Das politische Klima gleicht derzeit einer Mischung aus Aufbruchsstimmung und Irritation. Es drängt sich langsam die Frage auf, ob das Land nicht neue politische Kräfte braucht. Im Gespräch darüber der Journalist und politische Schriftsteller Robert Misik.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Momcilo Nikolic sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die große Koalition hat in den vergangenen Jahren enorm an Zustimmung verloren. Die Parteien streiten, verlieren Abgeordnete oder müssen unbequeme Fragen über die Nominierung ihrer Spitzenkandidaten zur kommenden Nationalratswahl über sich ergehen lassen.

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Seit dem desaströsen Abschneiden ihrer beiden Kandidaten in der ersten Runde der Bundespräsidentschaftswahl 2016 ist jedoch eine Trendwende bei SPÖ und ÖVP zu erkennen.

Man versucht der FPÖ, deren Umfragehöheflug am höchsten Punkt angekommen scheint, die Themenherrschaft im Politalltag abzugraben. Die Grünen haben es verpasst, die Schwäche der Christ- und Sozialdemokraten zu nutzen, stagnieren und trennen sich von der eigenen Jugend.

Von den NEOS hört man - außer von Austritten - nicht viel, und das Projekt Team Stronach macht seine letzten politischen Atemzüge. Eine ideale Situation für eine neue Partei?

Letzte Chance, auf Rot zu setzen

Um diese Frage zu beantworten, muss man ein wenig ausholen und sich die aktuellen Bewegungen der Parteien anschauen.

Robert Misik, Journalist und politischer Schriftsteller, äußert Bedenken. "Im vergangenen Jahr hatten wir die relativ interessante Konstellation, dass wir mit der Regierungs- und SPÖ-Übernahme von Christian Kern eine innere Dynamik der Sozialdemokratie gespürt haben."

Das habe die Frage, ob es eine andere linke sozial-progressive Partei brauche, etwas in den Hintergrund gedrängt. "Das bedeutet aber auch, das Projekt Kern ist die letzte Chance für die Sozialdemokratie", sagt Misik.

Für den Sachbuchautor ist die Frage nach einer neuen politischen Kraft aktuell eine rein fiktive, wie er im Gespräch mit GMX.at mehrfach betont. Die nächsten Jahre werde es in Österreich keine neue Linkspartei geben, da keine relevante Kraft existiere, die dies plane.

Auch rechts der Mitte sieht er für eine neue und seriöse Partei keinen Bedarf. "Eine Neugründung des politischen Spektrums, von links bis rechts, würde nicht funktionieren. Man muss eher daraufsetzen, dass es so etwas wie Selbstheilungskräfte in den verschiedensten Parteien gibt", argumentiert er.

Misik fügt aber an, dass es unter bestimmten Voraussetzungen sehr wohl die Notwendigkeit für neue Parteien geben kann. "Zum Beispiel dort, wo aufgrund gesellschaftlicher und Modernisierungstendenzen das Parteienspektrum nicht mehr ausreicht."

Aus Fehlern lernen?

Die beiden jüngsten Parteien, die Nischen besetzt und als Neulinge den Einzug in den Nationalrat geschafft haben, waren das Team Stronach und die NEOS. Letzteren attestiert Misik keine groben Fehler, aus denen es zu lernen gilt.

Die NEOS machen ihre Sache dem Experten zufolge trotz ihres eingeschränkten Spektrums - "bürgerlich-urbanes Mitte-Rechts-Milieu, dem die ÖVP zu pechschwarz ist und die Grünen zu alternativ sind" - so gut wie möglich.

In Bezug auf die Frank-Stronach-Partei findet Misik schärfere Worte: "Beim Team Stronach wurde überhaupt kein Fehler gemacht. Das ist immer schon ein Fehler gewesen", kritisiert er. "Es war eine Clown-Partei, die auf clownesque Art und Weise den Einzug in den Nationalrat geschafft hat und nie wieder schaffen wird."

Damit eine neue Partei tatsächlich Erfolg haben kann, braucht es andere Aspekte, die es dem Wähler anzubieten gilt. Zum Beispiel eine linke Politökonomie: "Auf wirtschaftlicher Ebene braucht es eine klare Positionierung in Richtung sozialer Gerechtigkeit, Umverteilung, Gleichberechtigung an Chancen und den Menschen so viele Möglichkeiten wie möglich zur Entfaltung zu geben", sagt Misik.

Der Kritik von "Voxmedia"-Journalist Zack Beauchamp, dass linke Sozialpolitik nicht die einzig wahre Antwort auf rechten Populismus sei, hält Misik für plausibel. "Wenn wir die ökonomische Situation verbessern, hören die Leute auf rechtspopulistisch zu wählen: Diese Vorstellung ist zu kurz gedacht."

Es gebe eine kulturelle Entfremdung, die verschiedene Motive habe. "Migration oder zu Recht das Gefühl, allein gelassen zu sein", glaubt Misik.

Progressive Parteien seien am erfolgreichsten gewesen, wenn sie es geschafft hätten, die aufgeklärte, liberale Mittelschichte auf ihre Seite zu ziehen. Misik: "Die gewinnt man mit Weltoffenheit, Aufklärung, Liberalität und gesellschaftlicher Modernisierung. Und einem Modernisierungs-Optimismus."

Abwarten und Polit-Tee trinken

Aus dieser Sichtweise lässt sich mitnehmen, dass es tatsächlich neue Kräfte braucht, die sich der Themen wie Migration und begründeten wie unbegründeten Existenzängsten sachlich und ohne jene innewohnende und destruktive Emotionalität des Populismus annehmen.

Dabei Begriffe wie Heimat, Patriotismus und Ängste aus dessen Klauen befreien und im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft zum Diskurs neu anbieten. Innerhalb etablierter Parteien oder "von außen".

Abzuwarten bleibt allerdings auch, ob Österreich sich in exakt so einer Phase der Wandlung befindet, in der die großen Parteien versuchen einen Kompromiss zu finden, der ihre Grundausrichtung nicht verletzt, ihnen aber zeitgleich erlaubt sich neu zu erfinden.

Diese Dynamik lässt aktuell wohl keinen Platz für eine neue Partei mit der Aussicht auf real-politischem Gewicht. Doch die Uhr für die heimische Polit-Elite tickt und die Parteien stehen unter Beobachtung.

Die Fragen, die dabei im Raum stehen: Wie agieren eine über kurz oder lang Kurz-geführte ÖVP und wohin geht eine, bereits mit Lorbeeren bedachte, Kern-Sozialdemokratie? Oder auch ob die Oppositionsparteien Wege finden können dieser großkoalitionären Strategie der Themen-Assimilation und politischer Neuorientierung etwas Inhaltvolles entgegenzusetzen.

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