Ein Bericht der ORF-Sendung "Report" am Dienstagabend drehte sich um offene Fragen zum Freihandelsabkommen Ceta, darunter die strittigen Schiedsgerichte und Gefahren der Privatisierung. Außerdem war SPÖ-Infrastrukturminister Jörg Leichtfried im Studio, um über die Debatten rund um Ceta zu sprechen.
Am 27.10. soll das Comprehensive Economic and Trade Agreement unterzeichnet werden – kurz Ceta. Es handelt sich dabei um ein knapp 1.600 Seiten starkes Dokument, das den Handel zwischen Kanada und der EU durch Zollerleichterungen und Wegfallen von Zulassungsverfahren und anderen bürokratischen Vorgängen erleichtern soll.
Die ÖVP ist für eine Unterzeichnung des Vertrages: "Wer gegen Ceta ist, ist gegen Österreich", wird ÖVP-Generalsekretär Werner Amon zitiert. Die SPÖ und Bundeskanzler Christian Kern dagegen drohen mit einem Veto.
Welche Auswirkung soll Ceta auf die österreichische Wirtschaft haben?
Derzeit gehen nur 0,8 Prozent aller österreichischen Exporte nach Kanada – zum Vergleich: nach Deutschland sind es 30 Prozent.
"Es zahlt sich gerade aus für Unternehmen, die jetzt noch nicht auf diesen Markt expandieren", erklärt Elisabeth Christen, Mitarbeiterin am österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. "Es wird oft propagiert, dass das den Großunternehmen zugutekommt, aber tatsächlich ist ja eine Erleichterung des Marktzugangs auch vor allem für kleine und mittlere Unternehmen vorteilhaft."
Durch Ceta soll das Wirtschaftswachstum in Österreich um 0,3 Prozent angekurbelt werden. "Es ist ein Langfristeffekt", meint Christen, die einen Richtwert von zehn Jahren angibt, damit sich der Effekt einstellt. "Aber es ist dann wirklich ein nachhaltiger Effekt."
Was hat es mit den im Vertrag vorgesehenen Schiedsgerichten auf sich?
Wenn eine Firma durch neue Gesetzgebungen seinen Geschäftserfolg gefährdet sieht, kann sie durch die privaten Schiedsgerichte gegen den verantwortlichen Staat klagen. Diese Schiedsgerichte sollen mit nicht-staatlichen Juristen aus Kanada, der EU und Drittstaaten besetzt werden.
"Es gibt in vielen Abkommen solche Schiedsgerichtsvereinbarungen", erklärt Verena Madner, Universitätsprofessorin für öffentliches Recht an der WU Wien. Weil Kanada und die EU aber einen sehr entwickelten Rechtsstaat haben, zähle das Argument hier nicht, dass es Sonderklagbefugnisse braucht, um Investorenrechte in Staaten mit ungesichertem Rechtsverhältnis zu schützen.
"Schiedsgerichte können keine Gesetze aufheben", betont Ursula Kriebaum, Professorin am Institut für Europarecht, internationales Recht und Rechtsvergleichung an der Universität Wien. "Was Schiedsgerichte können, ist allenfalls Schadenersatz zusprechen – aber die bisherigen Fälle haben eigentlich gezeigt, dass das bei Gesetzen, die einem öffentlichen Interesse dienen, etwa Umweltschutzmaßnahmen, nicht der Fall war."
Besteht eine Gefahr der Privatisierung und der Senkung von Qualitätsstandards?
Um einer Privatisierung von Bereichen vorzubeugen, die in vielen Staaten gemeinnützig und nicht gewinnorientiert betrieben werden, enthält der Ceta-Vertrag verschiedene Ausnahmen, die von privaten Investoren nicht einklagbar sind: Wasser, Energie, Transport, Gesundheit, Post, Telekom, soziale Dienste und Umweltdienste.
"Aber der Bereich des Investitionsschutzes oder der Investor-Staat-Klagen ist von diesen Ausnahmen nicht betroffen", räumt Madner ein. "Das heißt: Wenn etwa über eine Konzessionsvergabe neu entschieden wird, und ein Investor fühlt sich da unfair behandelt, dann kann auch in diesen Bereichen natürlich eine Klage eingebracht werden."
