Der NSU-Prozess ist zu Ende, doch nicht alle wichtigen Fragen sind auch beantwortet. Das ist vor allem für die Familien der Mordopfer schmerzlich. Ein Überblick.
Mehr als fünf Jahre dauerte der NSU-Prozess. Nun ist das Urteil gesprochen, Beate Zschäpe wurde als Mittäterin an den Morden zu lebenslanger Haft verurteilt.
Was der NSU-Prozess bisher nicht klären konnte
Trotzdem ist trotz des Mammutverfahrens noch vieles offen. So gibt es bis heute keinen Beweis, dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe an einem der Tatorte war.
Auch ist unklar, ob der NSU wirklich nur aus drei Personen bestand. Und: Gab es nicht viel mehr Unterstützer in der rechtsextremen Szene, die heute noch immer unbekannt sind?
Die wichtigsten sechs Fragen, die der NSU-Prozess nicht klären konnte.
1. Warum endete die Serie der rassistisch motivierten Morde mit der immer gleichen Tatwaffe vom Typ "Ceska" im Jahr 2006?
Darüber gibt es nur Spekulationen. Eine lautet: Beim letzten Mord in einem Internetcafé in Kassel sei ein Verfassungsschutzbeamter am Tatort gewesen.
Die beiden Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hätten gefürchtet, dass sie jetzt auffliegen könnten. Tatsächlich gilt aber gerade das Auftauchen dieses Beamten während der Tatzeit als weiteres Rätsel.
Die Behörden sprechen von Zufall. Eine Verwicklung des Beamten wurde immer wieder vermutet, ließ sich aber nicht beweisen.
2. Warum änderten Mundlos und Böhnhardt für ihren letzten Mord das Motiv?
Der letzte Mord war der an der Heilbronner Polizistin Michéle Kiesewetter im Jahr 2007. Die Bundesanwaltschaft meint, die Täter wollten damit den Staat und seine Repräsentanten angreifen.
Einen plausiblen Grund für den Wechsel des Mordmotivs nennt die Anklage nicht. Bis dahin waren alle Opfer Gewerbetreibende mit türkischen oder griechischen Wurzeln.
Beate Zschäpe hat in ihren Einlassungen einen anderen Grund für den Kiesewetter-Mord genannt: Es sei Mundlos und Böhnhardt nur um die Waffen der Polizistin und deren Kollegen gegangen.
3. Woher hatten die NSU-Terroristen ihr Waffenarsenal?
Zwei Maschinenpistolen, ein Gewehr, der Rest Pistolen und Revolver - insgesamt 20 Waffen. Woher sie stammen, hat der NSU-Prozess nicht geklärt.
Nur die Herkunft einer einzigen Waffe will die Bundesanwaltschaft nachvollzogen haben: Die Mordpistole vom Typ "Ceska" stammt beweisbar aus der Schweiz.
Auch der weitere Weg bis in die Hände der Terroristen gilt als aufgeklärt, jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit. Über die anderen Waffen ist nichts bekannt. Und offen ist auch, ob es nicht noch weitere NSU-Waffen gibt, die nie gefunden wurden.
Das Gericht hält das für möglich und hielt das in einem Beschluss auf einen Beweisantrag auch schriftlich fest.
4. Woher hatten die Terroristen die Adressen von rund 10.000 potenziellen Anschlagszielen?
Parteibüros, Kirchen und Moscheen, Bürgerinitiativen, sogar eine Geflügelfarm, die ihre Hennen klassisch in geschlossenen Massenställen hält: Quer durch ganz Deutschland hatten die Terroristen Namen und Adressen gesammelt und meist noch Kartenausschnitte beigefügt.
Die gesammelten Unterlagen fanden sich in den Trümmern der Zwickauer Fluchtwohnung.
Die Einträge passen mehr oder weniger gut zu denkbaren Motiven von Neonazi-Terroristen. Wie diese Liste zusammengestellt wurde, ist aber völlig unklar.
Mundlos und Böhnhardt sollen viel gereist sein, auch mit der Bahn. Es könnte Tippgeber vor Ort gegeben haben. Der Prozess brachte dazu nichts Eindeutiges. Beweisanträgen, vor allem von Nebenklägern, ging der Senat oft nicht nach.
5. Lebten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe die gesamten fast 14 Jahre als Trio im Untergrund zusammen?
Die Bundesanwaltschaft scheint das so zu sehen. Sie lässt jedenfalls keine Alternative zu dieser Möglichkeit gelten. Es gibt aber Zweifel an der offiziellen Version.
Ein Zeuge sagte im Prozess aus, Mundlos habe sich vorübergehend ausquartiert und sei allein bei einem Bekannten untergekommen.
Zschäpe selber erklärte, die beiden Männer seien manchmal längere Zeit unterwegs gewesen und sie habe nicht gewusst, wo sie steckten. Diese Frage ist nicht geklärt.
6. Gehörten noch mehr Leute zum "Nationalsozialistischen Untergrund"?
Beim Bundeskriminalamt gibt es Ermittler, die diese Frage für sich bejahen. Man sei auf Hinweise gestoßen, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Teil einer deutlich größeren Gruppe gewesen seien.
Die Bundesanwaltschaft bleibt dagegen bei ihrer Überzeugung vom abgeschotteten Trio. Ähnlich sieht es das Gericht in seiner Urteilsbegründung. (cai/fab/dpa)
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