In Russland nehmen die Anzeichen für eine bevorstehende Wirtschaftskrise zu. Während der Rüstungssektor noch boomt, bekommen immer mehr Branchen Probleme.
Seit drei Jahren führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Westen hat versucht, mit Sanktionen gegen die russische Wirtschaft, Kremlchef
Welches Ergebnis brachte das vergangene Jahr?
Statistisch gesehen lief das vergangene Jahr für die russische Wirtschaft hervorragend. Regierungschef Michail Mischustin sprach bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin Anfang Februar von 4,1 Prozent Wachstum beim Bruttoinlandsprodukt. Eine Reihe von Industriezweigen hat für dieses Wachstum gesorgt. In erster Linie ist das die Rüstungswirtschaft, die dank der Ausgaben im russischen Militäretat boomt. Daneben hat die Automobilbranche ihren Absatz im Vergleich zum Katastrophenjahr 2023 um 50 Prozent gesteigert, die Düngemittelindustrie um 30 Prozent. Dank zunehmender Marktabschottung hat aber auch etwa der Weinanbau in Russland ein Plus von 30 Prozent erzielt.
Wie geht es weiter?
Alle Experten sind sich einig, dass sich das Wachstum nicht im selben Tempo fortsetzen wird. Die Regierung hofft auf eine weiche Landung mit einem Zuwachs von 2 bis 2,5 Prozent. Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow warnte, dass ein Abflauen des Wachstums schon erkennbar sei. Schon seit vergangenem November hätten erste Branchen damit zu kämpfen.
Unabhängige Analysten warnen vor größeren Problemen. "An einer Unmenge von Indikatoren sehen wir: Der Festtag geht zu Ende", sagte die bekannte Wirtschaftswissenschaftlerin Natalja Subarewitsch. Die offiziell genannten Zahlen seien ohnehin zweifelhaft, doch selbst damit sei es nun vorbei. Das Wachstum werde gering ausfallen, die Inflation hoch - und das über einen längeren Zeitraum. Mit dieser These stimmte zuletzt selbst der bei einem staatlichen Analysezentrum angestellte Bruder des Verteidigungsministers Andrej Belousow, Dmitri, überein. Er warnte vor einer Stagflation - das heißt hohe Inflationsraten bei gleichzeitig geringem oder keinem Wachstum.
Warum gibt es Zweifel an der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung?
Es gibt inzwischen eine klare Zweiteilung der Wirtschaft. Nach Berechnungen der Raiffeisenbank hat der Staat ein Fünftel des Wirtschaftswachstums durch direkte Investitionen gewährleistet. Die indirekten Folgen sind noch höher. Während der Rüstungssektor auch 2025 von Staatsaufträgen profitiert und mit kräftigen Gehaltssteigerungen Personal bindet, wurden andere Sektoren abgehängt. Ihnen bereiten Inflation und der Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften inzwischen gewaltige Schwierigkeiten. Mit den Gehältern im Rüstungssektor oder den hohen Prämien, die das Militär den Frontkämpfern zahlt, können sie nicht mithalten.
Welche Branchen sind von der Krise betroffen?
Probleme bereitet vor allem der Immobiliensektor. Während in den Regionen die Nachfrage nach Wohnraum sogar leicht gestiegen ist - auch dank des hohen Solds, den viele russische Kämpfer an der Front erhalten - ist in und um Moskau die Nachfrage um ein Drittel eingebrochen. Dabei sind Hauptstadt und Umland die mit Abstand wichtigste Region für den Wohnungsbau. Die Nachfrage wurde lange Zeit mit staatlich subventionierten Hypotheken gestützt - da der Kreml das Geld nun anderswo ausgibt, fehlen die Mittel hier. Die Krise hat Folgen für andere Sektoren: Die Baustoffbranche und sogar der Stahlsektor leiden. Der Kohlesektor steckt in einer tiefen Krise.
Auch der Automarkt steht wieder vor einem Rückgang. Der Branchenfachverband AEB geht im Basisszenario von einem Rückgang der Neuwagenverkäufe von 15 Prozent auf 1,4 Millionen Pkw aus. Grund sind steigende Abgaben und einmal mehr Probleme mit der Kreditfinanzierung. 700.000 Fahrzeuge stehen auf Halde und warten auf einen Käufer. Vielen Autosalons droht die Pleite.
Welche Wirkung haben die Sanktionen?
Die Sanktionen haben vor allem die Rohstoffindustrie getroffen. Zuletzt wurde ein Teil der russischen Schattenflotte Russlands mit Sanktionen belegt, was den Export von Öl deutlich erschwert hat. Hart erwischt hat es auch den Exportmonopolisten beim Gas. Gazprom, lange Zeit wichtigster Geldquelle für den russischen Haushalt, hat 2024 ein Milliardendefizit erzielt - erstmals nach einem Vierteljahrhundert mit Gewinnen. Der Konzern droht 2025 nach Anhebung verschiedener Steuern noch tiefer in die roten Zahlen abzurutschen. Hier machen sich der Wegfall des europäischen Markts und sinkende Gaspreise bemerkbar. China ist kein Ersatz. Die Hoffnung auf den Bau einer neuen Pipeline dorthin hat sich nicht erfüllt.
Damit verliert der russische Haushalt enorm viele Einnahmen. Lange hat Moskau von Geldvorräten profitiert, die im nationalen Wohlstandsfonds angelegt waren. Doch der ist seit Kriegsbeginn inzwischen zu rund 60 Prozent aufgebraucht. Sollte US-Präsident Donald Trump seine Pläne zur Steigerung der Ölproduktion umsetzen, drohen Russland weitere Verluste.
Was ist das größte Problem der Wirtschaft?
Das massive Hineinpumpen staatlicher Gelder in die Wirtschaft hat zu einer Überhitzung geführt und die Inflation angetrieben. Im Jahresvergleich habe die Inflation Anfang Februar bei 9,9 Prozent gelegen, räumte Putin jüngst ein. Gefühlt sind die Preissteigerungen noch deutlich höher als die offizielle Statistik. Die Zentralbank versucht seit Monaten, die galoppierende Inflation wieder einzufangen. Sie hat den Leitzinssatz auf 21 Prozent gesetzt - das höchste Niveau seit mehr als 20 Jahren.
Während die Inflation darauf bislang nur schwach reagiert hat, ächzt die Privatwirtschaft unter den Bedingungen. Denn Kredite sind praktisch unerschwinglich geworden. Damit sind Investitionen für Unternehmer kaum noch möglich. Das ist auch für die langfristige Entwicklung der Wirtschaft schädlich. (dpa/bearbeitet von fah)
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