Große Koalitionen haben in Österreich Tradition. Ein Jahr nach der jüngsten Wahl steht das Bündnis von Sozialdemokraten und Konservativen jedoch in der Kritik. Im schlimmsten Falle drohen im kommenden Jahr Neuwahlen.

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Schon der Start verlief schleppend. Zehn Wochen lang verhandelten die sozialdemokratische SPÖ und die konservative ÖVP nach der Nationalratswahl am 29. September vergangenen Jahres in Österreich, ehe sie die Regierung beschlossen. Die beiden Parteien wollten nicht zusammengehen, schien es, doch das Wahlergebnis ließ kaum andere Möglichkeiten zu. Ein Jahr später befindet sich die große Koalition der Alpenrepublik im Stimmungstief. Im kommenden Jahr drohen zahlreiche Debakel.

In vier der neun österreichischen Bundesländer wird 2015 gewählt, darunter mit Wien, Oberösterreich und der Steiermark in drei der größten. Hinzu kommt das an Ungarn grenzende Burgenland. In Umfragen lag zuletzt die rechte FPÖ mit rund 28 Prozent auf Platz eins. Die SPÖ von Bundeskanzler Werner Faymann kam auf 23 Prozent, die ÖVP war mit rund 20 Prozent nur noch dritte Kraft. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache stellte zuletzt bereits Ansprüche auf das Bundeskanzleramt.

Große Koalition unter Druck

"Die große Koalition muss jetzt Ergebnisse liefern", sagt der Politologe Thomas Hofer. "Vieles wird nicht umgesetzt, weil es immer einer Klientel einer Regierungspartei wehtun würde", sagt Hofer. "Dabei gibt es großen Reformbedarf."

Bei der von der SPÖ geforderten Vermögenssteuer stellte sich der Ende August zurückgetretene Ex-ÖVP-Chef, Vizekanzler und Finanzminister Michael Spindelegger vehement quer. Bei einer möglichen Pensionsreform, durch die der Staatshaushalt entlastet werden könnte, will die SPÖ ihrer wichtigen Wählergruppe nicht auf die Füße treten.

Beim wohl wichtigsten Projekt der rot-schwarzen Koalition, der geplanten Steuerreform, gab es am Samstag jedoch immerhin einen Schritt vorwärts. Die Regierung beschloss bei ihrer Klausursitzung in Schladming Entlastungen von mindestens fünf Milliarden Euro.

Unter den Industriestaaten zählt Österreich zu den Ländern mit den höchsten Steuern und Abgaben. Der Eingangssteuersatz der Einkommensteuer ist mit 36,5 Prozent (für Einkommen zwischen 11.000 und 25.000 Euro jährlich) höher als in Schweden. Er soll nun auf 25 Prozent fallen und damit den größten Anteil zur Steuersenkung beitragen, wie Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) erklärte. Allerdings werden die Bürger frühestens ab Mitte des kommenden Jahres, möglicherweise auch erst ab 2016 davon profitieren.

Zu viele Stolpersteine für Regierung

Nach der Wahl im September 2013, bei der beide Parteien Stimmen verloren hatten, mahnte Bundespräsident Heinz Fischer mehr Durchsetzungsfähigkeit bei Reformprojekten an. Mit 26,8 beziehungsweise 23,8 Prozent der Stimmen erreichten SPÖ und ÖVP damals dafür zwar die nötige Mehrheit - der politische Wille fehlte im ersten Koalitionsjahr jedoch.

Als Beruhigungsmittel nutzte die große Koalition dabei regelmäßig die niedrige Arbeitslosenquote von zuletzt 4,9 Prozent. Die Arbeitslosigkeit steigt jedoch, Investitionen sinken.

Bei der jüngsten Landtagswahl in Vorarlberg am 21. September wurden Sozialdemokraten und Konservative abgestraft. Die ÖVP verlor ihre absolute Mehrheit. Die im westlichsten Bundesland Österreichs ohnehin schwache SPÖ fiel laut vorläufigem amtlichem Endergebnis mit gerade einmal 8,8 Prozent auf einen historischen Tiefstand. Erstmals seit 1945 fielen die Sozialdemokraten damit bei einer Bundes- oder Landeswahl unter die Zehn-Prozent-Marke.

Schwer zu schaffen macht der großen Koalition in Wien zudem die marode österreichische Staatsbank Hypo Alpe Adria. Für deren Unterstützung musste der österreichische Steuerzahler bisher mehr als vier Milliarden Euro zahlen.

Die nächste bundesweite Parlamentswahl steht 2018 an. Gelängen SPÖ und ÖVP jedoch im kommenden Jahr keine spürbaren Erfolge, habe die große Koalition ihre Existenzberechtigung verloren, sagt Parteienforscher Hofer. "Davon würde vor allem die FPÖ profitieren." (dpa)

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