Die Affäre um das angeblich abgehörte Handy von Kanzlerin Angela Merkel erschüttert das politische Berlin. Dr. Henning Riecke ist Leiter des Programms USA/Transatlantische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Im Interview erklärt er, warum Merkel diesmal heftiger reagiert als zu Beginn der NSA-Affäre. Und was das Interesse des US-Geheimdienstes über das Verhältnis der USA zu den Deutschen verrät.

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Herr Riecke, die NSA-Spähaffäre konnte dem deutsch-amerikanischen Verhältnis keinen allzu großen Schaden zufügen und wurde schließlich von der Regierung kurzerhand für beendet erklärt. Wie liegt der Fall im Skandal um eine mögliche Abhörung von Angela Merkels Diensthandy?

Rieke: Ich glaube, dass die Bundesregierung bei der ersten Phase des NSA-Skandals auch wegen der kommenden Bundestagswahl kein großes Aufsehen erregen und abwiegeln wollte. Merkel wusste, dass sie von der Amerikanern keine Reaktion bekommen wird, die ihr im Bundestagswahlkampf geholfen hätte. Sie hätte vielmehr gehört, dass der BND und andere westliche Geheimdienste immer ganz gut profitiert haben von der NSA-Rasterfahndung. Jetzt ist es ein bisschen anders, weil es um Merkels eigenes vertrautes Umfeld geht. Es handelt sich um einen enormen Vertrauensbruch, der persönlich wird.

Wird der Vorgang das deutsch-amerikanische Verhältnis nachhaltig belasten, droht vielleicht sogar eine neue Eiszeit in den transatlantischen Beziehungen?

Ich glaube, es gibt Kooperationen auf ganz unterschiedlichen Ebenen und in ganz unterschiedlichen Politikfeldern, etwa in Afghanistan oder bei dem Handels- und Investitionsabkommen, in denen es sehr wichtig ist, dass die Kooperation weitergeht. Und diese Triebkräfte werden nicht wirklich beeinflusst durch die Aufdeckung dieser Überwachung. Aber natürlich geht viel Vertrauen verloren und das Misstrauen und die gestörte Bindung, die nicht nur bei Merkel, sondern auch bei anderen Führungskräften vorliegen wird, behindert natürlich auch die Verhandlungen auf den unterschiedlichen Politikfeldern. Aber in der Substanz wird das alles weitergehen.

Aus Ihrer Perspektive: Haben wir es hier lediglich mit außer Kontrolle geratenen amerikanischen Geheimdiensten zu tun oder ist es für die Obama-Regierung Teil der eigenen Strategie, auch Partner zu belauschen?

Obama ist, ähnlich wie sein Vorgänger, auch bereit, harte Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel im Drohnenkrieg oder auch im Umgang mit der Presse zu Hause. Er ist ein Präsident, der alles sehr stark kontrolliert, daher glaube ich, dass er schon ein Interesse daran hat, alle Möglichkeiten zu nutzen, um zu erfahren, was andere Staaten und Regierungschefs vor Verhandlungen denken. Er wird in groben Zügen unterrichtet gewesen sein, was die Geheimdienste tun. In jedem Fall: Er trägt die politische Verantwortung.

Welchen Stellenwert nimmt ein Land wie Deutschland überhaupt noch in der Außenpolitik der Obama-Regierung ein. Können die Amerikaner gut auf uns verzichten?

Die Deutschen sind für die Amerikaner sehr wichtig. Man darf das, was jetzt passiert, nicht so verstehen, dass die Deutschen den Amerikanern egal wären. Das Gegenteil ist der Fall: Weil die Deutschen den Amerikanern so wichtig sind, gibt es überhaupt den Impuls, uns so auf den Pelz zu rücken. Den Amerikanern ist etwa die Rettung des Euro ein sehr wichtiges Ziel - so wichtig, dass sie offenbar auch ganz genau interessiert, was europäische und speziell deutsche Politiker dazu denken.

Das EU-Parlament hat bereits für einen Stopp des Swift-Abkommens mit den USA gestimmt. Welche Konsequenzen sind von Seiten der deutschen Bundesregierung jetzt denkbar?

Ich glaube, dass die Bundesregierung klug genug ist, zu sehen, dass die Kooperation in den meisten Feldern mit den Amerikanern wichtig und in unserem Interesse ist, so dass man eben versuchen wird, das alles unbelastet zu lassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jetzt auf irgendeinem Feld zu einem Bruch oder Abbruch von Verhandlungen kommen wird.

Der Amerika-Experte Dr. Henning Riecke ist seit Januar 2009 Leiter des Programms USA/Transatlantische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Seit November 2000 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter zudem verantwortlich für die Studiengruppen “Strategische Fragen”, “Europapolitik” und “Globale Zukunftsfragen”.
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