Nach langem Ringen ehrt Österreich die Opfer der NS-Militärjustiz. Ein Denkmal erinnert an die Todesurteile für Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Selbstverstümmler. Es war ein langer Weg.
Karl Lauterbach hatte seinen rechten Arm auf Ziegelsteine gelegt, dann sprang ein Kamerad vom Tisch aus mehrfach mit seinen Stiefeln auf die Knochen. Dieser erste Versuch, sich den Arm brechen zu lassen, scheiterte. Ein späterer Versuch gelang. Der 20-Jährige wollte 1944 nicht mehr kämpfen. Die NS-Militärrichter glaubten nicht an einen angeblichen Unfall, sondern ließen
Der Anstoß für das Projekt kam nicht aus der Politik, sondern vom "Personenkomitee Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz", unterstützt unter anderem von Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, dem Schriftsteller Josef Hader oder dem Künstler André Heller. Die Anliegen des 2008 gegründeten Vereins wurden von der neuen rot-grünen Wiener Landesregierung 2010 ins Koalitionsprogramm geschrieben. Die Zahl der nun geehrten Opfer ist erheblich. Die NS-Militärjustiz hatte laut Manoschek von 1939-1945 etwa 25.000 bis 30.000 Todesurteile gegen Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Selbstverstümmler ausgesprochen. Schätzungsweise 2.000 Todesurteile galten Österreichern.
Das Denkmal, das am Freitag in Anwesenheit von Bundespräsident Heinz Fischer eröffnet wird, ruft den Umgang der Alpenrepublik mit seiner Vergangenheit als Teil des NS-Regimes in Erinnerung. Lange war der Glaube an die "Opfer"-Rolle verbreitet, weil Österreich als erstes Land von Hitler besetzt und ins Deutsche Reich eingegliedert worden war. Das Bekenntnis zu einer Mitverantwortung angesichts der Verbrechen, die Österreicher gerade in den Konzentrationslagern begingen, folgte erst 1991. "Aber es gab keine Konsequenzen", sagt Winfried Garscha vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Erst später wurden Entschädigungen an die Opfer gezahlt. Deserteure mussten auf ihre offizielle Rehabilitation bis 2009 warten. "Sie galten als Kameradenverräter und Eidesbrecher", meint Manoschek.
Schon der Ort des Denkmals, entworfen von Olaf Nicolai aus Halle an der Saale, ist eine Verbeugung des Staates vor den Opfern. Die Betonskulptur in Form eines überdimensionalen liegenden "X" ziert den Ballhausplatz - zwischen Kanzleramt und Präsidentschaftskanzlei. "Es ist die denkbar prominenteste Lage im politischen Wien", sagt die Geschäftsführerin von Kunst im Öffentlichen Raum (KÖR), Martina Taig. Auf dem "X" werden die Worte "all/alone" aus einem Gedicht des schottischen Künstlers Ian Hamilton Finlay stehen - als Symbol für den Konflikt zwischen Fremd- und Selbstbestimmung. Der dreistufige Sockel ist begehbar. "Es soll ein Ort der Kommunikation sein und keine Kranzabwurf-Stelle", sagt Taig.
In Deutschland hat das "Personenkomitee" etwa 30 Deserteurs-Denkmäler und Gedenktafeln gezählt, viele von ihnen eher unscheinbar gelegen. Die besondere Lage des Denkmals in Wien werde es nun vielen lokalen österreichischen Initiativen leichter machen, ähnliche Projekte voranzutreiben, ist Manoschek überzeugt. Dennoch sind Konflikte absehbar. Einerseits steht die Überzeugung, dass jeder Akt gegen ein verbrecherisches Regime positiv zu werten ist. Andererseits ist sich der Historiker Garscha bewusst: "Die Erzähltradition des Krieges ist noch wach. Das Leiden der Großväter wie in Stalingrad gilt als irgendwie entwertet, wenn die Deserteure als vorbildlich hingestellt werden." (dpa)
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