(ak/ank) - Weil sich die Regierungsparteien wieder einmal nicht einigen können, wird das Volk befragt: Soll eine Profimiliz her oder tut es auch die Wehrpflicht? Wir haben die wichtigsten Fakten für Sie gesammelt.

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Das Volk fragen statt selbst zu entscheiden: Was im ersten Moment so aussieht, als würde die Regierung ihre Verantwortung einfach abgeben, ist eigentlich ein demokratischer Prozess - oder im Fall von SPÖ und ÖVP ein "Instrument zur Blockadeüberwindung". So nennt es zumindest Bundespräsident Heinz Fischer. Nach anhaltend leidigen Diskussionen wird also am Sonntag, dem 20. Jänner, das Volk befragt - eine Premiere in der Geschichte der Zweiten Republik.

Weil sich die Parteien nicht einigen können, sollen 6,3 Millionen Staatsbürger selbst entscheiden: Wollen sie ein Berufsheer oder soll die Wehrpflicht samt Zivildienst beibehalten werden? In vielen europäischen Ländern, zuletzt auch in Deutschland, wurde die allgemeine Wehrpflicht schon abgeschafft. Aber funktioniert das Modell auch für die Alpenrepublik? Geht die Neutralität flöten? Und wozu brauchen wir überhaupt ein Heer? Wir haben für Sie die Argumente pro und contra Berufsheer zusammengestellt:

Was wollen die Parteien?

Die ÖVP setzt sich dafür ein, dass die Wehrpflicht erhalten bleibt. Damit bestünde das Bundesheer weiterhin aus 16.000 Berufssoldaten, 26.000 Milizsoldaten und 24.000 Grundwehrdienern. Dazu kommen rund 13.000 Zivildiener.

Allerdings plant die Volkspartei eine Reform. Wie diese konkret aussehen soll, weiß bisher aber niemand. Ein Konzept eines Österreich-Dienstes, bei dem man zwischen Wehrdienst und Katastrophendienst hätte wählen können, wurde nach Kritik von Experten ad acta gelegt.

Konkreter sehen die Pläne der SPÖ aus: Das von Verteidigungsminister Norbert Darabos in Aussicht gestellte Modell sieht ein Heer aus 8.500 Berufssoldaten, 7.000 Zeitsoldaten und 9.300 gut ausgebildeten Milizsoldaten vor. Für Katastropheneinsätze - Hochwasser, Lawinen, Muren - wären künftig hauptsächlich Milizsoldaten zuständig. Ins Ausland will Darabos hauptsächlich Zeitsoldaten schicken. Sie sollen bei Katastropheneinsätzen lediglich einspringen.

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) und der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) hatten sich zuletzt dafür ausgesprochen, eine Idee des verstorbenen Wiener Altbürgermeisters Helmut Zilk umzusetzen. Der hatte sich seinerzeit für eine schrittweise Umstellung von Wehrpflicht auf Berufsheer ausgesprochen. Bis jetzt sind jedoch nur vage Pläne durchgesickert - etwa, dass es künftig weniger Rekruten geben könnte.

Die Opposition ist ebenfalls uneins, wie eine Reform des Bundesheers aussehen könnte. Während die FPÖ die Wehrpflicht beibehalten will, setzen sich die Grünen für die Einführung eines Profiheeres ein. Auch BZÖ und Team Stronach sind pro Berufsheer. Bundespräsident Heinz Fischer spricht sich hingegen für die Wehrpflicht aus. Er sieht sie als "bewährtes Mischsystem von Grundwehrdienern, Zeit-, Berufs- und Milizsoldaten", das in "professioneller Weise seine verfassungsmäßigen Aufgaben für Österreich erfüllt". Eine Reform hält er dennoch für nötig.

Argumente pro Berufsarmee

  • Eine Wehr- und Zivildienstpflicht verstoße gegen die Verfassung, sagen die Anhänger des Profiheers. Das "Recht auf Freiheit" sei durch eine Staatssklaverei auf Zeit nicht gegeben. Zudem verstoße eine Wehrpflicht nur für Männer gegen den Grundsatz der Gleichheit von Mann und Frau.
  • Für Katastropheneinsätze seien Profis vonnöten, die schweres Gerät bedienen könnten. Das treffe auf Berufs- und Zeitsoldaten eher zu als auf Rekruten. Im Ausgleich winken 5.000 Euro Jahresprämie für Einsatzbereitschaft und Übungen.
  • 21 von 27 EU-Staaten haben mittlerweile ein Berufsheer - und dem könne sich auch Österreich nicht entziehen. Ein Beitritt zur Nato und ein Ende der Neutralität seien dafür nicht Bedingung. Schon bisher würden nur Freiwillige und keine Rekruten ins Ausland geschickt.
  • Zudem entstehe durch die Wehrpflichtigen, die meist während ihrer Dienstzeit keine sinnvollen Aufgaben im Heer leisten, ein wirtschaftlicher Schaden. Anstatt die Zeit im Heer zu "verplempern", könnten die Männer in der Zwischenzeit schon arbeiten und Steuern zahlen. Jeden Grundwehrdiener koste die Wehrpflicht 77.500 Euro, rechnete Darabos vor.

