Rund 50 Millionen Menschen sind in Italien am Sonntag dazu aufgerufen, über eine neue Regierung abzustimmen. Wir erklären, wie die Wahl abläuft, welche Parteien sich Chancen ausrechnen können und wer die wichtigsten Akteure sind.
Das Wort stabil fällt eher selten im Zusammenhang mit der politischen Lage in Italien. Davon zeugt nicht nur der Umstand, dass seit Beginn der laufenden Legislaturperiode 2013 über 300 Abgeordnete und Senatoren des Parlaments die Fraktion gewechselt haben, teilweise sogar mehrfach. Auch dass das Land am kommenden Sonntag über seine 65. Regierung in nur 72 Jahren abstimmen wird, ist ein deutliches Indiz.
Ob sich daran nach den bevorstehenden vorgezogenen Parlamentswahlen etwas ändern wird, bleibt abzuwarten. Die Prognosen vor der Wahl deuten nicht in diese Richtung. Ein Überblick über die politische Situation in Italien.
Wie funktioniert die Wahl?
Für die Wahl in Italien am 4. März gelten neue Regeln. Denn im Oktober 2017 hat das Parlament eine Wahlrechtsreform beschlossen. Die Reform wurde im Vorfeld insbesondere von der Fünf-Sterne-Bewegung kritisiert.
In Italien ist es nämlich möglich, bereits vor dem Urnengang Koalitionen zu bilden. Parteien, die sich zusammenschließen, treten damit gemeinsam zur Wahl an. Die in der Reform festgelegten Sperrklauseln für den Einzug ins Parlament begünstigen allerdings solche Allianzen.
Das italienische Parlament gliedert sich in die Abgeordnetenkammer und den Senat. Sowohl die insgesamt 630 Abgeordneten als auch die 315 Senatoren werden am Wahltag gewählt. 398 Sitze der Abgeordnetenkammer werden über die prozentuale Stimmverteilung vergeben. Zwölf Sitze davon werden von im Ausland lebenden Italienern gewählt.
Die restlichen 232 Abgeordneten werden hingegen nach dem Mehrheitswahlrecht direkt gewählt. Dabei gewinnt der Kandidat jedes Wahlkreises mit den meisten Stimmen. Das Verfahren für den Senat ist analog zu dem für die Abgeordnetenkammer, nur dass hier die Anzahl der Sitze jeweils halbiert ist.
Für die Abstimmung erhält jeder Wahlberechtigte zwei Stimmzettel. Einen für den Senat und einen für die Abgeordnetenkammer. Auf beiden hat er jeweils die Wahl, entweder einem Direktkandidaten oder einer Partei seine Stimme zu geben.
Egal wofür sich der Wähler entscheidet, wirkt seine Stimme allerdings in zwei Richtungen. Wählt er beispielsweise die Fünf-Sterne-Bewegung, kommt seine Stimme auch deren Direktkandidaten zugute und umgekehrt.
Koalitionen stellen dabei jeweils einen gemeinsamen Kandidaten in den Wahlkreisen auf. Da der Direktkandidat damit für mehrere Parteien gleichzeitig antritt, werden alle Stimmen für ihn den jeweiligen Bündnis-Parteien proportional angerechnet.
Welche sind die wichtigsten Parteien?
Die wichtigsten Parteien bei der bevorstehenden Parlamentswahl sind die Forza Italia von Silvio Berlusconi, die amtierende Regierungspartei Partito Democratico (PD) sowie das Movimento Cinque Stella (M5S), zu Deutsch Fünf-Sterne-Bewegung.
Die Forza Italia tritt im sogenannten Mitte-Rechts-Bündnis gemeinsam mit den Parteien Lega und Fratelli d’Italia zur Wahl an.
Unübersichtlich wird es bei der PD. Diese tritt ebenfalls mit mehreren Partnern an. Doch das Mitte-Links-Bündnis umfasst abseits der Demokratischen Partei selbst noch drei weitere Koalitionen, bestehend aus zahlreichen kleineren Parteien.
Die Fünf-Sterne-Bewegung hatte zunächst jegliche Form einer Allianz strikt abgelehnt, ihre Haltung im Wahlkampf aber leicht gelockert. Dennoch tritt die M52 zur Wahl selbst alleine an.
Wie sehen die Wahlprognosen aus?
Um eine Regierung bilden zu können, muss ein Bündnis oder eine Partei etwa 42 Prozent der Stimmen erhalten. Auf diesen Wert kommt den aktuellen Umfragen zufolge niemand.
