Nordkorea hat den Test einer atomar bestückbaren Interkontinental-Rakete angekündigt. Mit dieser Waffe könnte vermutlich sogar die amerikanische Westküste erreicht werden. Wie weit fortgeschritten Pjöngjangs Atomprogramm tatsächlich ist, bleibt dennoch ungewiss.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Thomas Fritz sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Nordkoreas Diktator Kim Jong-un hat für den Jahresanfang einen neuen Raketentest angekündigt. Eine Aussage, die weltweit mit Besorgnis aufgenommen wurde. Die Rakete vom Typ Taepodong-2 verfügt je nach Bauart über eine Reichweite, mit der sie sogar die Westküste des amerikanischen Festlands treffen könnte.

Mehr aktuelle News

Den baldigen US-Präsidenten Donald Trump scheint das nicht zu beunruhigen. "Wird nicht passieren", schrieb er lapidar auf Twitter zu Kims Testplänen. Aber es bleiben Fragen: Wie gefährlich ist das Atomprogramm tatsächlich? Besitzt Kim Jong-un einsatzfähige Atomwaffen? Und was für Folgen für die Region haben die jüngsten Muskelspiele des Jung-Diktators (33)?

"Wir wissen nie genau, wo Nordkorea in seiner Entwicklung des Raketenprogramms und des Nuklearprogramms steht", sagte Eric J. Ballbach vom Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin. Der Nordkorea-Experte sieht große Fragezeichen, weil die Internationale Atomenergie-Organisation keine Inspektoren mehr ins Land entsenden darf.

Deswegen könne man nicht so genau sagen, wie gefährlich das Programm aktuell wirklich sei. "Haben wir es 'nur' mit Atombomben zu tun? Oder reden wir schon von der Wasserstoffbombe? Wie weit fortgeschritten ist das urangestützte Programm? Wie weit sind die Nordkoreaner bei der Miniaturisierung der Atomsprengköpfe?", zählt Ballbach einige offene Fragen auf.

Seit 2006 fünf Atomtests

Für den Experten, der 2015 den Aufsatz "Die Nuklearkrise und Nordkoreas Außenpolitik" veröffentlichte, ist unklar, auf welcher Stufe die Diktatur in der Zusammenführung ihrer Atom- und Raketenprogramme angekommen ist. Erst wenn diese beiden Bedingungen erfüllt seien, könne man von einer Atommacht sprechen. Sicher ist aber: "Nordkorea hat in beiden Bereichen in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht."

Das Land hat seit 2006 fünf unterirdische Tests mit Nuklearwaffen durchgeführt und bezeichnet sich in der neuen Verfassung von 2012 selbst als Atommacht. Anfang 2016 brachte Pjöngjang laut eigenen Angaben erstmals eine Wasserstoffbombe zur Explosion; internationale Experten bezweifeln das wegen der geringen Sprengkraft jedoch. Das "Wall Street Journal" berichtete 2015, dass Nordkorea nach chinesischen Erkenntnissen über 20 Atombomben verfüge.

"Enorme Provokation Richtung USA"

Die jetzige Ankündigung bezeichnet Ballbach als "konsistente Fortsetzung nordkoreanischer Politik", die sowohl die Wirtschaft als auch die Raketenarsenale weiter entwickeln wolle. Dabei wird keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer Staaten genommen. Selbst der engste Verbündete, China, wird regelmäßig überrumpelt.

Ist der Zeitpunkt der Ankündigung ein Zufall? "Ganz sicher nicht", so Ballbach. In einem Test unmittelbar vor oder nach der Amtseinführung von Donald Trump am 20. Januar sähe er eine "enorme Provokation Richtung USA - noch bevor sie ihre Nordkorea-Politik festgelegt hat".

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass solche Tests oft an innenpolitisch oder außenpolitisch bedeutsamen Tagen durchgeführt werden. Etwa Geburtstagen der (verstorbenen) nordkoreanischen Führer oder dem US-amerikanischen Unabhängigkeitstag. "Symbolik spielt eine große Rolle für Nordkorea", betont Ballbach.

Besorgniserregende Entwicklung

Auch wenn von Nordkorea vermutlich keine direkte Bedrohung für den Weltfrieden ausgeht, weil die Atomwaffen nur als Mittel der Abschreckung gegenüber einer als feindlich und übermächtig empfundenen internationalen Politik herhalten sollen, bewerten Beobachter die gegenwärtige Entwicklung als besorgniserregend. Aus verschiedenen Gründen.

"Die Gefahr steckt in einem Kollaps oder einer wirtschaftlichen Notlage, in der man sich dann entscheidet, atomare Hard- und Software zu verkaufen", sagt der Nordkorea-Experte Rüdiger Frank von der Universität Wien. "Stellen Sie sich einen IS-Anschlag in Europa mit nuklearem Material vor!"

Zudem könnte ein Wettrüsten und eine Destabilisierung im pazifischen Raum die Folge sein. Eine Region, die militärisch ohnehin schon hochgerüstet ist. In Südkorea und Japan werden die gesellschaftlichen Kräfte lauter, die ein eigenes Atomwaffenprogramm fordern.

"Das Vorgehen Nordkoreas ist eine Gefahr für die ganze Region", sagt Eric Ballbach. Und die nächste Gefahr lauert schon für den Fall, dass Nordkorea sein Atomprogramm tatsächlich einmal fertigstellen sollte: Die Atommacht USA hat in der Vergangenheit mehrfach deutlich gemacht, dass sie eine Atommacht Nordkorea niemals akzeptieren wird.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.