Auch Qualitätsstandards sollen durch Ceta nicht gesenkt oder umgangen werden: Der Vertrag schreibt fest, dass "Qualitätsstandards nicht nach unten nivelliert werden dürfen". Elisabeth Christen führt aus: "Dort, wo gemeinsame Schutzziele verfolgt werden, dort könnte man sich einigen, dass sie auf beiden Seiten anerkannt werden. Dort, wo Schutzziele unterschiedlich sind, gilt, dass das jeweils höhere Schutzziel anerkannt werden muss."
Was sagt SPÖ-Infrastrukturminister Jörg Leichtfried zu den Ceta-Debatten?
Jörg Leichtfried erläutert, dass die SPÖ und auch andere sozialdemokratische Parteien in Europa mit ihren Ceta-Verhandlungen schon viel erreicht haben. Beispielsweise wurden die Schiedsgerichte aus der vorläufigen Anwendung des Vertrages herausgenommen.
"Diese Änderungen sind nicht unwesentlich", betont Leichtfried. "Es geht bei dieser Klausel beispielsweise um die Sicherung der Daseinsvorsorge außerhalb von Ceta. Alle Dinge, die uns wichtig sind in der öffentlichen Versorgung, sollen nicht diesen Liberalisierungsregeln, diesen Privatisierungsregeln unterstellt werden."
Im Vertrag sollen die Schiedsgerichte aber weiterhin vorgesehen sein. Ob die SPÖ diesbezüglich ihre Zustimmung erteilt, hängt von der Art der Änderungen ab, erklärt Leichtfried. Ein Tribunal mit eigens bezahlten Anwälten sei "absolut abzulehnen". Die anderen Szenarien wäre wie derzeit anvisiert "eine Art Gerichtshof mit Berufsrichtern", debattiert würde aber auch ein echter Handelsgerichtshof.
Leichtfried meint, dass das Schiedsgerichtsthema zu einer Grundsatzfrage führe: "Braucht man so etwas, wenn zwei Staaten mit sehr guten Rechtssystemen gegenüberstehen? Da würde ich meinen: Nein, das braucht man nicht."
"Wir haben Österreich zu schützen in dieser Frage", erklärt Leichtfried hinsichtlich der Einwände und des in den Raum gestellten Vetos gegen die Unterzeichnung des Vertrags. "Und das tun ja nicht nur wir: Die Franzosen beispielsweise wollten den gesamten audiovisuellen Sektor aus Ceta heraus haben, um ihre Filmindustrie zu schützen. Das ist ihnen auch gelungen."
Wie gut informierte der Bericht über die Ceta-Fragen?
In der Einleitung zum Ceta-Beitrag wird Paul Schmidt von der österreichischen Gesellschaft für Europapolitik zitiert, dass hinsichtlich des Vertrages lange Zeit ein "Informationsvakuum" geherrscht habe. Leider kann der "Report"-Bericht dieses Vakuum auch nur bedingt füllen.
Dass beispielsweise Bedenken hinsichtlich der Qualitätsstandards zerstreut werden, ist begrüßenswert, aber viele Informationen werden nur angerissen, und die Pro- und Contra-Positionen bei streitigen Fragen sind nicht immer klar.
Anfangs heißt es, dass die EU-Kommission 170.000 neue Arbeitsplätze prognostiziert, Gegner aber vor ebenso großen Jobverlusten warnen – aber die Argumentation hinter diesen in den Raum geworfenen Zahlen und Szenarien bleibt verborgen.
Schade ist außerdem, dass Bericht und Interview sich zu sehr auf die Streitigkeiten von ÖVP und SPÖ konzentriert haben und sich immer wieder darum drehten, warum sich letztere "querstellen", wenn doch erstere zustimmen. Eine davon losgelöste Betrachtung der Fakten und Fragestellungen wäre sicherlich sachdienlicher gewesen.
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