Vorne liegt dabei die Drei-Parteien-Allianz um Silvio Berlusconi. Nur ihr rechnen Experten überhaupt geringe Chancen aus, bei der Wahl die nötige Mehrheit zu erringen.
Sollte dem Mitte-Rechts-Bündnis dies nicht gelingen, müssten die Parteien nach der Wahl erneut nach Koalitionspartnern suchen. In diesem Fall könnten sich Berlusconis Forza Italia und die Partito Democratico zu einer großen Koalition zusammenschließen.
Allerdings hatten sowohl Berlusconi als auch PD-Chef Matteo Renzi dieser Option im Vorfeld eine Absage erteilt. Auch die M5S könnte sich entschließen, zur Regierungsbildung in eine Koalition einzutreten.
Mitte-Rechts: Zwei polarisierende Charaktere
Innerhalb des Mitte-Rechts-Bündnisses polarisieren besonders zwei Politiker. Einer davon ist der vierfache Ex-Ministerpräsident und Chef der konservativen Forza Italia Silvio Berlusconi.
Trotz der skandalgeprägten Amtszeiten Berlusconis als Ministerpräsident gilt seine Allianz vor der Wahl als stärkste Kraft. Sie wirbt sogar mit dem ehemaligen Regierungschef. So lautet ihr Wahlslogan: "Forza Italia. Berlusconi Presidente".
Nach einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung darf Berlusconi allerdings bis 2019 keine politischen Ämter bekleiden. An seiner Stelle soll Antonio Tajani das Amt des Regierungschefs übernehmen.
Über Twitter verkündete der derzeitige EU-Parlamentspräsident, dass er im Falle eines Wahlsiegs bereit sei, nach Rom zu wechseln.
Ebenfalls für Aufsehen sorgt Berlusconis Bündnispartner vom rechten Rand: Matteo Salvini. Dem 44-Jährigen ist in der Migrationskrise eine erstaunliche Wiedergeburt der Lega Nord gelungen. Bei der Wahl tritt die Partei erstmals als Lega an. Mit seinem fremdenfeindlichen Kurs ist er zum Gesicht der landesweiten rechten Bewegung geworden.
So nennt der Mailänder Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán sein Vorbild, ist Trump- und AfD-Freund sowie Verbündeter von Frankreichs Front-National-Chefin Marine Le Pen. Im Wahlkampf lautete sein Slogan "Italiener zuerst". Er nennt Migranten "Kriminelle", will jede "illegale Präsenz des Islam" in Italien unterbinden und Roma-Angehörige wollte er "mit dem Bagger" aus deren Siedlungen vertreiben.
Mitte-Links: Der Gefallene und sein Nachfolger
Mit Matteo Renzi steht an der Spitze des Mitte-Links-Bündnisses ebenfalls ein ehemaliger Ministerpräsident. Nach einer Niederlage bei einem Verfassungsreferendum, war der PD-Chef im Dezember 2016 vom Amt des Regierungschefs zurückgetreten. Jetzt will er es noch mal wissen.
Der 43-jährige Florentiner ist bekennender Pro-Europäer und galt vielen als Hoffnungsträger, der Italien wieder aus der Krise führen könnte. Inzwischen hat Renzi allerdings stark an Popularität eingebüßt.
Ganz im Gegenteil zu seinem Parteikollegen Paolo Gentiloni. Der 63-Jährige wurde nach dem Rücktritt von Renzi Regierungschef und führt die Popularitätsskala der italienischen Politiker mit 35 Prozent an. Renzi und Berlusconi kommen auf einen Wert von 24 Prozent.
Der frühere Außenminister ist Diplomat durch und durch und gilt als gemäßigter Politiker, der keine Spielchen spielt und sich auch im Wahlkampf auf keine Polemik einlässt.
Fünf-Sterne-Bewegung: Der Jungspund
Als Spitzenkandidat der eurokritischen Fünf-Sterne-Bewegung geht der 31-jährige Luigi Di Maio ins Rennen. Würde er es in die Regierung schaffen, wäre er der jüngste Regierungschef, den Italien je hatte.
Im Gegensatz zum Gründer der Partei, dem Ex-Komiker Beppe Grillo, gibt sich der Jungpolitiker moderat und wirkt brav. 2013 kam der Studienabbrecher ins Parlament und wurde zum stellvertretenden Präsidenten der Abgeordnetenkammer gewählt - dem jüngsten in der Geschichte der Republik.
Anlass für Spott sind oft seine Grammatikfehler und mangelnde Geografie- und Geschichtskenntnisse. So bezeichnete er einmal den chilenischen Diktator Augusto Pinochet als Venezolaner und verortete Russland am Mittelmeer.
(Mit Material der dpa)
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