Viele Flüchtlinge nutzen Österreich nur zur Durchreise. Nur ein Bruchteil stellt hier Asylantrag. Die meisten wollen nach Deutschland - und das provoziert Konflikte.
Schon durch seine Lage in Europa bedingt ist Österreich für viele Flüchtlinge ein Durchreiseland. "Für Menschen, die über die Türkei, Griechenland oder Italien nach Europa kommen, liegt es am Schnittpunkt von zwei großen Routen in Richtung Norden", sagt Kulturanthropologe Bernd Kasparek, der auf sich für das Netzwerk "Bordermonitoring.eu" engagiert.
"Erwarte mir mehr Solidarität"
Genau die zentrale Lage ist das Problem: Immer öfter wird Österreich vorgeworfen, sich auf seine Rolle als Transitland zurückzuziehen. Viele tausend Menschen würden einfach nach Deutschland weitergeschickt, lautet die Kritik. Allein am vergangenen Wochenende reisten nach Angaben der österreichischen Behörden rund 16.000 aus Ungarn in Österreich ein - und 15.000 zogen ungehindert weiter.
Dieses Vorgehen sei mit der deutschen Kanzlerin abgestimmt und aufgrund der "Notlage der Menschen" entstanden, betonte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ). Und dennoch provoziert es Ärger. "Ich erwarte von Österreich mehr Solidarität gegenüber seinen Nachbarstaaten", kritisierte etwa der deutsche Politiker Roderich Kiesewetter (CDU) in einem Interview mit den "Salzburger Nachrichten". Es gehe nicht, dass Flüchtlinge nur "durchgeschleust" würden, sagte der Obmann der Unionsfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Im Grunde schieben Österreich und seine Nachbarn Schuldzuweisungen hin und her. Serbien oder Tschechien betonen etwa, mit dem Zustrom an Flüchtlingen überfordert zu sein. Italien, Griechenland und die Türkei fühlen sich von der Europäischen Union im Stich gelassen, weil sie häufig die Länder sind, in denen die Flüchtlinge aus Afrika oder dem arabischen Raum europäischen Boden betreten. Sie wehren sich dagegen, die Hauptlast an Asylsuchenden zu tragen, und fordern Unterstützung - auch bei der Kontrolle des Mittelmeerraums, in dem immer wieder Menschen auf ihrer Reise nach Europa ertrinken.
Als Folge des Konflikts winken alle drei Staaten immer wieder Asylsuchende durch. Nach Recherchen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" kommen immer mehr Menschen ohne Polizei- oder Fahrkartenkontrolle über Italien und Österreich in Deutschland an. Die meisten reisen über die Brennerroute ein, weshalb Österreich zuletzt von Italien stärkere Kontrollen auf dem Brenner forderte.
Aber auch die im Vergleich weniger frequentierte Balkanroute wird oft nur lückenhaft kontrolliert. Das Interesse, etwa in Ungarn zu bleiben, ist dabei gering: Unter Flüchtlingen gilt das Land als nicht besonders gastfreundlich. Unlängst forderte der ungarische Regierungschef Viktor Orban Österreich und Deutschland auf, die Grenzen dicht zu machen. Beide Länder sollten "klar sagen", dass sie keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnähmen, ansonsten würden "mehrere Millionen" Menschen nach Europa kommen.
Angela Merkels Sogwirkung
Ungarn und Österreich werfen Deutschland vor, eine regelrechte Sogwirkung ausgelöst zu haben. Berlin hat für Syrer vorübergehend das Dubliner Abkommen ausgesetzt. Eigentlich muss der Staat, in den ein Asylbewerber nachweislich zuerst eingereist ist, das Asylverfahren durchführen. Deutschland nimmt nun allerdings auch Flüchtlinge auf, die zuerst in ein anderes EU-Land eingereist sind. Ein Grund mehr für die Tausenden, Österreich als reine Durchgangsstation zu sehen.
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