Argumente pro Wehrpflicht

  • Die Anhänger der Wehrpflicht interpretieren diese als solidarischen Beitrag zur Gesellschaft. Sie sei wichtig, um neue Staatsbürger zu integrieren. Zudem könnten Rekruten Erlerntes aus dem Wehrdienst (Sprachen, Führerschein) in ihr späteres Leben mitnehmen.
  • Berufsheer-Gegner halten eine Profimiliz für im Alltag zu teuer und im Ernstfall zu klein. Gerade bei Katastropheneinsätzen brauche man so viele helfende Hände wie möglich. Das könne nur eine Wehrpflichtigenarmee leisten.
  • Ein Berufsheer führe zwangsläufig zum Nato-Beitritt und zum Ende der Neutralität, argumentieren Wehrpflichtanhänger. Die meisten Länder, die in den vergangenen Jahren auf ein Profiheer umgestiegen sind, gehören auch der Nato an.
  • Ein Wehrpflichtigenheer sei stabiler und weniger leicht zu missbrauchen. Eine Berufsarmee könne nämlich viel einfacher zu umstrittenen Einsätzen im Ausland verpflichtet werden. Darüber hinaus könne man nach einer Reform der Wehrpflicht auch Frauen einziehen - und so die Zahl der Soldatinnen und Soldaten erhöhen.

Was passiert mit dem Zivildienst?

Um die Zivildiener zu ersetzen, plant die SPÖ ein Modell, bei dem sich Männer wie Frauen ab 18 für ein bezahltes freiwilliges Sozialjahr melden können. Diese sollen angestellt und versichert werden; der Monatslohn läge bei 1.386 Euro brutto, zahlbar 14 Mal im Jahr. Bei 8.000 Zivildienern (derzeit sind es rund 13.000) käme ein Sozialjahr angeblich nicht teurer als der bisherige Zivildienst. Wie der ORF meldet, bräuchte man für Sozialjahr und Berufsheer in Summe mindestens 10.000 Freiwillige pro Jahr. Um diese auch zu bekommen, ist eine entsprechend größere Zahl an Interessenten nötig - denn nicht jeder ist geeignet.

Die deutsche Bundeswehr nimmt demnach nur jeden zweiten oder dritten Bewerber. Sollte ähnliches für das Sozialjahr gelten, bräuchte man den ORF-Informationen zufolge für beide Systeme 20.000 bis 30.000 Interessenten pro Jahr. Zurzeit stehen jährlich etwa 36.000 taugliche 18-Jährige zur Verfügung.

Was kostet es?

Im europäischen Vergleich gehört Österreich zu den Ländern, die am wenigsten Geld für ihr Militär ausgeben. Heuer soll das Budget auf knapp über zwei Milliarden Euro oder 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinken. Die potenziellen Kosten eines Berufsheers gehörten in den vergangenen Monaten zu den am heißesten debattierten Streitthemen.

Ein Berufsheer soll den Staat genauso teuer kommen wie das bestehende System. Verteidigungsminister Norbert Darabos rechnet mit Einsparungen als Folge der Umstellung. Es würden 200 Millionen Euro frei, die bisher dazu dienen, die Rekruten auszubilden. Zudem soll die Verwaltung um ein Viertel verkleinert werden - ohne Kündigungen, wie Darabos betont.

Anhänger der Wehrpflicht befürchten, eine Profimiliz käme zwei- oder gar viermal so teuer wie eine Wehrpflichtigenarmee. Ein Umstieg sei schon vor mehr als zehn Jahren geprüft und als zu teuer verworfen worden. Nicht beziffert hat die ÖVP bisher allerdings , wie viel eine Reform des Wehrdienstes kosten würde.

Wie geht es weiter?

Rein rechtlich ist das Ergebnis der Volkabstimmung nicht bindend, allerdings haben beide Regierungsparteien mehrmals versichert, das Ergebnis der Volksbefragung umzusetzen. "Eine klare Entscheidung zu Beginn des kommenden Jahres ist besser als eine Fortsetzung des Streites und der andauernden Unsicherheit über Jahre hinweg", betonte Bundespräsident Fischer.

Die Wahllokale in ganz Österreich öffnen am Sonntag um 7.00 Uhr. Bis 17.00 Uhr kann abgestimmt werden. Die erste Hochrechnung steht gegen 18.00 Uhr an.

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