Was bedeutet der Prozess gegen Ernst Strasser für die Politik in Österreich? Gibt es einen Abschreckungseffekt? Für Politikwissenschaftler Peter Filzmaier sind die Vorfälle und daraus resultierenden Prozesse ein zweischneidiges Schwert.
Für Ernst Strasser wird die Luft dünn. Nach der gestrigen Verurteilung wegen Bestechlichkeit im Amt durch das Wiener Straflandesgericht besteht für den Ex-Innenminister und ehemaligen Europaabgeordneten kaum noch Aussicht darauf, einer Haftstrafe zu entgehen. Strassers Anwalt Thomas Kralik kündigte zwar unmittelbar nach der Urteilsverkündung an, erneut Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof (OGH) einzulegen, es ist jedoch unklar, warum der OGH diesmal die Nichtigkeit feststellen sollte, wenn er es zuvor nicht getan hat. "Doktor Strasser ist politisch und gesellschaftlich tot", betonte Kralik im OGH-Prozess. Der Ex-Politiker ist jedoch nicht der einzige Leidtragende.
"Das Bekanntwerden politischer Skandale erschüttert das Vertrauen in die Demokratie", sagt Politologe Peter Filzmaier. Dies gelte insbesondere, wenn der öffentliche Blick durch die teils langjährigen Verfahren und ein Hin und Her zwischen den Instanzen immer wieder auf das Verhalten ehemaliger hochrangiger politischer Amtsträger gelenkt werde. "Zum anderen werden durch hohe und unbedingte Haftstrafen Vorurteile entkräftet, die es in der Bevölkerung gibt", findet Filzmaier. Etwa, dass die Gerichte hochrangige Politiker oder Prominente schonten, während einfache Bürger verurteilt würden.
Nach Ansicht von Filzmaier zeigt etwa das kürzlich rechtskräftig gewordene Urteil gegen Josef Martinz – 4,5 Jahre Haft – und der erneute Schuldspruch durch das Wiener Straflandesgericht im Fall Strasser – 3,5 Jahre Haftstrafe –, dass vor dem Gesetz alle gleich behandelt werden und dass Straftaten wie Untreue, Bestechlichkeit oder auch Steuerhinterziehung (siehe Fall Uli Hoeneß in Deutschland) Folgen haben.
Zwar ist das Urteil gegen Strasser noch nicht rechtskräftig und es gilt die Unschuldsvermutung, aber "wenn das Urteil in der höchsten Instanz bestätigt wird, ist das die Chance, die Vertrauensbasis in den Staat wieder herzustellen", resümiert der Politikwissenschaftler. "Dann sehen die Leute: Es gibt Fehlverhalten, aber auch Konsequenzen." Darüber hinaus sieht Filzmaier eine abschreckende Wirkung der Schuldsprüche: "Es gilt das Generalpräventionsargument: Hohe Haftstrafen für Täter haben abschreckende Wirkung."
Gefahr von Pauschalurteilen
Filzmaier sieht jedoch auch ein Potenzial, dass mit jedem Skandal die Vorurteile gegenüber den Volksvertretern steigen. "Die Gefahr besteht, dass es zu Pauschalurteilen kommt: Alle Politiker sind so, alle sind anfällig, und es kommt zu einem Generalverdacht." In Shitstorms in sozialen Medien, wo es keine Filter gebe, entlade sich weit über den Fall Strasser hinaus "das negative Image, das Politik in Österreich hat, die niedrigen Vertrauenswerte". Dort gilt häufig auch keine Unschuldsvermutung.
Der Beruf des Politikers wird immer unattraktiver. "Wir haben ja ein Interesse an guten Volksvertretern, aber es gibt eine immer geringere Bereitschaft, sich auch politisch zu engagieren." Durch die häufigen Pauschalverurteilungen unabhängig vom Einzelfall sinke die Bereitschaft, politisch aktiv zu werden, sagt Filzmaier. Es droht eine "Demokratie ohne Personal."
Die politischen Skandale schaden auch den traditionellen Parteien: "Die Sehnsucht nach Neuem ist so groß, dass jede Partei eine Chance hat." Die NEOS und Team Stronach hätten es so ins Parlament geschafft. "Sobald irgendetwas anders ist, hat man eine reale Chance, reinzukommen." Eigentlich sei mehr Parteienvielfalt natürlich gut für Österreich, aber Filzmaier gibt zu Bedenken: "Nur neu sein, ist noch kein Programm."
Die Folgen der Causa Strasser
Der Fall Strasser habe viel in Bewegung gesetzt, urteilt Filzmaier. "Anfüttern" wurde beispielsweise verboten. Vor dem Fall Strasser war nur Stimmenkauf strafbar, erst danach wurde der Tatbestand der Bestechlichkeit für Abgeordnete erweitert auf alle Formen der Beeinflussung gegen Geld. Weiters wurden Gesetze wie das Medientransparenzgesetz oder das Lobbyistengesetz erlassen.
Bei allen negativen Effekten von Skandalen wie der "Cash-for-Laws"-Affäre um Ernst Strasser hat es nach Ansicht von Filzmaier auch ohne eine rechtskräftige Verurteilung schon positive Auswirkungen in Österreich gegeben. Für Ernst Strasser hingegen geht das Zittern erst einmal weiter.
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