2016 wählt Österreich einen neuen Bundespräsidenten. Noch steht nicht fest, wer sich als Heinz Fischers Nachfolger bewirbt. Wir prüfen die potenziellen Kandidaten auf ihre Eignung. Heute: Ex-SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky.

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Vor mehr als 20 Jahren lehnte Franz Vranitzky eine Kandidatur ab, jetzt gilt er als Außenseiterkandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Noch ist allerdings fraglich, ob der Ex-Kanzler mit 77 Jahren aus dem politischen Vorruhestand auf das internationale Parkett zurückkehren möchte.

Wer ist er?

In seiner Jugend war Franz Vranitzky Mitglied der österreichischen Basketball-Nationalmannschaft und trat mit ihr sogar bei der Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 1960 in Rom an. Seine politische Karriere verlief jedoch deutlich erfolgreicher als die sportliche: Der gebürtige Wiener ist der am längsten regierende Bundeskanzler Österreichs (1986 bis 1997) und war fast ebenso lang Vorsitzender der SPÖ.

Sein größter politischer Erfolg ist zweifelsfrei der EU-Beitritt Österreichs 1995. Zudem gelang ihm – unter anderem dank seiner berühmten Nationalratsrede 1991 – die Aussöhnung mit Israel. Vor seiner politischen Laufbahn war Vranitzky in Führungspositionen bei verschiedenen österreichischen Banken beschäftigt, ab 1970 war der Doktor der Handelswissenschaften Berater des damaligen Finanzministers Hannes Androsch. Bundeskanzler Fred Sinowatz machte Vranitzky 1984 schließlich zunächst zum Finanzminister und empfahl ihn zwei Jahre später auch als seinen Nachfolger im Kanzleramt.

Hat er das Zeug zum obersten Staatsmann?

Zu Beginn seiner Regierungszeit übernahm Vranitzky häufig Funktionen, die eigentlich in die Zuständigkeit des Bundespräsidenten fallen. Der damals amtierende Bundespräsident Kurt Waldheim wurde von den meisten westlichen Staaten boykottiert und durfte aufgrund seiner Vergangenheit bei der Wehrmacht beispielsweise nicht in die USA einreisen. So fielen solche Aufgaben Vranitzky zu.

Damit hat Franz Vranitzky von allen potenziellen Präsidentschaftskandidaten sicher die größte Erfahrung auf der weltpolitischen Bühne. Ihm wurde übrigens schon 1992 eine Kandidatur als Bundespräsident vorgeschlagen - damals wollte er sich aber nicht "in der Hofburg politisch begraben lassen".

Kritiker warfen ihm während seiner Amtszeit als Bundeskanzler Entscheidungsschwäche und mangelnde Risikobereitschaft vor – er habe politische Prozesse zu wenig aktiv gestaltet und zu oft nur reagiert. Dennoch gilt er in Österreich und im Ausland als politische Respektsperson.

Welche Positionen vertritt er?

Der Umgang Österreichs mit der NS-Vergangenheit war für Vranitzky immer eine Herzensangelegenheit. Er war der erste offizielle Vertreter Österreichs, der für die begangenen Verbrechen einstand und um Vergebung bat. Auch distanzierte er sich stets vom deutschnationalen Flügel der FPÖ, und löste 1986 die Koalition mit den Blauen auf, als Jörg Haider Bundesparteiobmann der FPÖ wurde.

Heute setzt sich Vranitzky als Vorsitzender des "InterAction Council" unter anderem für den interreligiösen Dialog ein. Er kritisiert die Russlandpolitik Europas und den übergroßen Einfluss Deutschlands in der EU. Im Rahmen der "Vranitzky-Kolloquien" diskutiert er mit führenden Vertretern aus Politik und Wirtschaft vierteljährlich zukunftsrelevante wirtschaftspolitische Themen. Außerdem sitzt Vranitzky seit 1997 im Aufsichtsrat des Magna-Konzerns von Frank Stronach, der ebenfalls als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch ist.

Wie medientauglich ist er?

Die österreichische Presse verpasste Franz Vranitzky früh den Titel "Sozialist in Nadelstreifen", da er nicht den klassischen Weg durch sämtliche Instanzen der Partei genommen hat, sondern direkt von der Wirtschaft in die Machtpolitik wechselte. Bei Journalisten und Politikern gefürchtet sind seine manchmal endlosen Schachtelsätze, die nicht immer zu einer klaren Aussage führen. Heute ist Vranitzky in den Medien vor allem als Experte für Sozialdemokratie und Europapolitik präsent.

Wie stehen seine Chancen?

Relativ gering. Als wahrscheinlichster Kandidat der SPÖ gilt Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Falls dieser nach der Wiener Landtagswahl im Herbst 2015 Bürgermeister Michael Häupl ablösen sollte, käme Franz Vranitzky allerdings wieder ernsthaft als Präsidentschaftskandidat ins Gespräch. Sollte er tatsächlich antreten, hätte der hoch angesehene Vranitzky gute Chancen, auch wenn er sich Umfragen zufolge gegen Alexander Van der Bellen (Grüne) wahrscheinlich nicht durchsetzen könnte.

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