte: "Sie werden nicht um Verteuerungen und Verbote herum kommen!"

Stattdessen, und das ist das zweite Dilemma in der Diskussion, wird immer noch suggeriert, dass es noch genügend Handlungsspielraum für Freiwilligkeit und Einsicht gebe. Ein Wunsch, der immer noch verkauft wird, um nicht unpopulär sein zu müssen. Doch dieses Zögern vor unpopulären Maßnahmen schränkt den Handlungsspielraum immer weiter ein, macht künftige Schritte erst recht radikaler.

Hier ist es die dritte Frau in der Runde, Marion Tiemann, die genau dieses Dilemma beim Namen nennt: "Wir stecken mitten in der Klimakrise. Im Amazonas brennen die Wälder. Selbst die Arktis brennt. Auch in Brandenburg brennen die Wälder immer häufiger. Das liegt eben daran, dass Herr Scheuer und seine Vorgänger eine Blockadehaltung hatten, die jahrelang galt. Alles, was irgendwie wirksam war, wurde von Ihnen und Ihren Vorgängern blockiert. Das Haus brennt. Sie stehen daneben, haben den Wasserschlauch in der Hand und Sie könnten es löschen, aber Sie tun es nicht."

Wie hilflos Andreas Scheuer diesem Dilemma gegenübersteht, zeigt seine Antwort auf Tiemanns Aussage, seine Pläne würden nicht ausreichen: "Sollen wir jetzt was machen oder sollen wir nichts machen? Ich mach jetzt was, aber ich bin ja jetzt für alles schuld. Diese Radikalität finde ich ..." Doch da unterbricht ihn Tiemann: "Radikal ist es, nichts zu tun, Herr Scheuer!“ Und weiter sagt sie: "Wir sitzen in einem Auto, das auf den Abgrund zurast und vor 30 Jahren hätte Ihre Politik vielleicht noch gewirkt, da hätten wir die Kurve gekriegt."

Das Fazit:

SUVs verbieten, ÖPNV stärken, Radwege ausbauen, KfZ-Steuer erhöhen, und, und, und. Es waren die scheinbar kleinen Sachfragen, die die Diskussion um die Verkehrswende am Ende endlich in die Ebene führten, in die sie hingehört und aufdeckten, was in so vielen Klima-Diskussionen bisher falsch gelaufen ist. Dass die vorgestellten Lösungen aus der Politik viel zu oft darum kreisen, wie viel Klimaschutz wir uns leisten möchten und nicht darum, wie viel Klimaschutz notwendig ist.

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